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Günther M. Ziegler ist Präsident der Freien Universität Berlin.

© Kay Herschelmann

Präsidentenkolumne: Fluch und Segen

Neue Technologien von KI bis Big Data bergen Chancen und Risiken. Die Freie Universität arbeitet daran, die richtigen Weichen zu stellen.

In der mündlichen Abiturprüfung hat mich der Religionslehrer gefragt, was denn Heisenberg mit der „Ambivalenz von Naturwissenschaften und Technik“ gemeint habe. Ich hatte keine überzeugende Antwort parat – hauptsächlich deshalb, weil ich mir nicht sicher war, was das Wort „Ambivalenz“ eigentlich genau bedeutet. Inzwischen weiß ich das. Ich lerne dazu.

Werner Heisenberg, einer der Väter der Quantenmechanik, bezog sich – in einer Rede aus dem Jahr 1973 über „Naturwissenschaftliche und religiöse Wahrheit“ – auf die Verbindung von Wissenschaft und Technik, die mit der Bekämpfung von materiellem Elend, dem medizinischen Fortschritt, der Entwicklung von Nachrichtentechnik und Verkehrssystemen viel Segensreiches produziert habe, aber auch Waffen von schlimmster Zerstörungskraft.

Die Frage ist aktueller denn je: Mit sogenannter Künstlicher Intelligenz, Big Data, Kommunikationsnetzen und demnächst vermutlich Quantencomputern verfügen wir über Hilfsmittel von größter Durchschlagskraft, die alle ambivalent sind; Fluch und Segen liegen nah beieinander.

Zur vernünftigen Weichenstellung für die Zukunft werden auch Wissenschaft und Lehre an der Freien Universität beitragen.

Wie vertragen sich KI und Fortschritt?

Methoden der Künstlichen Intelligenz oder KI können wesentlich zu medizinischem, wissenschaftlichem, technischem und kulturellem Fortschritt beitragen – sie können aber auch zur Überwachung der Gesellschaft missbraucht werden. Ergebnisse von KI-Methoden können beeindrucken, aber auch blenden.

Mühelos und schnell werden Datensätze interpoliert, die dann qualitativ hochwertiger und reichhaltiger erscheinen, als sie es eigentlich sind – und so Schlussfolgerungen in Studien provozieren, die keine ausreichende Grundlage haben. Das ist keine abstrakte Gefahr, sondern bereits geschehen. So erst kürzlich in zwei Klimastudien, die in den höchst renommierten Wissenschaftsblättern Science und Nature Communications erschienen waren.

Die Frage, wie sich KI-Methoden und Big Data mit Demokratie und Privatsphäre vertragen, werden uns weder US-amerikanische noch chinesische Hightech-Konzerne zufriedenstellend beantworten. Dafür braucht es auch Antworten aus Europa, von Fachleuten aus Deutschland, von Expertinnen und Experten aus Berlin.

Der Schaden kann immens sein

Die Ambivalenz ist akut; die kritisch berichtende und in ihrem Heimatland verfolgte philippinische Journalistin Maria Ressa warnte erst vor wenigen Tagen auf der Münchener Digitalkonferenz: „Daten sind nicht das neue Öl. Sie sind das neue Plutonium“.

Und Quantencomputer, was können die? Wenn sie, vermutlich in einigen Jahren, großtechnisch realisiert sind, werden die Computer hochkomplexe Probleme lösen und zum Fortschritt beitragen – aber auch die Verschlüsselungstechniken und Sicherheitsmechanismen der modernen Kommunikationsnetze aus den Angeln heben.

Der Schaden kann immens sein. Daher wollen und müssen wir uns hier, in Berlin, an den Entwicklungen der neuen Technologien beteiligen; wir wollen mitmachen, mitgestalten, aber auch Regeln und Schutzmechanismen entwerfen und implementieren.

An der Freien Universität werden Disziplinen wie Quantenphysik und Ethik auf internationalem Spitzenniveau betrieben. Sie müssen und werden zusammenwirken, damit Gutes für alle entsteht – und Schlechtes verhindert wird.

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