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Wer sein Eis selbst machen will, muss viel schneiden und noch mehr pürieren. Doch es lohnt sich – allein für den Blick ins Kühlfach.

© Kitty Kleist-Heinrich

Eis zum Selbermachen: Kleine Stielkunde

Frische Zutaten, ein Pürierstab, das Tiefkühlfach – mehr braucht es nicht für eigenes Eis am Stiel. Wer auf Nummer sicher geht, nimmt Erdbeeren, Mutige wagen sich an Grünkohl.

Meine Kindheit kann ich entlang von Freundschaften, Frisuren oder großen Fußballspielen erzählen. Oder entlang von Eissorten. Zu jedem Alter, zu jedem Sommer gehört ein Eis am Stiel. Capri natürlich, das mir immer kanariengelb auf die Hose tropfte. Das knallrote Bum Bum, das ich nie essen durfte, weil es zu künstlich war. Oder Ed von Schleck, über dessen zweideutige Werbetexte („Schieben, Schlecken, Action – das bringt Satisfaction“) wir uns schieflachten. Eine Kindheit im Eisraffer, von Mini Milk bis Magnum.

Eineinhalb Jahrzehnte später stehe ich in der Küche, um selbst Eis am Stiel zu machen. Natürlich ist das auch ein Nostalgie-Trip. Einerseits. Andererseits haben die „Popsicles“ oder „Pops“ von heute mit dem Eis meiner Kindheit nicht viel mehr gemeinsam als den Stiel. Die Abwendung von industriell gefertigten Produkten, von Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern ist die Gründungscharta der Do-it-yourself-Bewegung. Sie setzt auf Selbermachen statt Kaufen, auf Bio statt Chemie.

In den Rezeptbüchern vor mir auf dem Küchentisch füllen nicht nur Erdbeeren, Mangos und Bananen die Seiten, sondern auch Gurken, Avocados und Kürbisse. Alles frisch natürlich, gerne kombiniert mit Tofu, Leinsamen oder Weizenkeimen. Gesüßt wird kaum mit Zucker, eher mit Honig oder Agavendicksaft. Oder gar nicht. Dazu gibt es Variationen mit Joghurt oder Tee, mit Schokolade oder Nüssen.

Ich entscheide mich für eine Mischung: Ein Klassiker für den Einstieg (Erdbeer-Frucht-Pops), etwas Sahnig-Schokoladiges (Weiße-Schokolade-Minze), etwas Gesundes (Frozen Basilikum Joghurt) und etwas noch Gesünderes (Erdbeer-Grünkohl).

Eis am Stiel ist eine Zufallserfindung. 1905 vergaß der damals 11-jährige Amerikaner Frank Epperson ein Glas Limonade mit einem Stiel zum Umrühren auf der Veranda. Es war eine kalte Nacht, das Gemisch gefror. So gesehen ist es auch eine Rückkehr zu den Anfängen, wenn heute die Selbermach-Welle das Eis am Stiel erfasst. Eine Rückbesinnung auf das Ursprüngliche. Was für Epperson die Veranda war, ist heute die Tiefkühltruhe.

Ich bin eigentlich kein Selbermacher, wenn es ums Essen geht. Mein Pesto kaufe ich im Glas, meine Nudeln in der Packung, mein Brot beim Bäcker. Mir fehlt das Know-how, die Geduld, die Motivation. Eis am Stiel kommt mir da entgegen. Eine Eismaschine brauche ich nicht. Was ich brauche, sind frische Zutaten, ein Pürierstab und ein leeres Fach im Eisschrank. Je einfacher, desto besser.

Auf dem freien Markt ist das genau umgekehrt. Wer aus der Masse herausstechen will, muss sich etwas einfallen lassen. In Berlin sorgt „Kyl“ derzeit für Aufsehen, das „Eis der Zukunft“ soll es sein. Die frischen Zutaten werden nach den Techniken der Molekularküche schockgefrostet. Kyl sieht aus wie eine Kunstskulptur am Stiel. Im Moment macht es aber Schlagzeilen, weil zwei Parteien vor Gericht darüber streiten, wer das futuristische Eis erfunden hat. Selbst die „Zeit“ berichtete über den „Eiskrieg“.

Torsten Alberts verwendet keine Molekulartechnik. Dafür ist er auch in keinen Eiskrieg verwickelt. 2012 fing Alberts an, in einem Zehn-Quadratmeter-Eislabor in Friedrichshain. Heute liefert er seine Paletas, so nennen die Spanier das Eis am Stiel, an Bars und Läden in ganz Berlin, nach Bonn und Bremen.

