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Wahlentscheidend? Die Nominierung von Kamala Harris als Vizepräsidentin soll den Demokraten Stimmen von Frauen und aus der asiatisch-stämmigen und schwarzen Wählerschaft sichern.

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US-Präsidentschaftswahl 2020: Make America Vote Again

Am 3. November ist Wahltag in den USA. Kann Donald Trump sein Amt verteidigen oder wird der Ex-Vize Joe Biden der neue starke Mann in Washington? Ein Ausblick mit Experten und Expertinnen der Wissenschaft.

Dürften die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner ihren Präsidenten direkt wählen, hätte es der Republikanische Amtsinhaber Donald Trump schwer: Umfragen sehen den Demokratischen Herausforderer Joe Biden in diesen Tagen deutlich vorn. In den bevölkerungsreichen Küstenstaaten wie Kalifornien oder New York etwa sagen die Demoskopen Erdrutschsiege für Biden voraus.

Doch nicht die absolute Zahl der Stimmen wird entscheiden. Es sind die Wahlmänner, die am 14. Dezember über das neue Staatsoberhaupt abstimmen. Dabei entsendet jeder Bundesstaat je nach Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl an Wahlmännern nach Washington. Es gilt zumeist das Mehrheitswahlrecht: Wer in einem Staat gewinnt, bekommt die Stimmen aller Wahlmänner.

Viele Ergebnisse sind schon heute ziemlich sicher: Die Wahlmänner aus Massachusetts, Illinois und Hawaii werden wohl Joe Biden wählen, auf die aus West Virginia, Tennessee, Alaska und Utah kann Donald Trump zählen. Es werden die sogenannten Swing States sein, die auch bei dieser Wahl den Ausschlag geben: Florida, Pennsylvania und Ohio, North Carolina, Arizona, Iowa und Georgia, dazu Michigan, Minnesota und Wisconsin – diese Staaten konnte Trump 2016 alle für sich gewinnen. In diesem Jahr ist das Rennen offen.

Prognose: kein Wahlergebnis am 3. November

Christian Lammert, Professor für Politikwissenschaft am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität, prognostiziert, dass es am 3. November kein Wahlergebnis geben wird: „In den umkämpften Staaten gibt es Wahlbezirke, in denen buchstäblich jede Stimme zählt. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie wird es bei dieser Wahl eine Rekordbeteiligung bei der Briefwahl geben. Es wird in den Tagen nach der Wahl bestimmt zu Nachzählungen und Stimmenverschiebungen kommen.“

Diese Phase der Unsicherheit könnte Amtsinhaber Trump nutzen, um das Ergebnis der Wahlen zu delegitimieren: „Trump hat im Vorfeld immer wieder versucht, die Briefwahl als manipulationsanfällig dastehen zu lassen“, sagt Lammert. Zugleich versuchen er und seine Anhänger, diejenigen Wählergruppen von den Abstimmungen fernzuhalten, die mehrheitlich die Demokraten wählen.

Da wird in einem überwiegend von Schwarzen bewohnten Bezirk die Wählerregistrierung erschwert, in einigen Bundesstaaten dürfen Vorbestrafte nicht mehr wählen – statistisch gesehen trifft das die traditionell ärmere Wählerschicht der Demokraten besonders. Dabei schlägt der Herausforderer sich erstaunlich gut. Von Trump als seniler Trottel inszeniert, schafft Biden es besser als Hillary Clinton vor vier Jahren, die Demokraten zu mobilisieren.

Wahlentscheidend könnte sich letztendlich erweisen, dass er mit Kamala Harris eine verhältnismäßig junge Frau mit indisch-jamaikanischen Wurzeln als Vize ins Boot geholt hat. „Das wird Asiatischstämmige und Schwarze, aber auch viele Frauen mobilisieren“, sagt Christian Lammert. Insofern spiele sicher auch eine Rolle, wie sich die Black-Lives-Matter-Demonstrationen weiterentwickeln. „Die Proteste und Ausschreitungen geben Trump die Gelegenheit, von den eigentlich drängenden Fragen abzulenken. Wenn es die Demokraten umgekehrt schaffen, die Lage in der Gesundheitspolitik und beim Weltklima – etwa durch eine ungewöhnlich schwere und lange Hurrikan-Saison – auf die Agenda zu bringen und dadurch ihre Wähler zu mobilisieren, hat Trump eigentlich keine Chance.“

