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Gern gesehene Ratgeber: Debra W. Stewart, ehemalige Präsidentin des Council of Graduate Schools in den USA, und Sijbolt Noorda, Präsident der Academic Cooperation Association in Brüssel, sind seit dem ersten Tag Mitglieder des International Councils der Freien Universität Berlin.

© Annika Middeldorf

International Council: "Die Freie Universität hat sich neu erfunden"

Seit 2006 berät ein Komitee aus Expertinnen und Experten aus aller Welt das Präsidium der Hochschule.

Seit zehn Jahren begleitet ein internationales Beratungsgremium die Entwicklung der Freien Universität Berlin. Dem International Council gehören 21 renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Hochschulexperten an. Wie waren die Anfänge? Was hat sich seitdem verändert? Anlässlich seines zehnjährigen Bestehens sprach Nina Diezemann mit zwei Mitgliedern, die von Anfang an dabei waren: Debra W. Stewart, ehemalige Präsidentin des Council of Graduate Schools in den USA, und Sijbolt Noorda, Präsident der Academic Cooperation Association in Brüssel.

Frau Stewart, Herr Noorda, der „International Council“ ist bereits 2006 gegründet worden, ein Jahr bevor die Freie Universität mit ihrem Zukunftskonzept „Internationale Netzwerkuniversität“ in der Exzellenzinitiative erfolgreich war. Über welche Themen haben die Mitglieder bei ihrem ersten Treffen diskutiert?
STEWART: Beim allerersten Treffen stand die klare Vorstellung des damaligen Präsidenten der Freien Universität Dieter Lenzen im Vordergrund, die Exzellenzinitiative sei eine Möglichkeit, die Universität zu gestalten. Ich bin sicher, dass diese Überzeugung, die er und andere damals in der Universität teilten, zur treibenden Kraft und die Grundlage dessen wurde, was die Freie Universität heute ausmacht.
NOORDA: Der damalige Präsident wollte die Universitätsmitglieder überzeugen, denn damals waren nicht alle begeistert von seinem Ansatz. Auch wir als International Council sind keine einheitliche Gruppe und agieren schon gar nicht wie ein Vorstand – wir sind Menschen mit völlig unterschiedlichen Hintergründen. Und auch wir hatten am Anfang Bedenken. Wir hatten Sorge, dass die Exzellenzinitiative eine Art Avantgarde schaffen würde und die Universität spalten könnte. Mit der Zeit wurde jedoch klar, dass dieser Wettbewerb dazu beitragen wird, dass die Universität ein neues Profil für sich findet – und dabei wollten wir den damaligen Präsidenten und seinen Nachfolger, den amtierenden Präsidenten, Peter-André Alt, unterstützen.

Was waren die wichtigsten Ratschläge, die Sie der Freien Universität damals gegeben haben?
NOORDA: Ich denke, wir hatten einen stimulierenden Einfluss auf die Entwicklung von Graduiertenschulen und die Schaffung von größeren Forschungskooperationen. Heute hält man das schon fast für selbstverständlich, aber vor zehn Jahren gab es das noch nicht. Graduiertenschulen beispielsweise mussten erst erfunden werden. Außerdem hielten wir die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen für wichtig: Manche dieser Einrichtungen liegen in Dahlem praktisch auf der anderen Straßenseite, da wäre es unklug, nicht zusammenzuarbeiten. Nicht zuletzt kommt das auch dem Forschungsstandort Berlin insgesamt zugute. Außerdem lag uns die Lehre sehr am Herzen. Wir haben immer wieder gesagt, vergesst nicht, die Lehre ins Zentrum zu rücken. Nicht nur, weil hier künftige Talente ausgebildet werden, sondern weil die Universitäten durch die Lehre in der Gesellschaft verankert sind.
STEWART: In der frühen Phase der Exzellenzinitiative durfte man gar nicht über die Lehre sprechen. Die damaligen Förderrichtlinien schlossen die Lehre explizit aus. Aber Universitäten können keine Spitzenforschung betreiben, wenn sie nicht gleichzeitig engagiert in der Lehre sind, ebenso wenig kommt gute Lehre ohne gute Forschung aus. Die Freie Universität hat deshalb in den vergangenen Jahren zeitgleich mit der Exzellenzinitiative und ungeachtet der Förderung durch die Initiative eine Reihe von Aktivitäten zur Verbesserung der Lehre angeschoben. Dass die Lehre nun auch offiziell in der neuen Ausschreibung der Exzellenzstrategie eine Rolle spielen darf, ist sehr ermutigend.

