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Essen & Trinken: Drink big

Sie fassen drei, 18 oder 290 Liter: Sie heißen Magnum, Goliath, Nebukadnezar - und Kellnern bereiten sie höllischen Muskelkater. Über die neue Lust an großen Flaschen.

Wer eine Magnumflasche entkorkt, sollte sich nicht nur guter, sondern auch zahlreicher Gesellschaft sicher sein. So eine 1,5 Liter-Flasche kann zwar von zwei geübten Genießern im Rahmen eines Essens ohne größere Folgen gemeistert werden – doch der Normalgenießer entkorkt große Flaschen doch lieber für größere Gästekreise.

An Gästen wird es nicht fehlen, wenn die Sommeliers Gunnar Tietz und Hendrik Thoma am heutigen Sonntag im Hotel Palace Berlin 150 rare Sechs-Liter-Flaschen entkorken. Die dritte „Big Bottle Party“ (von 12 bis 18 Uhr) ist fast ausverkauft, einige Restkarten gibt es noch. Mehr als 60 Winzer aus aller Welt werden ihre Großflaschen präsentieren. Dass die anwesenden Winzer allesamt Vertreter der Top-Kategorien ihrer Nationen sind, versteht sich von selbst.

Es ist mehr als ein Spektakel, wenn imposante Formate auf den Tisch kommen. Vor allem hochwertige Rotweine aus Bordeaux und Champagner werden im XXL-Format angeboten. In Deutschland sind solche Größen weitaus seltener. Seit aber der Riesling wieder weltweit in bestem Ruf steht, steigt auch hierzulande die Produktion. Erst kürzlich belieferte das Rheingauer Weingut das Pariser 3-Sterne-Restaurant „Le Cinq“ mit einigen Doppelmagnums. Eine exklusive Lieferung: Der deutsche Rieslingspezialist hat nicht mehr als 20 dieser Drei-Liter-Flaschen mit einer exzellenten trockenen Auslese befüllt.

Dass eine komplette Dinner-Party mit einem einzigen dieser dicken Kaliber bedient werden könnte, hat durchaus symbolischen Charakter: Es geht um das Teilen bei Tisch, eine wunderbare Geste, die an das heilige Abendmahl gemahnt. Fast religiös klingen denn auch einige der Namen für übergroße Flaschen. Noch spektakulärer und seltener als die 1,5 Liter-Magnumflaschen sind Doppelmagnum oder Jeroboam mit drei Litern, die Rehoboam, welche mit 4,5 Litern sechs Normalflaschen entspricht, und die Imperial oder Impériale mit sechs Litern. Eine Salmanazar fasst gar den Inhalt einer kompletten 12er Weinkiste: neun Liter. Weiter geht es mit Balthasar (zwölf Liter), Nebukadnezar (15 Liter) und Goliath (18 Liter); die größte je hergestellte Weinflasche fasst 290 Liter.

Warum ausgerechnet die Namen biblischer Persönlichkeiten für die Großflaschen herhalten mussten, ist nicht geklärt. Es sind jedenfalls nicht die Schutzheiligen der Sommeliers, die diese nach harten Großflaschenserviernächten im Schmerze ihres Muskelkaters um Linderung anflehen könnten. Deren Patron heißt Ganymed und ist als Mundschenk der Götter in der Ausrichtung wüster Saufgelage bestens beschlagen.

Die Preise der Weine in den Monsterbouteillen steigen überproportional an, je größer die Flasche wird. Zunächst schlägt der Seltenheitswert gehörig ins Kontor, außerdem verlangen die Glashütten saftige Kurse für die größten Flaschen. Eine Neun-Liter Flasche kostet leer schon 44 Euro plus Mehrwertsteuer. Im Vergleich zur druckgeprüften 26-Liter Champagnerflasche namens Sovereign ist das ein Schnäppchen. Die kostet nämlich netto 980 Euro. Der Preis hat seinen Grund: Abfüllungen in Großformate sind besonders aufwändig, weil gängige Anlagen nur Flaschengrößen bis zur Magnum meistern. Deswegen werden die dicken Brummer meist per Hand gefüllt. Außerdem müssen spezielle Etiketten gedruckt werden, deren mikroskopische Auflagenzahl die einzelnen Exemplare zu echten Wertpapieren macht.

