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Französisch schon im Kindergarten. Im Saarland soll bis zum Jahr 2043 neben der deutschen Sprache das Idiom des Nachbarlandes als zweite Verkehrs- und Umgangssprache etabliert werden.

© Rainer Jensen/picture-alliance/dpa

Sprachforschung: Vorteil auf der Zunge

Der Sprachwissenschaftler Philipp Krämer hat untersucht, wie die Frankreichstrategie des Saarlandes vor Ort ankommt.

„Großes entsteht immer im Kleinen“, lautet der Werbeslogan des Saarlandes. „Klein“ ist dabei natürlich relativ, denn das Bundesland an der Grenze zu Frankreich ist sogar noch um ganze 2381 Fußballfelder kleiner als das ebenfalls benachbarte Luxemburg: Das Saarland hat eine Größe von 2569 Quadratkilometern, was nicht einmal einem Prozent der Fläche der Bundesrepublik entspricht; dort leben nur rund eine Million Menschen. Auf einer Deutschlandkarte wirken die Umrisse des benachbarten, knollennasigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz so, als verschlinge es das Saarland mit weit aufgerissenem Mund – es gab wohl keine Debatte über den Länderfinanzausgleich, bei der das Saarland nicht für Fusionsfantasien herhalten musste. So war es die Sorge um die Eigenständigkeit des Landes, die die Große Koalition unter Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) Anfang 2014 dazu bewog, für das Saarland eine „Frankreichstrategie“ auszurufen – mit Unterstützung der Opposition: Binnen einer Generation, also bis 2043, soll Französisch dort durch ein breites Bildungsangebot als zweite Alltagssprache etabliert werden – vom Kindergarten über die 1. Klasse bis zur weiterführenden Schule. Ziel ist es, das Saarland zu einer „mehrsprachigen Region deutsch-französischer Prägung“ zu machen.

„Eine Erziehungsmaßnahme? Wie denkt denn die Bevölkerung darüber?“, fragte sich Philipp Krämer, promovierter Sprachwissenschaftler der Freien Universität Berlin, der selbst im Saarland aufwuchs und das deutsche und französische Bildungssystem kennengelernt hat. Als Regierungschefin Kramp-Karrenbauer im jüngsten Landtagswahlkampf die Frankreichstrategie als „größten Erfolg“ der Legislaturperiode pries, wollte Philipp Krämer es wissen: Im April führte er eine Online-Umfrage durch, an der sich 1400 Personen beteiligten, darunter – in aussagekräftiger Zahl – 1200 Saarländerinnen und Saarländer von etwa 20 bis 70 Jahren. Krämers Interesse galt dabei vier Aspekten: der Sprachpolitik, der Mehrsprachigkeit, den Einstellungen zur Sprache und der sozialen Bedeutung von Sprachen.

Die Menschen wollen und brauchen Französisch

Die Eindeutigkeit seiner Ergebnisse verblüffte den Wissenschaftler, der am Interdisziplinären Zentrum „Europäische Sprachen“ der Freien Universität tätig ist: „Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung des Saarlands möchte stärker mehrsprachig werden und dem Französischen im Alltag einen größeren Stellenwert einräumen. Sie wollen und brauchen Französisch.“ Fast zwei Drittel der Befragten bewerteten die Frankreichstrategie demnach als „gut“ oder „eher gut“. Die Zustimmung habe auf allen Bildungsniveaus und in allen Beschäftigungsgruppen überwogen. „Dazu beigetragen hat sicher, dass die Verflechtungen mit Frankreich und Luxemburg für die Menschen in der Region selbstverständlich geworden sind“, sagt Philipp Krämer.

In demografischer Hinsicht allerdings habe es Unterschiede gegeben, hebt der Wissenschaftler hervor: Am stärksten lag die Zustimmung bei den unter 30- und über 50-Jährigen. Die Gründe dafür konnte der Forscher an den rund 300 Freitext-Kommentaren ablesen, zu denen er im Rahmen der ansonsten standardisierten Befragung angeregt hatte: „Die jüngeren Befürworter standen unter dem Eindruck ihrer eigenen positiven Erfahrungen einer zweisprachigen Schulbildung, denn an den Grundschulen wird seit 1992 Französisch angeboten; die älteren Befürworter bedauerten, die Chance einer zweisprachigen Schulbildung selbst nicht gehabt zu haben.“ Bei den Skeptikern dagegen handele es sich vielfach um Eltern, die Angst vor einer Überforderung ihrer Kinder hätten. „Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive sind diese Befürchtungen nicht begründet, weil frühe Mehrsprachigkeit dem Bildungserfolg nicht schadet, sondern ihn fördert“, sagt Philipp Krämer. Wenig überzeugt von positiven Auswirkungen der Frankreichstrategie im Alltag sei auch eine zweite Gruppe von Skeptikern, die nicht ganz so grenznah zu Frankreich lebenden Nordsaarländer.

Sprache als wichtiger wirtschaftlicher Faktor

Mit einem Pfund kann das Saarland schon jetzt wuchern: Das ambitionierte Ziel funktionaler Französischkenntnisse scheint binnen einer Generation erreichbar, wie die Studie weiter ergab. „Die Menschen im Saarland haben im Zuge der europäischen Integration gute Französischkenntnisse erlernt und nutzen diese in privaten und beruflichen Zusammenhängen“, konstatiert Philipp Krämer. Die Sprache sei nicht nur ein Mittel der Verständigung, sondern könne ein wichtiger wirtschaftlicher Vorteil werden. „Wenn es gut läuft, haben die Menschen immer stärker das Gefühl, sie hätten es nicht mit Handelspartnern im Ausland zu tun, sondern mit Menschen von nebenan. Wer Kontakt sucht, nimmt ihn auf, weil er weiß, wie es geht", sagt der 33-Jährige. Große Bedeutung komme künftig dem Nebeneinander des Französischen und des Englischen zu. „Es wird darauf ankommen, dass für die Menschen im Saarland der regionale Kontext ebenso wichtig bleibt wie der internationale – und dass sie in beiden Sprachen gleichermaßen gut kommunizieren können.“ Mindestens ebenso bedeutsam sei es, den Funken überspringen zu lassen von den Schulen auf andere Bereiche des täglichen Lebens. „Förderprogramme innerhalb der Frankreichstrategie könnten beispielsweise binationale Vereine oder Partnerschaften zwischen Vereinen unterstützen“, sagt Philipp Krämer.

Wird also die Frankreichstrategie der große Wurf für das kleine Bundesland – und kann sie dazu beitragen, den Fortbestand des Saarlandes als eigenständiges Bundesland zu sichern? „Es ist fraglich, ob es sinnvoll ist, die Frankreichstrategie als Mittel zum Erhalt der Eigenständigkeit zu kommunizieren“, sagt der Sprachwissenschaftler, denn die Befragten der Studie sähen keine deutliche Verknüpfung zwischen beiden Themen. Die Frankreichstrategie erfährt der Studie zufolge aber mehr Anklang bei denjenigen, die das Saarland auch künftig als eigenes Bundesland erhalten möchten.

Auf eines kann sich jede künftige Regierung in Saarbrücken wohl verlassen, und das hält Philipp Krämer auch ohne Blick auf seine Studie fest: „Die Saarländer lassen sich keine Fusion von außen aufdrängen und würden ihr in einem Referendum nicht zustimmen. Sie sind hartnäckig.“

Carsten Wette

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