Derzeit hat es den Anschein, als nehme das Vertrauen in die Wissenschaft eher ab als zu. Wie können die Universitäten noch in die Gesellschaft hineinwirken?
STEWART: Ohne Wissenschaft gibt es keine Innovation und vor allem auch keine Neuerungen, die das Leben der Menschen in der Gesellschaft, in der sie leben, verbessern. Ich glaube, wir haben diesen Zusammenhang noch nicht gut genug vermittelt. Ich sehe da auch eine Kommunikationsaufgabe der Universitäten.
NOORDA: Für mich ist das mehr als eine Kommunikationsaufgabe. Eine Studie, die wir in meinem Heimatland, den Niederlanden, alle paar Jahre durchführen, zeigt, dass Wissenschaft und Forschung nach wie vor hohes Ansehen in der Bevölkerung genießen. Der Erfolg wird jedoch den einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zugeschrieben, nicht den Universitäten, die die Forschung durch den Aufbau von Infrastruktur ermöglichen und auch finanzieren. Die Universitäten hingegen teilen das Schicksal vieler öffentlicher Einrichtungen in den westlichen Ländern: Sie verlieren an Ansehen und Vertrauen. Meiner Meinung nach muss es um mehr gehen als um Kommunikation – wir müssen wieder stärker Teil der Gesellschaft werden. Wir müssen uns an den Schulen, in der Nachbarschaft, in den Städten einbringen. Aber ich kann hier nur für mich sprechen. Und ich glaube, dass lediglich ein paar Mitglieder des International Councils diese Ansicht teilen würden. Aber genau das finde ich wichtig. Wir als International Council können oftmals keine eindeutigen Ratschläge geben, sondern wir zeigen internationale Trends auf und vermitteln Erfahrungen in anderen Ländern. Wir sehen uns eher als Impulsgeber.
STEWART: Wir helfen dabei, die Themen der Freien Universität in einem internationalen Kontext zu sehen. Zum Beispiel dieses wichtige Thema des Vertrauens in öffentliche Einrichtungen: Das ist, wie wir am Brexit gesehen haben und in den USA gerade sehen, ein Phänomen, das alle westlichen Länder betrifft. Wie man als Institution darauf reagiert – ob man eher mehr Kommunikation oder strukturellen Wandel für richtig hält – muss jede Einrichtung für sich selbst entscheiden.

Wo sehen Sie die Freie Universität heute in der internationalen Bildungslandschaft?
NOORDA: Die Freie Universität hat international schon immer ein hohes Ansehen genossen, auch als es noch gar keine Rankings gab.
STEWART: Richtig!
NOORDA: Da gab es also gar nicht mehr so viel Spielraum für weitere Verbesserungen – und das meine ich uneingeschränkt positiv. Doch um ihre Spitzenposition zu halten, musste sich die Hochschule verändern. Warum sind einige der alten Universitäten nach Jahrhunderten immer noch da? Weil sie in der Lage waren, sich zu wandeln.
STEWART:Die Freie Universität Berlin hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf sehr kreative Weise neu erfunden. Sich neu zu erfinden ist für Einrichtungen, die schon sehr gut sind, besonders schwer. Aber die Exzellenzinitiative hat diesen Prozess unterstützt. Es hat sich gezeigt, dass es für die Freie Universität sinnvoll war, auf die Internationalisierung zu setzen, Internationalität zum Teil der eigenen Identität zu machen. Nun muss sie sich erneut weiterentwickeln. Die berlinweite Universitätsallianz, die jetzt geplant wird, wird herausfordernd in der Umsetzung werden, aber letztlich wird sie ein Gewinn sein für alle Partner, für die Stadt und die ganze Region Berlin.

Nina Diezemann

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