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Die Charité in Mitte - das Uniklinikum zählt zu den größten Europas und ist an vier Standorten in Berlin angesiedelt: Buch, Mitte, Steglitz und Wedding.

© dpa/ Peer Grimm

Psychiatrie jetzt im Benjamin Franklin: Tür an Tür mit den Kollegen

Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist auf den Campus Benjamin Franklin gezogen.

Auf den Gängen stehen zwar noch Kartons, aber der eigentliche Kraftakt ist geschafft. Bei vollem Betrieb, also mitsamt allen Patienten, die derzeit auf der Station behandelt werden, ist die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie von der Eschenallee in Westend nach Steglitz umgezogen. 18 Monate hat der elf Millionen Euro teure Umbau zweier Kliniketagen im Charité-Klinikum auf dem Campus Benjamin Franklin gedauert. „Der Umbau war unter anderem notwendig geworden, weil die Unterbringung unserer Patienten in der Eschenallee nicht mehr zeitgemäß war“, sagt Isabella Heuser, Direktorin der Klinik.

Anders als die Gebäude der ehemaligen „Kurklinken Westend“, die 1952 von der Freien Universität übernommen und später erweitert worden waren, verfügt die neue Einrichtung ausschließlich über Ein- und Zweibett-Zimmer mit jeweils eigenem Bad und Multimediageräten, einschließlich Internetzugang. Eine Besonderheit sind die Mutter-Kind-Einheiten, die Platz für zehn Mütter und ihre Kinder bieten.

Die Klinik, die sich auf 5500 Quadratmetern erstreckt, ist nicht, wie meist üblich, in Akut- und Psychotherapiestation aufgeteilt, sondern in Module. „Modul bedeutet Diagnostik- und Therapieeinheit. Hier arbeiten jeweils Ärzte, Psychologen und Pflegekräfte mit spezieller psychiatrischer Fachausbildung an ganz bestimmten Krankheitsbildern“, erklärt Heuser. So ist im „Affektiven Modul“ die Arbeit auf Depressionen ausgerichtet – von der Diagnose über Psychotherapie, medikamentöse Therapie, Stimulationsverfahren bis hin zu den Patientenzimmern. Weitere Module widmen sich der Behandlung von Schizophrenie, dem Borderline-Syndrom und anderen narzisstischen Störungen, posttraumatischen Belastungsstörungen sowie Depressionen und psychotischen Episoden nach einer Geburt. Schon jetzt zeigt sich: Das Mutter-Kind-Modul ist extrem gefragt. „Wir könnten hier locker 40 Betten belegen“, sagt Heuser. Darüber hinaus gibt es Ambulanzen für Betroffene mit Autismus im Erwachsenenalter und mit ADHS, also mit einer Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. Außerdem gibt es eine arabische Sprechstunde, die ein syrischer Arzt abhält, der an der Charité seine Weiterbildung zum Facharzt absolviert hat. Auch vietnamesische Patienten können sich einer Psychiaterin in ihrer Muttersprache anvertrauen.

Dass ihre Behandlung nun in einem „richtigen“ Krankenhaus stattfindet, ist für die Patienten kein Problem, meint Heuser. „Eher im Gegenteil. Es mindert die Stigmatisierung.“ Denn obwohl längst bekannt ist, dass psychische Erkrankungen wie Depressionen auf ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn zurückzuführen sind – und dementsprechend auch als Organ-Erkrankung betrachtet werden –, haben sie in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch ein gewisses Stigma. Zu Unrecht, wie Isabella Heuser betont: „Im Grunde hat alles, was wir tun, mit unserem Hirn zu tun. Es hilft, wenn wir den Patienten erklären, warum die Substanzen, die wir ihnen geben, ihr Empfinden verändern. Fast jeder kennt die beruhigende Wirkung von Alkohol: Wir fühlen uns entspannter und wohler. Diesen Effekt können aber auch Worte haben.“ Eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten sei deshalb in aller Regel die Methode der Wahl.

Nur wenige Schritte von den Kollegen der anderen medizinischen Fachrichtungen entfernt zu sein, ist nach Heusers Ansicht ein weiterer Pluspunkt des neuen Standortes. „Denn es gibt viele Wechselwirkungen zwischen psychischen und den sogenannten körperlichen Erkrankungen. Depressive leiden beispielsweise häufiger an Diabetes und haben ein deutlich höheres Risiko für Bluthochdruck und Schlaganfälle.“ Die Mitbehandlung kann jetzt bequem im Haus erfolgen. Auch für die wissenschaftliche Arbeit der Klinik sei diese Nähe ideal. Forschungskooperationen zwischen den Fachrichtungen böten sich geradezu an. Klassischerweise arbeitet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit der Neurologie zusammen, aber auch Kooperationen mit dem Kardiologen-Team von Professor Ulf Landmesser seien geplant.

Nicht nur die Wege im Haus sind nun ganz kurz – auch zum Campus der Freien Universität ist es nicht weit. „Darüber sind wir sehr glücklich, weil wir intensiv mit den Wissenschaftlern der Freien Universität zusammenarbeiten. Etwa im Forschungsverbund DynAge (Diseases in Human Aging), der sich mit Erkrankungen in verschiedenen Altersphasen des Lebens beschäftigt, oder mit dem Dahlem Institute for Neuroimaging of Emotions.“ Zu den Forschungsgebieten von Heusers Team gehören Diagnostik und experimentelle Behandlung von Gedächtnisstörungen – insbesondere bei Alzheimer-Erkrankungen. Die Klinik verfügt über die größte Gedächtnis-Ambulanz im Land Berlin. „Patienten kommen meist mit ihren Angehörigen zu uns. Nach der Diagnose bieten wir vielen die Teilnahme an einer Studie an.“

Ein weiterer Schwerpunkt sind Emotionsmodulation und -regulation bei Depression und Borderline-Syndrom. „Oft sind diese Patienten emotional ganz erstarrt“, sagt Heuser. Daneben werden kognitive Veränderungen bei schizophrenen Patienten untersucht. „Das, was Laien mit Schizophrenie verbinden – Wahnvorstellungen, Stimmenhören – ist heute durch Medikamente sehr schnell in den Griff zu bekommen“, erklärt die Klinikchefin. „Aber bei den kognitiven Defiziten wie Konzentrationsschwäche, geringes Durchhaltevermögen oder Apathie, die einer Ausbildung oder dem Studium im Wege stehen, haben wir medikamentös noch keinen überzeugenden Erfolg.“ Je nach Störungsbild und -schwere bleiben die Patienten zwischen sieben Tagen und drei Monaten in der Klinik. Anders als in der Eschenallee liegt sie jetzt zwar nicht mehr inmitten einer idyllischen Parkanlage, die während des Semesters von Studierenden bevölkert wird. Doch an das neue Gelände grenzen zwei weitläufige Parks. Ein Manko am neuen Domizil hat mancher Patient allerdings bereits festgestellt: Mal eben schnell vor die Tür eine rauchen gehen? Das geht nicht mehr. Die Wege durch die große Universitätsklinik sind lang. Doch Bewegung soll ja auch gut für die Psyche sein. Und Rauchen schadet sowieso der Gesundheit.

Catarina Pietschmann

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