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Zuckerwatte auf einer nächtlichen Party in Las Vegas.

© Clemens Hoffmann

Essen & Trinken: In Vegas veritas

Erst waren es nur die Casinos, dann kamen Showstars. Nun werden Restaurants von Starköchen aus aller Welt zur großen Attraktion in Las Vegas.

Die „Blue Diamond Road“ windet sich zwischen den kahlen Felsen der Spring Mountains. Rechts und links des Nevada State Highway 160 liegt Buschland. Es ist still, leer und heiß. Nur Kakteen lockern die Wüstenlandschaft auf – und sogenannte Joshua Trees. Mormonen, die einst die Mojave-Wüste durchquerten, erkannten in den Agavengewächsen den Propheten Josua, der mit ausgestreckten Armen den Israeliten den Weg ins gelobte Land wies.

Man würde es nicht vermuten, aber inmitten dieser unwirtlichen Gegend wird Wein gemacht. Die „Pahrump Valley Winery“ ist im spanischen Missionsstil gehalten. Ein paar Dutzend Rebzeilen ziehen sich um den Glockenturm vor dem Kelterhaus: Hier reifen Zinfandel und Petite Syrah Trauben. „In babylonischen Zeiten wuchs Syrah in der Gegend des Irak – reinstes Wüstenklima. Es gibt keinen besseren Platz für Wein!“, sagt Besitzer Jack Sanders, 75, und schaut triumphierend. Fehlt nur, dass er auch die Arme ausbreitet.

Davon, ein gelobtes Land in Sachen Kulinarik zu sein, ist der Südwesten der USA zwar noch weit entfernt. Doch es bewegt sich viel, in und um Las Vegas.

Sanders Winery befindet sich in Pahrump, einer Schlafstadt für die Angestellten der Glücksspielmetropole, eine Autostunde entfernt. Jahresniederschlag: nur 120 Millimeter. Einst war die Gegend Shoshonen-Land, in der Sprache der Ureinwohner bedeutet Pahrump „Wasserfelsen“. „Wir sitzen auf unterirdischen Quellen. Wasser für die Tröpfchenbewässerung der Reben ist da“, erklärt Sanders.

Vier Weingüter gibt es heute in Nevada. Noch vor 23 Jahren war Weinbau hier echte Pionierarbeit. „Gesetzlich hinderte uns nichts daran, Trauben anzubauen“, erzählt Sanders, der sein Geld als Unternehmensberater verdient hat. Der Haken: Alkoholische Getränke durften damals nur konsumiert werden, wenn sie importiert waren. Der Winzer fuhr zum Gouverneur. Und der ließ mit sich reden. „Er sagte: Du bist sechs Meilen von der kalifornischen Grenze entfernt. Wir geben dir eine Importlizenz!“ So fing es an.

Inzwischen produziert die Winery 5000 Kisten pro Jahr, 2000 aus eigenen Trauben. Sanders kauft seine Weißweine im nahen Central Valley zu: Chardonnay, Pinot Grigio und Colombard. Weil es in den Nächten nicht abkühlt, fehlt den Weinen Säure. Der Zinfandel vom Weinberg vor der Haustür schmeckt für europäische Gaumen arg konfitürig. Sanders nennt das „Harmonie bei moderatem Alkohol“. Die Amerikaner lieben solche Weine. Verkaufsschlager sind der „Ruby Port“ und sein „Cream Sherry“.

Pahrump wächst schnell. Schon gibt es 40 000 Einwohner. Jack Sanders hat den Markt erkannt. Er öffnet die Winery für Hochzeiten und Jazzabende, hat einen „private tasting room“ eingerichtet. Ein Gästehaus soll folgen. Vor den Investitionen hat er keine Angst: „Ich bin ein Spieler“, sagt er und grinst. In Las Vegas hat er sein Glück aber noch nicht versucht.

Kulinarisch war Vegas jahrzehntelang Spare-Ribs-Country, mit All-you-caneat-Buffets gleich neben den Pokertischen. Inzwischen jedoch ziehen Musicals und Shows mit Stars wie Elton John ganz neue Gäste an. Und so hat Las Vegas heute eine Dichte von Gourmetrestaurants, die sich mit Los Angeles, Chicago oder New York messen kann. Das sorgt für enormen Wettbewerb.

Frische Produkte sind kein Problem, denn die Farmen Kaliforniens sind nur eine Kühltruckfahrt entfernt. Fangfrischer Fisch wird täglich eingeflogen. Alle US-Starköche überbieten sich am Strip mit extravaganten Restaurants. Jede Saison kommen neue hinzu. Der neueste Trend sind Edelsteakhäuser. Auch sternedekorierte Europäer wie Alain Ducasse oder Wolfgang Puck lassen in Vegas von Statthaltern den Kochlöffel schwingen. Nur ein paar Mal im Jahr schauen die Meister allerdings persönlich vorbei.

