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Freie Sicht: Petra Gebauer, Julia Sieland und Gregor Pittke beobachten an der Wetterstation Berlin-Dahlem der FU die Wetterentwicklung.

© Michael Fahrig

Meteorologie: Überwiegend heiter, teils stürmisch

Die „Berliner Wetterkarte“ wird 65 Jahre alt. Sie ist die einzige tägliche Wetterzeitung der Welt.

Keine Wolke trübt den Himmel am 7. Juli 1957. Die Berliner genießen bei 35 Grad den heißesten Sonntag seit Jahren. Niemand ahnt, dass der Tag ein dramatisches Ende nehmen wird. In einer Villa in Dahlem sitzen die Meteorologinnen und Meteorologen der Freien Universität vor ihrer neuesten Anschaffung: Das teure Radargerät läuft noch im Probebetrieb, zeigt aber bereits am späten Nachmittag das Herannahen einer schweren Gewitterfront. Mit den herkömmlichen Wettermeldungen allein hätten die Wissenschaftler die Gefahr nicht erkannt.

Am frühen Abend geben sie erstmals eine Unwetterwarnung an die Wasserschutzpolizei, über den Telefonwetterbericht und die Radiosender heraus. Um halb acht zeigt sich plötzlich im Südsüdwesten eine „ungeheuerliche Wolkenwand, gekrönt von drei übereinandergeschichteten Cirrus-Galerien“, erinnert sich Günter Warnecke, emeritierter Meteorologie-Professor der Freien Universität, in der meteorologischen Zeitung „Berliner Wetterkarte“. Eine Bö der Windstärke 11 weht urplötzlich durch die Dahlemer Podbielskiallee, eine haushohe Staubwolke erhebt sich, „und die gesamte Stadt verfinstert sich binnen Minuten wie zur Nacht“.

Die Warnung erreichte die BEWAG, die das Radargerät mitfinanziert hatte, noch früh genug: Das Berliner Stromversorgungsunternehmen fuhr ein weiteres Kraftwerk hoch und verhinderte so einen Zusammenbruch des West-Berliner Stromnetzes. Das Gewitter brachte in Frohnau 20 Liter Niederschlag pro Quadratmeter in nur 20 Minuten, in Rudow vernichtete Hagel einen Teil der Ernte, Bäume wurden entwurzelt, Dächer abgedeckt, es gab 13 Verletzte, zwei Tote. Doch die rechtzeitige Warnung durch das Radargerät hatte geholfen, noch Schlimmeres zu verhindern.

Rund 500 Abonnentinnen und Abonnenten hat die Zeitung

Die „Berliner Wetterkarte“ dokumentiert solche schweren Gewitterfronten ebenso wie meteorologisch ruhige Wetterlagen. Sie ist weltweit die einzige täglich erscheinende Wetterzeitung – seit 65 Jahren. Am 31. Oktober 1952 gab das Institut für Meteorologie der Freien Universität die erste Ausgabe heraus. Seit 1998 übernimmt der gemeinnützige Verein Berliner Wetterkarte diese Aufgabe und unterstützt damit Wissenschaft und Bildung. Die Redaktion sitzt mittlerweile im sechsten Stock des Wetterturms auf dem Steglitzer Fichtenberg.

Tagein, tagaus arbeiten dort Vereinsmitglieder und Studierende vor zwei Computern und einer Reihe Wetterkarten, auf denen die Daten der Wetterstationen in Europa eingetragen sind. Sorgfältig verbinden sie die Meldungen mit Linien, zeichnen Hochdruckgebiete oder Kaltfronten in die Karten ein. Dann übertragen sie diese in Computergrafiken, stellen in Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst Daten der deutschen und speziell der Berliner Wetterstationen aus dem Stadtmessnetz der Freien Universität zusammen, schreiben erklärende Texte und senden am frühen Nachmittag eine neue achtseitige Ausgabe der „Berliner Wetterkarte“ an die Druckerei und in die Welt hinaus.

Rund 500 Abonnentinnen und Abonnenten hat die Zeitung. Knapp die Hälfte erhält die gedruckte Fassung per Post – obwohl auch eine Onlineausgabe erscheint. „Unser ältester Abonnent ist 95 Jahre alt. Er liest die Wetterkarte jeden Tag mit einer großen Lupe in seiner Hamburger ,Wetterküche’“, erzählt Petra Gebauer, Vorsitzende des Vereins Berliner Wetterkarte. „Aber auch Versicherungen archivieren die Druckausgabe, um sie bei wetterbedingten Schadensfällen als Referenz heranziehen zu können.“ Zehn Regalmeter nehmen die gesammelten Ausgaben mittlerweile ein. Hinzu kommen diverse Satellitenbilder, die seit 1966, anfangs noch auf Kunstdruckpapier, täglich der Zeitung beigelegt werden – damals weltweit zum ersten Mal.

