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Unweltverschmutzung - schon vor 2000 Jahren hatten die Menschen damit zu kämpfen.

© dpa

Umweltverschmutzung in der Antike: Wo selbst die Götter machtlos waren

Umweltverschmutzung ist schon im Altertum ein Problem gewesen - an mangelndem Bewusstsein lag es auch damals nicht.

Chemie-Abfälle, Autoabgase oder durch Fracking verseuchte Böden: Als wesentliche Ursache von Umweltverschmutzung gilt heute der industrielle Fortschritt seit dem 19. Jahrhundert. Doch handelten die Menschen vor 1000 oder 2000 Jahren umweltbewusster, weil es keine Industrie im modernen Sinne gab? Lebten sie im Einklang mit der Natur, wie es idyllische Darstellungen in antiker und mittelalterlicher Literatur vermuten lassen? „Keineswegs“, sagt Gian Franco Chiai, „im Gegenteil.“ Der promovierte Althistoriker und Philologe erforscht gemeinsam mit seiner Edinburgher Kollegin Orietta Cordovana die Umweltverschmutzung in der Antike. Die beiden Wissenschaftler fragen sich etwa, welche Formen von Umweltverschmutzung es zwischen dem 8. Jahrhundert v. Chr. und dem Mittelalter gab und ob den Menschen bewusst war, welchen Anteil sie an den Naturschäden tragen.

Bei seinen Recherchen in literarischen und epigrafischen Quellen stieß Chiai auf eine Fülle von Material: Inschriften sowie wissenschaftliche und medizinische Traktate, die zwar bekannt, aber bisher nur unter anderen Gesichtspunkten analysiert worden waren. Aufschluss gab auch eine Menge uralten Unrats. „In einer römischen Siedlung in Hessen ist zum Beispiel ein alter Brunnen gefunden worden – gefüllt mit mehreren Schichten jahrhundertealten Abfalls“, berichtet der Wissenschaftler: „Holz, Reste von Waffen, Leder, Fäkalien von Tieren und Menschen und vieles mehr. Das Wasser dieses Brunnens muss hochgradig kontaminiert gewesen sein.“

Anhand der historischen Quellen kommt Chiai zu dem Schluss: In den meisten Städten des ehemaligen Römischen Reiches war die Verunreinigung von Wasser ein großes Problem. „Sauberes Trinkwasser konnte selten und kostbar sein“, sagt Chiai, „dessen Verschmutzung umso folgenschwerer.“ Das zeigen auch Laboranalysen von antikem Abfall, der für die Wissenschaft sonst kaum von Interesse ist. Besonders Heere, die über einen längeren Zeitraum an einem Ort lagerten, trugen in der Antike zur Wasserverschmutzung bei: „In den römischen Lagern lebten Tausende von Männern, die ihren alltäglichen Körperbedürfnissen nachgingen. Zudem mussten Pferde und andere Tiere jeden Tag gefüttert, gewaschen und gepflegt werden“, erläutert Chiai. „Die Reinheit der Flüsse, an deren Ufern sich die meisten Militärlager befanden, dürfte nicht oberste Priorität gehabt haben.“ Dass verschmutztes Wasser und verseuchter Boden das Wohlbefinden und die Lebensqualität beeinträchtigen können, war den Menschen im Altertum sehr wohl bekannt – Konsequenzen daraus zog man meist jedoch nicht. Zwar verboten Inschriften an Brunnen den Menschen, dort ihre Kleider zu waschen oder ihre Tiere zu tränken. „Es war lange Zeit üblich, Bleigefäße zu verwenden, obwohl man wusste, dass das Metall giftig ist und der menschliche Organismus damit besser nicht in Berührung kommen sollte“, sagt Gian Franco Chiai.

Menschliche Exkremente scheinen im Altertum oft ein Auslöser für die Verunreinigung des Wassers und der Landschaft rund um die Städte gewesen zu sein. So warnte eine Inschrift auf einem Tor zur griechischen Stadt Ephesos, dass der Zorn der Stadtgöttin Artemis jeden treffen werde, der hier seinen Bedürfnissen nachginge. „Viele Inschriften äußern sich dazu sehr explizit“, sagt Chiai – und in deutlichen Worten. „Hier darf man weder kacken noch pissen!“, war auf besagtem Stadttor zu lesen. Ein ähnliches Beispiel findet sich in einer Inschrift auf dem Triumphbogen von Thigibba im heutigen Tunesien: „Wenn jemand an diesem Ort uriniert, wird diese Person den Gott Mars zornig machen.“ Mit der Rache der Götter zu drohen, war ein beliebtes Mittel – allerdings mit mäßigem Erfolg, wie Chiai glaubt. Für Lösungsansätze fehlte den Menschen wohl auch das nötige technische Wissen. Dennoch: „Die Probleme wurden erkannt und thematisiert.“

Aus neuen Analysen von Mumien aus dem Alten Ägypten schließt Chiai zudem, dass es damals an bestimmten Orten bereits erhebliche Luftverschmutzungen gegeben haben könnte. Isabella Andorlini von der Universität Parma wertete die Mumienbefunde im Zusammenhang mit alten Medizinpapyri aus. Das Ergebnis: Die Menschen seien vermutlich an einer Art Lungenkrebs sowie Tuberkulose gestorben. Womöglich, schlussfolgert Gian Franco Chiai, weil sie in der Nähe von Werkstätten gelebt hätten, in denen mithilfe von giftigen Stoffen Leinen und andere Textilien hergestellt wurden. „Schon die Medizintraktate der Alten Griechen brachten Krankheiten mit Umweltverschmutzung in Verbindung“, sagt Chiai.

Bleibt die Frage: Haben wir etwas von unseren Vorfahren gelernt? Wieder lautet Chiais eindeutige Antwort: Nein. „Schon in der Antike wollten die Menschen der Natur nicht bewusst schaden – und verschmutzten ihre Umwelt dennoch. Wir machen leider die gleichen Fehler wie sie.“ Zwar gibt es inzwischen Möglichkeiten, Trink- und Abwasser voneinander zu trennen und die Städte einigermaßen sauber zu halten. Doch produziert der Mensch so viel Müll, Abgase und Chemie-Abfall wie nie zuvor.

Wichtig war es Chiai und seinen Kollegen auch, ein Forschungsnetzwerk aufzubauen. Zu diesem Zweck veranstalteten die Wissenschaftler im vergangenen Jahr eine internationale Konferenz zum Thema „Umwelt in der Antike“, gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung und unterstützt vom altertumswissenschaftlichen Exzellenzcluster Topoi, einem interdisziplinären Forschungsverbund, der von Freier Universität und HumboldtUniversität getragen wird. Geplant ist außerdem eine Monografie, in der die bisherigen Forschungsergebnisse gesammelt und ausgewertet werden. Die Förderung durch die Thyssen Stiftung ist inzwischen ausgelaufen. Nun hat Gian Franco Chiai neue Pläne: Er möchte sich der Erforschung von Umwelt- und Klimakatastrophen in der Antike widmen, wenn möglich mit Unterstützung des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität. An einem entsprechenden Antrag arbeitet der Wissenschaftler zurzeit. Und vielleicht gelingt es so auf lange Sicht, aus den Fehlern der Menschen in der antiken Welt für die Zukunft zu lernen.

Verena Blindow

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