Wenn es ans Servieren geht, wird es bereits ab der Doppelmagnum ziemlich unpraktisch. Nicht nur, weil es ein Kraftakt ist, die Gläser zu füllen, sondern weil spezielles Zubehör notwendig ist, damit die Übergrößen korrekt gehandhabt werden können. Von passenden Karaffen einmal ganz zu schweigen. Adi Werner, Besitzer des luxuriösen Hotels Arlberg-Hospiz, lässt die gigantischen Bordeauxabfüllungen aus seiner berühmten Sammlung auf regelrechten Lafetten, dicken Geschützen gleich, in die richtige Neigung kurbeln, damit ihr Inhalt behutsam in Karaffen umgefüllt werden kann. Wer außer Rabelais’ Gargantua könnte auch aus einer Flasche servieren, deren Inhalt schon zwölf Kilogramm wiegt?

Großmannssucht allein erklärt nicht die Bewunderung für die großen Formate. Weine, die in Großflaschen gereift sind, schmecken wesentlich besser als dieselben Abfüllungen in Normalgrößen. Das gilt selbstverständlich auch für Weißweine, die in vielen Fällen genauso lange lagern können wie große Rotweine. Was wie Hokuspokus klingen mag, wird nach fünf bis zehn Jahren Reife deutlich schmeckbar; bei sehr alten Abfüllungen liegen ganze Welten zwischen Weinqualitäten in Normal- und Großflaschen. In letzteren entwickeln sich die Weine langsamer und bilden dadurch ungleich feinere Duft- und Geschmacksnuancen. Selbst die Farbe hält sich viel länger frisch. Als Nebeneffekt besitzen diese Rebensäfte eine deutlich höhere Lebenserwartung. Wenigstens theoretisch, denn viele der wertvollen Genussbomben werden doch aus Prestigegründen getrunken, lange bevor sie den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht haben.

Zum Zeitpunkt der Abfüllung sind vergleichbare Weine ja gleich gut, unabhängig von der Flaschengröße. Auch in den ersten Jahren sind die Unterschiede noch gering. Ein frühzeitiges Servieren von Magnums ist daher unsinnig, denn im Normalfall wäre der gleiche Wein in der einfachen Flasche reifer und damit wohlschmeckender als die Großvariante. Deswegen lohnt sich deren Kauf eigentlich nur, wenn genügend Geduld und optimale Lagerbedingungen vorhanden sind. Für Jubiläen und Feste in ferner Zukunft lohnt sich dann auch die Anschaffung.

Weine in kleinen Flaschen, zum Beispiel den gängigen 0,375 Litern,dagegen sollte man möglichst schnell trinken. Sie sind ziemlich ungeeignet für die längere Lagerung: In ihnen reifen die Weine geradezu rasant, der letzte Schliff bleibt ihnen dadurch vorenthalten.

Es soll Leute geben, die Weine erstehen, nur um sie nach einigen Jahren mit möglichst großem Gewinn wieder zu verkaufen. Obwohl Spekulation mit Wein für mich persönlich dessen Wesen unangemessen ist und zu ziemlich unerfreulichen Auswüchsen in der Weinszene geführt hat, hier doch ein Tipp dazu: Gesuchte Weine in Großflaschen erleben immer eine größere Wertsteigerung als dieselben Gewächse in Normalflaschen. Je größer die Flasche, desto höher der Gewinn.

Für Champagner und andere Qualitätsschaumweine gelten andere Gesetzmäßigkeiten. Bei ihnen gibt es schon von Anfang an Qualitätsunterschiede. Champagner erfährt seine Veredelung ja durch die zweite Gärung in der Flasche – die er nicht verlässt, bis er getrunken wird. Allerdings gilt das nur für drei Formate: Halbe Flaschen, Normalflaschen und Magnums. Das nötige Rütteln und Enthefen von Pikkolos und Großformaten wäre zu umständlich und zu teuer, außerdem halten die Großformate dem Druck bei der Flaschengärung nicht zuverlässig Stand. Daher werden Champagner in Übergrößen in Wirklichkeit aus Normalflaschen umgefüllt, was zwangsläufig zu Qualitätsverlusten führt. Sprudelnde Riesenformate sind daher bestenfalls zum Rennfahrerduschen geeignet.

Vergleicht man aber den gleichen Champagner aus der Normalflasche mit dem aus der Magnum, schneidet letztere eindeutig besser ab. Denn in der Magnumflasche herrschen bessere Bedingungen für die Gärung. Darüber hinaus entwickelt sich der Champagner, genau wie der Wein, in der Doppelflasche vorteilhafter. Wer also Champagner in größeren Mengen für seine nächste Party ordert, ist auf jeden Fall gut beraten, zu Magnums zu greifen.

Bernd Kreis ist Sommelier und Weinhändler in Stuttgart

Bernd Kreis

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