Blaubeer-Cheesecake? Gurke-Zitrone-Ingwer?

Wer sein Eis selbst machen will, muss viel schneiden und noch mehr pürieren. Doch es lohnt sich – allein für den Blick ins Kühlfach.
Wer sein Eis selbst machen will, muss viel schneiden und noch mehr pürieren. Doch es lohnt sich – allein für den Blick ins Kühlfach.

© Kitty Kleist-Heinrich

Mehr als 20 Sorten gibt es, Erdbeer-Limette zum Beispiel, Blaubeer-Cheesecake oder Gurke-Zitrone-Ingwer. Alle handgemacht und selbst kreiert. Die Verpackung ist schlicht und durchsichtig, so wie das Eis. Retro sieht das aus, nach Handarbeit. Manchmal schimmert eine Gurkenscheibe durch. „Man will heute wissen, was man isst – egal, ob es Fleisch oder Eis ist“, sagt Alberts. „In unser Eis kommen keine Zusätze, keine Aromen. Das brauchen wir alles gar nicht.“

Worauf muss ich achten, um in meiner Küche gutes Eis zu machen?

„Das Wichtigste“, sagt Alberts, „keine Säfte verwenden. Die enthalten immer Zusätze. Zweitens: Nicht alles pürieren, sondern auch ganze Früchte im Eis lassen. Das hat kein Industrieeis. Drittens: Viel ausprobieren.“

Genau das habe ich vor. Draußen brennt die Sonne, in meiner Küche stapeln sich die Zutaten. Ich schneide, hacke, messe ab, mische, schmecke ab. Und dann püriere ich: Basilikum und Minze mit Joghurt und Zitronensaft. Grünkohl mit Wasser, Banane und Weizenkeimen. Geschmolzene Schokolade mit Minze, Zitrone und Agavendicksaft. Und Erdbeeren, ohne alles. Ein paar große Exemplare schneide ich in Scheiben, sie kommen am Ende am Stück in die Eisform.

Sechs Plastikförmchen habe ich, viel zu wenig natürlich. Also mobilisiere ich alles, was meine Küche hergibt: Espressotassen, Gläser, leere Joghurtbecher. Als Stiele müssen Löffel und halbierte Essstäbchen vom Vietnamesen herhalten. Dann heißt es warten.

Eis am Stiel bereitet sich selbst zu, wenn man es lange genug in die Tiefkühltruhe stellt. Das ist vielleicht das Beste daran – und gleichzeitig das größte Problem: Bis die Mischungen hart sind und am Stiel (bzw. am Löffel) halten, dauert es zwölf Stunden. Das ist viel Zeit, wenn es draußen heiß und die Eislust groß und dringend ist. Viel Zeit, um sich dann doch ein Cornetto beim Späti zu holen.

Ich bleibe stark und öffne nach einer Nacht des Wartens das Eisfach. Allein der Anblick entschädigt für den Schweiß, den ich beim Pürieren vergossen habe: Ein Farbenmeer aus roten, grünen und gelben Tupfern. Ein buntes Blumenbeet, von einer Schicht Raureif überzogen, und ich bin der stolze Gärtner. Langsam erkenne ich den Reiz des Selbermachens.

Vorsichtig nehme ich ein Erdbeer-Grünkohl-Eis aus dem Eisfach. Die untere Hälfte des Glases leuchtet erdbeerrot, die obere waldgrün. Schaut gut aus. Aber schmeckt es auch? Das soll der Profi beurteilen. Ich treffe Torsten Alberts in einem Café in Neukölln, er gibt gerade eine Kiste Paletas an der Bar ab.

Das Grünkohleis hat sich Alberts selbst ausgesucht. Das vitaminreiche Gemüse ist hierzulande eher berüchtigt als berühmt. In Amerika ist „Kale“ das coolste Gemüse überhaupt, ob als Salat oder als Chips, dem neuen Lieblings-Snack gesundheitsbewusster Hollywoodstars. „Ich möchte nicht ,interessant‘ sagen“, sagt Alberts, nachdem er probiert hat. „Das klingt unhöflich.“

Zu Hause zerstöre ich schweren Herzens mein Stillleben im Eisfach und probiere mich durch die Sorten. Weiße-Schokolade-Minze: etwas zu süß. Basilikum Joghurt: frisch und gut. Erdbeer-Grünkohl: Interessant trifft es wohl ganz gut. Mein Favorit: das Erdbeereis. Es sieht gut aus und schmeckt auch so: nicht nach Hollywood oder Molekulartechnik, sondern nach Erdbeeren. Ohne alles.

Paul Munzinger

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