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Bei sporenbildenden Bodenpilzen entsteht binnen Stunden oder weniger Tage die nächste Generation.

© Anika Lehmann/AG Rillig

Globale Erwärmung: Klimawandel im Zeitraffer

Biologen der Freien Universität Berlin untersuchen an Pilzen die Auswirkungen der Erderwärmung.

Der Klimawandel ist in vollem Gange, doch wie reagieren Flora und Fauna darauf? Gibt es nur Verlierer oder auch Profiteure? Und wie gelingt es bestimmten Arten sich anzupassen? In Laborexperimenten versuchen Biologen weltweit, das herauszufinden. Doch wie realistisch sind diese Experimente?

„Um künftige Umweltbedingungen zu simulieren, werden die Parameter im Labor meist sprunghaft und sehr schnell verändert. Doch die globale Erwärmung, die Erhöhung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre, vermehrter Stickstoffeintrag und die Versauerung der Ozeane, all das geschieht sehr, sehr langsam“, betont Matthias Rillig, Professor für Pflanzenökologie an der Freien Universität Berlin.

Ihn interessiert, was passiert, wenn sich Umweltfaktoren graduell und fließend verändern. Rillig will wissen: Ist die Natur in der Lage, sich langsamen Veränderungsprozessen anzupassen. Und wenn ja: wie? Durch Mikroevolution oder andere Mechanismen? Der Europäische Forschungsrat (ERC) bewilligte Rillig kürzlich 2,4 Millionen Euro, um Antworten auf diese Fragen zu finden.

An Pflanzen, die vergleichsweise lange Generationszeiten haben, lassen sich umweltbedingte evolutionäre Prozesse schwer ablesen. „Es würde vielleicht 50 Jahre dauern, wenn wir beobachten wollten, was bei einer einjährigen Art passiert, wenn sich der CO2-Gehalt der Luft einigermaßen realistisch langsam erhöht. Von Bäumen gar nicht zu sprechen!“, sagt Rillig.

Rilligs "Labormäuse" sind mikroskopisch klein

Bei sporenbildenden Bodenpilzen, die Rilligs Spezialgebiet sind, entsteht jedoch binnen Stunden oder weniger Tage die nächste Generation. An ihnen lassen sich die Auswirkungen von Umweltveränderungen über viele Generationen hinweg quasi im Zeitraffer untersuchen. „Es ist die Art von Pilzen, die gelegentlich im Kühlschrank wachsen, wenn etwas zu lange drin liegt“, sagt Rillig schmunzelnd. 30 Isolate verschiedener Gruppen von solchen „Housekeeping-Pilzen“, die totes organisches Material abbauen, hat sein Team aus Böden in der Nähe Berlins entnommen.

Rilligs „Labormäuse“ sind mikroskopisch klein und erst als Kolonie in der Petrischale wirklich erkennbar. Unter ihnen sind pelzige Köpfenschimmelpilze (Mucor), filigrane Schlauchpilze der Gattung Fusarium und weitere Ascomyceten. Einzeln, in friedlicher „Kommune“ aber auch als konkurrierende Nachbarn werden sie mit Nährmedien jeweils in sterilen Gefäßen mit separater Temperatursteuerung verschlossen. Manche gehen samt heimatlichem Boden ins experimentelle Rennen – so können die Forscher auch gleich die Veränderungen am typischen Mikrokosmos jeder Art beobachten.

Anschließend sollen die Lebensbedingungen der Pilze über viele Monate ganz allmählich verändert werden. Zu jedem Experiment wird es einen Kontrollversuch geben, bei dem alles unverändert bleibt.

„Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Erwärmung, aber wir werden auch den Einfluss von Toxinen und die Veränderung lebensnotwendiger Ressourcen untersuchen“, erläutert Matthias Rillig. Die Entwicklung der Versuchsaufbauten ist Teil und erste Phase des Projekts, denn so aufwendige und langandauernde Experimente mit Pilzen wurden bisher noch nicht durchgeführt.

Umweltveränderungen hinterlassen Spuren im Genom

Obgleich die „Probanden“ mit bloßem Auge betrachtet noch fast identisch aussehen, unterscheidet sich die Struktur der Kolonien unter dem Mikroskop dann doch erheblich. „Kein Wunder, es liegen schließlich viele Millionen Jahre evolutionärer Geschichte zwischen ihnen. Sie sind sich jetzt noch so ähnlich wie zum Beispiel Schaf und Heuschrecke“, zieht der Biologe einen Vergleich.

Was für Ergebnisse erwartet er von den Versuchsreihen? „Die Umweltveränderungen werden sich nicht auf alle Pilze gleich auswirken. Zum einen unterscheiden sie sich erheblich in den Ansprüchen an ihre biotische und abiotische – also mineralische – Umwelt. Zum anderen haben sie unterschiedliche Temperaturmaxima, bei denen sie überhaupt nur wachsen können.“ Voraussichtlich würden sich Wachstumsrate und Erscheinungsbild mancher Art verändern und die eine oder andere Sorte werde wohl auf der Strecke bleiben, mutmaßt Rillig.

Ein zentrales Experiment soll zeigen, wie und in welchem Maße Veränderungen in der Physiologie der Pilze und der Zusammensetzung ihrer Lebensgemeinschaften sowie durch Mikroevolution stattfinden. Immer wieder werden die Forscher deshalb sterile Proben nehmen, um die Pilze biochemisch und genetisch zu untersuchen.

„Wir wissen, dass bei abrupten Umweltveränderungen keine Zeit für eine evolutionäre Anpassung bleibt. Es kann auch keine völlig neuen Variationen im Genom geben“, sagt Matthias Rillig. „Doch wandelt sich etwas allmählich, sind mehrere Generationen involviert. Dabei können sowohl einzelne Linien selektiert, als auch Gene durch Mutation verändert werden.“ Am Ende der Experimente wollen die Forscher dies durch Sequenzierung der vollständigen Pilzgenome herausfinden.

Rilligs Projekt habe auch eine politische Komponente, betonte einer der Gutachter des Forschungsantrages. Selbst wenn die Pilze gut klarkommen sollten, bedeute dies auf keinen Fall eine Entwarnung bezüglich des Klimawandels. In der Tat gibt es Hinweise darauf, dass manche Arten von den veränderten Bedingungen überraschend wenig beeinträchtigt werden, sogar regelrecht „aufblühen“.

Manche Kieselalgen zum Beispiel schaffen es, dem saurer werdenden Meerwasser mehr Baumaterial für die Bildung von Kalkschalen zu entziehen als je zuvor.

Anderen Spezies allerdings, deren Lebensräume endgültig verschwinden, hilft das wenig. So wie dem Eisbären, dem die Eisschollen buchstäblich unter den Tatzen wegschmelzen. Fehlt der Kopf der Nahrungskette, verändert sich das gesamte Ökosystem. Sicher ist, dass es viele Tier- und Pflanzenspezies in Zukunft nicht mehr geben wird. Aber – und das ist die einzig gute Nachricht – allen Erdkrisen zum Trotz entstehen doch immer wieder neue Arten.

Catarina Pietschmann

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