Trumpf für Trump: er gilt als Wirtschaftsexperte

Ein Gebiet, auf dem der Präsident nach wie vor punkten könne, sei die ihm zugesprochene wirtschaftliche Expertise, betont Professor Max Steinhardt, Abteilung Wirtschaft am John-F.-Kennedy-Institut. „Der Präsident wird noch immer von vielen Wählern aus dem Republikanischen Lager als Geschäftsmann und ,man of action’ gesehen.“ Dank steigender Börsenkurse habe Trump den gesamten Sommer über versucht, die Illusion einer gesunden Erholung der Märkte nach dem Corona-Schock aufrechtzuerhalten. „Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache“, sagt Max Steinhardt.

Der neue „Weekly Economic Index“ (WEI) der Federal Reserve Bank of New York, der die wöchentliche Entwicklung der Beschäftigungszahlen, des Konsums und der Industrieproduktion abbildet, notiere seit Monaten im negativen Bereich: „Während der Finanzkrise 2008/2009 lagen die tiefsten Werte bei minus vier Prozent. Im April haben wir minus zwölf Prozent gesehen, und auch wenn sich die Wirtschaft seitdem etwas erholt hat, blieb es den gesamten Sommer über bis in den Herbst hinein bei Werten von unter minus fünf Prozent.“

Aber noch ist die Krise bei vielen Amerikanern nicht in aller Härte angekommen, das Arbeitslosengeld und staatliche Hilfszahlungen konnten in den ersten Monaten der Pandemie die Folgen der wirtschaftlichen Verwerfungen mildern; die amerikanische Notenbank pumpte bislang ungekannte Mengen an Liquidität in die Märkte. Max Steinhardt geht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Situation nicht so rasch entspannen wird. Zudem werde die Zahl der Insolvenzen nach oben schnellen, viele Hausbesitzer werden ihre Kreditraten nicht mehr zahlen können und von Zwangsräumungen betroffen sein. „Das dicke Ende kommt wohl noch", konstatiert der Volkswirt, „die Frage wird sein, ob es so schnell kommt, dass es die Wahl zugunsten Bidens entscheidet.“

Amtsbonus? Präsident Donald Trump.
Amtsbonus? Präsident Donald Trump.

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Beide Kandidaten üben China-Kritik

„Trump redet die wirtschaftlichen Folgen seiner Politik einfach weg und spricht von einer Lügenkampagne“, sagt Eberhard Sandschneider. Er ist Professor im Ruhestand, Partner bei der Unternehmensberatung Berlin Global Advisors und Dozent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität. Er beobachtet eine erstaunliche Einigkeit beider Kandidaten in ihrer China-Kritik. „Allerdings setzt Joe Biden in den Beziehungen zu Peking eher auf Verhandlungen, nicht auf Drohungen und Erpressung wie Donald Trump in den vergangenen Jahren.“ Dabei habe China Trump lange als perfekten Präsidenten für die Interessen Chinas wahrgenommen. „Er war der Garant für den weiteren Niedergang der USA.

Aber nun spürt man in Peking – etwa in Trumps Umgang mit Huawei – die negativen Folgen dieser Wirtschaftspolitik. Biden wäre sicher der kalkulierbarere Gesprächspartner, aber nicht unbedingt der für China bessere.“

Die Außenpolitik des nächsten Präsidenten werde durch einige Herausforderungen geprägt, sagt Lora Anne Viola, Professorin für Außen- und Sicherheitspolitik in Nordamerika am John-F.-Kennedy-Institut: die unsichere Zukunft der amerikanischen Sicherheitsgarantien für Europa, die US-China-Rivalität – insbesondere für den Wettbewerb um die Vorherrschaft in digitalen Netzwerken – sowie die anhaltende Ambivalenz der USA gegenüber Multilateralismus.

Blick nach vorn: Herausforder Joe Biden.
Blick nach vorn: Herausforder Joe Biden.

