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Protest mit Papptellern. Fans des Karlsruher SC wehrten sich bereits 2011 gegen Gesichtserkennung im Wildparkstadion.

© picture alliance / dpa

Gesichtserkennung: Das Ende der Anonymität?

Kameras, die Gesichter erkennen können, werden zunehmend zur Kontrolle eingesetzt. Wissenschaftlerinnen haben untersucht, wie Menschen weltweit dazu stehen.

In den neuesten Smartphone-Modellen gehören sie bereits zum Standard: Kameras, die Gesichter erkennen können. Auch im öffentlichen Raum kommen zunehmend sogenannte Facial Recognition Technologies (FRTs) zum Einsatz.

Mit FRT ausgestattete Überwachungskameras sollen etwa die Polizei bei der Fahndung von Straftätern unterstützen, indem Gesichter von Passanten automatisch mit Fotos von Kriminellen aus Datenbanken verglichen werden. Anwendung finden sie aber auch in der Wirtschaft.

So wird heute etwa Software entwickelt, die Gesichter von Kundinnen und Kunden in einem Geschäft scannt und in sozialen Netzwerken nach passenden Profilen sucht. Hat man sich ein Produkt im Laden besonders lange angesehen, so könnte dies zur Folge haben, dass man bald digital eine entsprechende Werbung erhält.

Ob und wie der Einsatz von FRTs in der Öffentlichkeit erlaubt sein sollte, ist in Deutschland und Europa stark umstritten. Derzeit wird über ein einstweiliges Moratorium in der Europäischen Union debattiert, das für bis zu fünf Jahre gelten könnte.

„Doch wie die Menschen weltweit dazu stehen, unterscheidet sich stark“, sagt Genia Kostka. „In China etwa sehen viele Menschen die Entwicklung positiv.“

Gesichtserkennung: größere Akzeptanz in China

Genia Kostka ist Professorin für Chinastudien an der Freien Universität und Expertin für die Digitalpolitik Chinas. Gemeinsam mit Miriam Meckel und Léa Steinacker, Medienunternehmerinnen und Kommunikationswissenschaftlerinnen an der Universität Sankt Gallen, hat sie untersucht, wie FRTs in verschiedenen Teilen der Welt wahrgenommen und bewertet werden.

Für die Studie „Facing the public: Analysis of citizen attitudes about facial recognition technologies“ wurden rund 6500 Menschen in Deutschland, Großbritannien, den USA und China zu ihrer Meinung befragt.

„Die Deutschen sind im Vergleich am skeptischsten“, sagt Kostka. „Hierzulande begrüßen oder akzeptieren nur 38 Prozent der Menschen den Einsatz der Technologie.“ In China hingegen finde sich die höchste Zustimmungsrate.

Dort stünden rund 67 Prozent der Menschen dem Einsatz von FRTs aufgeschlossen gegenüber. Dazwischen seien die USA (47 Prozent Zustimmung) und Großbritannien (50 Prozent Zustimmung). Den Grund für die größere Akzeptanz in China sieht Kostka vor allem darin, dass die Menschen in China den Umgang mit FRTs bereits gewohnt seien.

Rund 78 Prozent der befragten Chinesen waren in ihrem Leben bereits bewusst mit FRTs in Kontakt gekommen – in Deutschland waren es nur 45 Prozent. „Digitale Gesichtserkennung gehört in China längst zum Alltag“, sagt die Wissenschaftlerin.

Lächeln - und schon ist bezahlt

So habe etwa Alipay, der Bezahlservice des chinesischen Internet-Giganten Alibaba, jüngst einen „Smile to Pay“-Service eingeführt. „Um im Laden zu bezahlen, muss man an der Kasse dann nur noch in eine Kamera lächeln“, berichtet Kostka. „Für viele Chinesen bedeuten FRTs in erster Linie mehr Komfort und Effizienz.“

Zudem stünden dort Sicherheitsargumente im Vordergrund. „Man sieht die Technik auch als ein Instrument, um Ordnung in der Gesellschaft zu schaffen“, sagt Genia Kostka. Viele Menschen in China hofften, dass Korruption in Verwaltung und Wirtschaft mit digitaler Überwachungstechnik besser bekämpft werden kann.

„Diese Hoffnung wird auch durch staatliche Propaganda geschürt“, sagt Kostka. „Die Presse verschweigt, dass dieselbe Überwachungstechnik auch gegen Bürgerinnen und Bürger eingesetzt wird.“ Diskussionen um den Schutz der Privatsphäre spielten in China derzeit keine große Rolle.

„Das kann auch Resignation sein“, erläutert Kostka. „Viele Menschen haben den Eindruck, der staatlichen Überwachung ohnehin schutzlos ausgeliefert zu sein.“

Deutsche sind skeptisch

In Deutschland hingegen seien die Bedenken dagegen deutlich: Knapp 22 Prozent der Befragten sprachen sich gegen einen Einsatz von FRTs aus. Eine überraschende Erkenntnis der Studie: Es zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. Der durchschnittliche Grad an starker Ablehnung ist in Westdeutschland mit 15 Prozent deutlich höher als in Ostdeutschland mit 9 Prozent, sagt Kostka: „Anstelle zu sagen ‚Überwachungsstaat – das wollen wir nie wieder!', versprechen sich viele Bürgerinnen und Bürger im Osten Deutschlands mehr soziale Ordnung und Stabilität von der Gesichtserkennungs-Technologie.“

Dennis Yücel

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