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Die Zutaten für Mumiengirlanden, darunter Kornblume, Distel, Alraune und Papyrus.

© Dora Goldsmith

Gerüche im alten Ägypten: Das Land der Düfte

Dora Goldsmith rekonstruiert altägyptische Duftstoffe – die Doktorandin möchte herausfinden, welche Rolle Gerüche im Reich der Pharaonen spielten.

Das alte Ägypten übt auf viele Menschen eine große Faszination aus: die Pyramiden, der Nil, die Mumien, die Gerüche. Die Gerüche? „Das alte Ägypten war das Land der Düfte“, sagt Dora Goldsmith. Die Doktorandin am Ägyptischen Seminar der Freien Universität Berlin beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit der Bedeutung von Gerüchen für die altägyptische Gesellschaft und Kultur. Sie sagt: „Ägypten war in der antiken Welt das Zentrum der Parfümherstellung.“ Exklusive Düfte, nach heiligen und geheimen Rezepten hergestellt, seien ein Exportschlager gewesen. Auch innerhalb der ägyptischen Gesellschaft seien Gerüche immens wichtig gewesen, erklärt Dora Goldsmith.

„Es gab eine olfaktorische Hierarchie: Am besten roch der König, denn er hatte als Einziger auch im Diesseits einen göttlichen Duft, den die Ägypter ‚sTi nTr‘ nannten, ausgesprochen ‚setschi netscher‘. Der schlechteste Geruch wurde den Fischern zugeschrieben, die den ganzen Tag in den Sümpfen arbeiteten.“ Die Hieroglyphe für „Fisch“ stehe deshalb oft im Zusammenhang mit „Gestank“.

Die Beschäftigung mit den Sinnen galt in der Forschung lange als wenig professionell

Obwohl Gerüchen im Reich der Pharaonen eine zentrale Bedeutung zugeschrieben wurden, seien sie bislang wenig erforscht, sagt Dora Goldsmith: „Die Beschäftigung mit den Sinnen und mit Gerüchen im Besonderen wurde in der Forschung lange als wenig professionell angesehen. Man kann schon fast von einem Tabu sprechen, das sich erst langsam lockert.“ Gerade das fasziniert die 34-Jährige: „Ich wollte nicht einfach neue Aspekte eines alten Themas wiederaufrollen, sondern etwas wirklich Neues erforschen.“

Dora Goldsmith ist durch ihre jahrelange wissenschaftliche Beschäftigung zu einer gefragten Expertin der altägyptischen Geruchswelt geworden.
Dora Goldsmith ist durch ihre jahrelange wissenschaftliche Beschäftigung zu einer gefragten Expertin der altägyptischen Geruchswelt geworden.

© Anisa Xhomaqi

Zunächst schrieb sie eine Hausarbeit über altägyptische Düfte, aus der sich später das Thema ihrer Masterarbeit entwickelte, und schließlich bestärkten die Betreuerinnen und Betreuer ihrer Arbeit sie darin, auch eine Promotion anzustreben. „Das hatte ich nicht geplant, aber es ist zum Thema meines Lebens geworden“, sagt Dora Goldsmith. Mittlerweile gibt die Wissenschaftlerin Workshops zu den Düften des alten Ägyptens, ist eine international gefragte Expertin der altägyptischen Geruchswelt und machte Schlagzeilen mit ihrer Rekonstruktion des „Parfüms der Kleopatra“.

Dabei sind ihre Rekonstruktionen altägyptischer Düfte eigentlich nur Mittel zum Zweck: „Ich betreibe experimentelle Archäologie, um die historischen Quellen besser zu verstehen“, sagt Dora Goldsmith. „Gerüche spielten für jeden Aspekt des ägyptischen Lebens eine wichtige Rolle, und diese Bedeutung spiegelt sich auch in den Texten.“ Eine Schwierigkeit bestehe jedoch darin zu verstehen, was die Schreiber meinten, wenn sie etwa notierten, dass etwas „gut“, „schlecht“ oder „göttlich“ roch.

Wie heißen die altägyptischen Ingredienzen heute?

Dora Goldsmith erstellt deshalb eine aufwendige Wortfeldanalyse: Ausgehend von zehn ägyptischen Begriffen für Gerüche und die damit verbundenen Sinneswahrnehmungen sammelt sie weltweit Hieroglyphentexte, um dieses mittlerweile tausend Texte starke Kompendium zu analysieren und neu zu übersetzen. „Die Interpretation hängt stark vom Kontext ab. Mit einem ‚göttlichen Duft‘ zum Beispiel kann ein Parfüm für den Tempel gemeint sein. Es kann aber auch Weihrauch meinen, Lotos oder den Duft der Salben, mit denen Mumien einbalsamiert wurden“, erklärt sie.

Eine zusätzliche Herausforderung sei die Zuordnung der altägyptischen Ingredienzen zu heutigen botanischen Bezeichnungen. Über die Jahre hat sich Dora Goldsmith deshalb eine reichhaltige Duftbibliothek zugelegt: Hunderte kleine Gläschen enthalten Blüten, Blätter, Samen, Hölzer, Harze, Wachse und Öle aus genau jenen Herkunftsregionen, aus denen sie auch die Ägypter bezogen.

Das Wiedererkennen und Kontextualisieren von Gerüchen ist für ihre Forschung zentral. Deshalb fragt Dora Goldsmith auch bei renommierten altägyptischen Sammlungen stets, ob sie ihre Nase an organische Objekte wie Parfüms und Holzsärge halten darf. So hat sie unter anderem schon manche Mumie beschnüffelt: „Andere Forschende beschreiben detailgenau die Verfärbungen von Mumien, aber auch ihr Geruch gibt uns viele Informationen“, erläutert sie. „Mumien von Königen oder hohen Beamten aus der Zeit des Neuen Reiches – die Pharaonenzeit von 1550 bis 1070 v. Chr. – zum Beispiel riechen gut, weil sie mit den besten Methoden einbalsamiert wurden. In der griechisch-römischen Epoche wurde das Aussehen der Mumien wichtiger, und dementsprechend stinken sie auch.“

Mumien wurden mit Zwiebelringen parfümiert

Für ihre Doktorarbeit beschreibt Dora Goldsmith erstmals die Bedeutung von Gerüchen für alle Bereiche der altägyptischen Gesellschaft. Dabei stößt sie immer wieder auf Überraschungen. So unterschieden die Ägypter nicht zwischen Duftstoffen und Nahrungsmitteln: Sie kauten gerne die Räuchermischung Kyphi, verwendeten Sellerieblätter als Blumenstrauß und parfümierten Mumien mit Knoblauchzehen und Zwiebelringen. Auch die zeitgenössische Begeisterung für den strengen, medizinischen Geruch des stark duftenden Öls, das aus dem Holz des Kampferbaumes gewonnen wurde, überraschte Dora Goldsmith.

Vor allem aber beeindruckt sie die Omnipräsenz der Düfte: „Tempel, Privathäuser, Straßen, Werkstätten, Nekropolen: Alles hatte einen sehr charakteristischen Geruch. Auch die Menschen nutzten meist mehrere starke Parfüms gleichzeitig: Männer wie Frauen trugen duftende Perücken, räucherten ihre Kleider und salbten ihre Körper. Sie waren immer und überall umgeben von intensiven Duftwolken.“

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