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„Während Präsident Trump für Unruhe in den transatlantischen Beziehungen sorgt, äußert sich Biden gegenüber Verbündeten versöhnlich und will die USA zur multilateralen Kooperation zurückführen. Doch die transatlantische Partnerschaft wird nie zu ihrer einstigen Blüte zurückkehren.“ Eines stehe aber auch fest, sagt Lora Anne Viola: „US-Wahlen werden nicht durch außenpolitische Themen entschieden, auch 2020 nicht.“

Beide Kandidaten sind darauf angewiesen, die eigenen Wähler zu mobilisieren und zu verhindern, dass die Sympathisanten des Gegners zur Wahl gehen. Darin sind sich die Experten einig. Deshalb wird die Medienstrategie auch in diesem Wahlkampf eine entscheidende Rolle spielen. So sieht Curd Knüpfer, „dass sich die Tendenzen des Wahlkampfs 2016 verfestigen und der digitale Strukturwandel der US-Öffentlichkeit weiter voranschreitet“.

Der Einfluss der sozialen Netzwerke steigt

Der Juniorprofessor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt politische Kommunikation konstatiert, dass das Fernsehen in den USA zwar noch immer eine größere Rolle als etwa in Deutschland spiele. Gerade über die regionalen Sender ließen sich viele Wähler mobilisieren. Zunehmend seien es aber die Sozialen Netzwerke, die beide Seiten für ihren Wahlkampf nutzen: „Dabei ist oft unklar, woher das Geld stammt. Werbung und Meinung verschwimmen; das macht es sowohl für die Wählerschaft als auch für Forscherinnen und Forscher schwierig, den Einfluss dieser Medien genauer zu untersuchen.“

Trump inszeniere sich „als Medienopfer – und das treibt ihm Wähler zu, denn nur noch rund 23 Prozent der republikanischen Wähler vertrauen klassischen Medien“, sagt Curd Knüpfer. Joe Biden dagegen müsse fürchten, dass seine Wähler nicht zur Wahl gehen, weil sie glauben, das Rennen ums Weiße Haus sei schon gelaufen. „Hier setzt die Kommunikation der Demokraten an, die die Wahl zur Schicksalsentscheidung für die amerikanische Demokratie stilisieren soll“, sagt Knüpfer. „Die Republikaner dagegen werden versuchen, ein Narrativ zu entwickeln, das an der Person Biden hängen bleibt“, erläutert der Politikwissenschaftler.

„Ich bin gespannt, was beide Seiten in diesem Jahr noch an die Öffentlichkeit bringen.“ Enthüllungen über Trumps Steuergebaren etwa, wie sie die New York Times gerade veröffentlicht hat, werden Trumps Ansehen bei seinen Wählern nicht schaden, prognostiziert Knüpfer. „Das war schon 2016 so.“ Und auch die verbalen Ausfälle des Präsidenten beim TV-Duell werden sie nicht abschrecken.

Narzisstische Charaktere gab es schon öfter

Jessica Gienow-Hecht blickt auf die US-Geschichte: Ein narzisstischer Präsident sei nicht neu, sagt die Historikerin am John-F.-Kennedy-Institut. Auch unter Trumps Amtsvorgängern habe es egozentrische und manipulative Charaktere gegeben: „Teddy und Franklin Roosevelt (von 1901 bis 1909 beziehungsweise von 1933 bis 1945 im Amt) zeigten trotz aller liberaler Politik narzisstische Züge; ebenso wie Lyndon B. Johnson in den 1960er Jahren. Sie alle verbindet mit Trump, dass sie ihr eigenes Handeln und Machtstreben über geltende Gesetze stellten.“

Auch Wahlkampagnen, die die Gesellschaft zutiefst spalten, kenne die US-Geschichte, sagt die Historikerin: So hätten sich Thomas Jefferson und John Adams im Wahlkampf 1800 eine bösartige Schlammschlacht geliefert, die in den Zeitungen ausgetragen worden sei. Gestritten wurde damals übrigens über Themen, die den aktuellen auf bedrückende Weise ähneln: über das Machtverhältnis zwischen der Regierung in Washington und den Bundesstaaten, über Steuerpolitik und Zuwanderung, damals vor allem aus Asien.

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