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Pro-EU-Demonstration in Kiew am Tag vor dem Beginn des dritten Gipfeltreffens der "Östlichen Partnerschaft" Ende November 2013.

© Evgeny Feldman, CC BY-SA 3.0

Politikwissenschaft: Die Krise in der Nachbarschaft

Warum die Europäische Union mit der "Östlichen Partnerschaft" in den postsowjetischen Staaten nicht dauerhaft für Frieden und Wohlstand sorgen konnte.

Als die Europäische Union (EU) im Jahr 2008 das Programm der Östlichen Partnerschaft mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien, der Republik Moldau, der Ukraine und Weißrussland ins Leben rief, war die Hoffnung auf politische Transformation groß. Bisher allerdings hat sich in keinem der Länder die Partnerschaft mit der EU nachhaltig positiv auf Frieden, Wohlstand und Stabilität ausgewirkt. In einem von der Politikwissenschaftlerin Tanja Börzel koordinierten Forschungsprojekt an der Freien Universität suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach den Ursachen. Sie fragen außerdem, welche Möglichkeiten es gibt, die Ziele in Zukunft noch zu erreichen.

Das Projekt „EU-STRAT – The EU and Eastern Partnership Countries. An Inside-Out Analysis and Strategic Assessment“ ist eine internationale Kooperation von elf Universitäten und Forschungsinstituten – dazu gehören Partner aus der Europäischen Union, der Schweiz, der Republik Moldau, der Ukraine und Weißrussland. Die promovierte Politikwissenschaftlerin Esther Ademmer vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität ist wissenschaftliche Koordinatorin des Projektes.

Die EU hat die Nähe der früheren Sowjetstaaten zu Russland unterschätzt

Die Europäische Union habe die Nähe der ehemaligen Sowjetstaaten zu Russland unterschätzt, sagt Esther Ademmer: „So groß das Interesse an einer positiven Beziehung zur Europäischen Union ist, so sehr sind Armenien, Aserbaidschan, Georgien, die Republik Moldau, die Ukraine und Weißrussland – wenn auch in unterschiedlichem Maße – an einem guten Verhältnis zu Russland interessiert.“ Die Staaten seien oft ökonomisch vom großen Nachbarn abhängig, aber auch mit anderen Ländern eng verbunden, darunter die Türkei und die USA. „In bisherigen Analysen wurde die Rolle der EU überbewertet“, sagt die Politikwissenschaftlerin, „unser Ansatz ist es, die Perspektiven der einzelnen Staaten zu betrachten.“ Dazu gehöre eine gemeinsame Analyse der wirtschaftlichen und politischen Systeme. „Wir wollen wissen, welche Anreize innerstaatliche Eliten haben, politische Reformen umzusetzen“, sagt Esther Ademmer.

Ausgangspunkt ist ein Forschungsansatz des US-Ökonomen Douglas North. Er unterscheide zwischen „Limited Access Orders“, in denen politische Eliten die Wirtschaft kontrollieren, und „Open Access Orders“, die von politischem und ökonomischem Wettbewerb geprägt sind. Erstere seien in der Regel in Entwicklungsländern anzutreffen, während letztere typisch für Industriestaaten der westlichen Welt seien. North beschreibe zwei Pole, das EU-STRAT-Projekt strebe nun an, den Bereich dazwischen zu klassifizieren: „Ziel ist es, die Systeme der Länder in Eurasien besser beschreiben zu können, die zwischen Limited Access und Open Access anzuordnen sind“, sagt Ademmer.

"Die Eliten haben kein großes Interesse an freien und fairen Wahlen"

Es gebe in den betroffenen Ländern zwar formal einen politischen Wettbewerb, de facto finde er aber nur begrenzt statt, sagt die Wissenschaftlerin: „Die dortigen Eliten haben kein großes Interesse an freien und fairen Wahlen.“ Das sei allerdings nicht gleichzusetzen mit Diktaturen, in denen Veränderungen nahezu ausgeschlossen sind. „Wir wollen genau analysieren, wer die Akteure sind, die in den Staaten der östlichen Nachbarschaft für politischen Wettbewerb eintreten könnten – und wie man diese stärken kann“, erklärt Ademmer. Es gehe darum, nicht nur die Situation in diesen Staaten zu verstehen, sondern auch Einflussmöglichkeiten seitens der Europäischen Union auszuloten. Das gelte für die Politik ebenso wie für die Wirtschaft.

Dabei solle etwa konkret untersucht werden, wie Korruption abgebaut werden kann oder Monopole verhindert und oligarchische Wirtschaftsformen zu fairerem Wettbewerb gebracht werden können. „Wir wollen herausfinden, wo die Einfallstore für externen Einfluss liegen, um Staaten in ihrer Entwicklung zu Open Access Orders zu unterstützen“, sagt Ademmer, „aber es ist natürlich auch ein politischer Wille nötig, diese zu nutzen.“

Manuel Krane

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