Das Wetter macht oft Schlagzeilen

Erste Berliner Wetterkarte vom 31. Oktober 1952.
Erste Berliner Wetterkarte vom 31. Oktober 1952.

© Michael Fahrig

Eine Zeitung für Einsteiger ist die Wetterkarte nicht. „Unsere Texte erläutern verständlich Wetterphänomene, die am Erscheinungstag interessant sind, sie genügen aber auch wissenschaftlichen Ansprüchen“, sagt Petra Gebauer. Gelesen wird die Zeitung von Menschen, die beruflich mit den Auswirkungen des Wetters zu tun haben – oder sich in das Thema hineingefuchst haben. „Das Wetter fasziniert viele Menschen, weil es Einfluss auf unser Leben und unsere Gesellschaft hat, auf Landwirtschaft, Medizin, Seefahrt oder Freizeitgestaltung zum Beispiel“, sagt Gebauer. Sie selbst hat die Begeisterung für die Meteorologie mit neun Jahren gepackt. Nach dem Abitur schrieb sich die Berlinerin an der Freien Universität ein und arbeitete schon damals in der Redaktion der Zeitung „Berliner Wetterkarte“ mit. „Wenn man mitten im Kalten Krieg Moskau anfunkte und um Wetterdaten bat, war es aufregend, dass tatsächlich etwas zurückkam. Ohne internationale Zusammenarbeit funktioniert Meteorologie nicht.“

Später erlebte Petra Gebauer hautnah, dass die gesammelten Daten sogar die politische Wetterlage beeinflussen können. „Nach der Katastrophe in Tschernobyl 1986 standen unsere Telefone wochenlang nicht still. Nur wir Meteorologen konnten den Weg der radioaktiven Wolke über unsere Wetterdaten verfolgen.“ Gedruckt wurde die Zeitung bis 2003 auf einer eigenen Offset-Druckmaschine, die heute im kleinen Museum des Instituts für Meteorologie steht, zusammen mit einem alten Fernsprecher und historischen Messgeräten.

Der Verein Berliner Wetterkarte organisiert Führungen durch die Räume, unterstützt Lehrerfortbildungen und bietet Schulexkursionen in die Welt der Meteorologie an. Die Einnahmen daraus helfen, die Tätigkeit der Studierenden zu finanzieren, die in der Redaktion der Wetterkarte arbeiten und die Beobachtungen der Wetterstation Berlin-Dahlem aufbereiten. Hinzu kommen Publikationen wie Geburtstagswetterkarten oder die „Berliner Klimafibel“, in der alle Wetterereignisse seit Beginn der Messungen in Dahlem 1908 aufbereitet und erklärt werden.

Jürgen Heise, Petra Gebauer und Julia Sieland vom Verein Berliner Wetterkarte beim Erstellen der „Wetterzeitung“.
Jürgen Heise, Petra Gebauer und Julia Sieland vom Verein Berliner Wetterkarte beim Erstellen der „Wetterzeitung“.

© Michael Fahrig

Studierende der FU kamen 1954 auf die Idee, Hoch- und Tiefdruckgebieten Namen zu geben

Mit Sponsoren, sagt Petra Gebauer, könnte der Verein gelassener in die Zukunft sehen, denn derzeit werden viele Aufgaben von ehemaligen Meteorologen übernommen, die bereits im Rentenalter seien. Zukünftig übernimmt der Verein auch die Koordinierung der Wetterpatenschaften. Bereits seit 2002 vergibt er gemeinsam mit der Freien Universität Namen für Hoch- und Tiefdruckgebiete an die Öffentlichkeit: 299 Euro kostet die Taufe eines Hochs, 199 Euro die eines der häufigeren Tiefs.

Auf die Idee, Hoch- und Tiefdruckgebieten Namen zu geben, waren 1954 Studierende der Freien Universität gekommen, unter anderem, weil es ihnen so leichter fiel, die Druckgebilde in der „Berliner Wetterkarte“ zuzuordnen und ihre Entwicklung zu verfolgen. Schlagzeilen macht das Wetter oft. Solche Ereignisse werden in der „Berliner Wetterkarte“ natürlich aufgegriffen und erklärt. Aktuell sind es Hurrikane und der extrem nasse Sommer, 1978 waren es zum Beispiel die Schneemassen in Schleswig-Holstein oder Inversionswetterlagen, die den Berlinern den Smog in die Lungen trieben.

Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz bereichert die Publikation täglich mit Daten aus dem Berliner Luftgütemessnetz. „Über die Jahre lernen unsere Leser, das Wetter zu verstehen und zu deuten“, sagt Petra Gebauer. Was in diesem Sommer einen handfesten Nutzen bot: Wer weiß, wie das Wetter entsteht und sich voraussichtlich entwickelt, wird selten von Schauern überrascht.

Mehr im Internet: www.wetterpate.de

Stefanie Hardick

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