Der Österreicher Puck war bei der Entwicklung der Spieleroase zur Gourmetdestination von Anfang an dabei. Sein euro-asiatisches Fusionlokal „Spago“ im Ceasar’s Palace Casino feierte gerade 20. Geburtstag. „Als wir öffneten, liefen die Cowboyhüte in unsere offene Küche und suchten das Buffet“, erinnert sich Puck, der inzwischen 70 Restaurants in den ganzen USA betreibt: „In den 60er Jahren war das ,Rat Pack’ die Zugnummer, heute sind es wir Köche.“

Das „Aria“-Resort im Herzen von Las Vegas. Die Hotel- und Entertainmentgruppe MGM hat das ultramoderne Casino Ende 2009 eröffnet, samt Luxusboutiquen, Spalandschaften und Eigentumswohnungen. Rob Bigelow managt hier die Weine. Bigelow – ein wuchtiger Mann im dunklen Anzug und mit schwarzer Designerbrille – geht im Laufschritt an dudelnden Slotmaschinen vorbei. Hinter einem Eisstand reißt er eine Tür auf, die den Zockern im ewigen Halbdunkel der Spielbank verborgen bleibt. Plötzlich stehen wir in einem neonhellen Kühlraum mit verchromten Drahtregalen: das zentrale Flaschenlager des „Aria“. Von hier werden ein gutes Dutzend Restaurants bestückt – von der Tapasbar bis zum Seafooddiner. 16 Sommeliers arbeiten unter Bigelows Regie. In den anderen großen Häusern ist mittlerweile ähnlich viel Weinverstand versammelt. 15 Mastersommeliers gibt es in Las Vegas, mehr als an der gesamten Ostküste. Auch an Bigelows Brust prangt das goldene Abzeichen, das ihn als einen der 118 Absolventen der rigorosen Weinkellnerakademie auszeichnet.

Im Lager sind es sieben Grad. Zwei Frauen in wattierten Jacken und Handschuhen stapeln vorsichtig mattschwarze Champagnerflaschen mit silbernen Etiketten in einen Rollcontainer. Bigelow überfliegt den Kommissionierzettel – eine Bestellung für den Nachtclub: „20 Engländer… Die haben wohl etwas zu feiern.“ Rund 570 Dollar muss man im Geschäft für den limitierten Prickler der Nobelmarke „Angel“ anlegen. Wenn man ihn überhaupt bekommt. Bigelow hat natürlich welchen. Sein Flaschenlager ist ein exklusiver Trip um den Globus: Viele kalifornische Weine ruhen in den Fächern, aus Deutschland finden sich Egon Müller, Dönnhoff, Robert Weil und Wittmann. Sie sind in bester Gesellschaft: Vega Sicilia, Pétrus, Ornellaia, Romanée Conti. Von Letzteren sogar den 2000er in einer 6-Liter-Methusalem-Flasche. Entkorkt wird er für schlappe 17 500 Dollar. „Durfte ich neulich bei einem Bankett mit 25 Asiaten servieren“, sagt Bigelow.

Auch die 4000 Minibars bestückt der Mann. Vor kurzem tauschte er den Rotwein aus: Statt schweren kalifornischen Cabernets steht jetzt fruchtiger Pinot Noir in den Kühlschränken der Hotelzimmer. Der passt viel besser als Zwischendurchwein im Wüstenklima, findet der Chef. Der Umsatz stieg. Andere Hotels zogen nach. Auch mit Minibarweinen lassen sich in Vegas Trends setzen.

Wie sich die Wirtschaftskrise auf das Geschäft ausgewirkt hat? Dazu will Bigelow nichts Konkretes sagen. Nur so viel: Seit gut zwei Jahren steigen die Besucherzahlen wieder. 2011 kamen 39 Millionen Gäste in die Stadt. Der kulinarische Höhepunkt ist jedes Jahr das „Vegas Uncork’d“-Festival am Muttertag. Ein beispielloser Feinschmeckergipfel mit ausgefallenen Menüs, Seafood-Clambakes und Open-Air-Tastings neben künstlichen Wasserfällen und Poollandschaften.

Christophe Tassan wirkt ein wenig fremd in dieser Glitzerwelt. Der Franzose ist verantwortlich für die Weinauswahl des Mandalay Bay, eines der größten Resorts am Südende des Strips. Tassan empfängt im Gourmetrestaurant „Aureole“, das von dem New Yorker Starkoch Charlie Palmer mit französisch beeinflusster „New American Cuisine“ bespielt wird. Vier Stockwerke hoch ragt am Eingang der „wine tower“ empor, ein gläserner Weinspeicher. An Drahtseilen schweben „Wein-Engel“ in schwarzen Uniformen zu den Flaschen und ziehen die Bestellungen aus klimatisierten Ablagefächern. „Willkommen in Las Vegas“, sagt Tassan fast ein wenig entschuldigend, „hier muss alles exzessiv sein.“

Verschwörerisch erzählt der 50-Jährige von den Vorlieben seiner amerikanischen Gäste – und wechselt dafür ins Französische. 80 Prozent von ihnen hätten Änderungswünsche. Die meisten wüssten ziemlich genau, was sie mögen und was nicht: „Es gibt Jakobsmuscheln, und ich schlage einen frischen Grünen Veltliner vor. Der Herr wünscht Cabernet. Kriegt er natürlich“, sagt er. „In Vegas tun wir eben alles, um den Kunden zufriedenzustellen.“

Trotz Krise kann er den Restaurants im Haus noch immer 5000 Weine von rund 3000 Produzenten anbieten. „Wir brauchen diese Breite: zu Pasta, Steaks und Burgern, zu Sushi und mexikanischem Essen“, erklärt Christophe Tassan. Die Weinliste im „Aureole“ ist mit 2500 Positionen so lang, dass sie dem Gast auf einem iPad gereicht wird. Neu ist aber, dass nun 500 Weine für unter 100 Dollar serviert werden.

Es ist spät geworden. „Espresso mit Aussicht?“, fragt Tassan. Wir steigen in den Aufzug und fahren in die Dachbar im 43. Stock. Von oben sieht man klarer: „Es gibt keinen anderen Ort auf der Welt, wo so hart versucht wird, es besser zu machen als alle anderen“, sagt der französische Sommelier und tritt an die Brüstung. Die Skyline scheint in der flirrend warmen Nacht fast zu schweben. Es klingt so, als ob Tassan stolz wäre, dazuzugehören.

Clemens Hoffmann

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