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Retter der Mittagspause. Vivien Finke leitet die Gastronomie der Berliner Wasserbetriebe. Die Köchin setzt auf regionale Produkte und viel Gemüse. Patrick Wodni wechselte vom Restaurant Nobelhart & Schmutzig in die Großküche des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe und hat dort das Kantinenkonzept auf Frische und Nachhaltigkeit getrimmt.

© Mike Wolff

Festival "Stadt Land Food": Frische Ideen für Kantinen

"Gutes Essen für alle", lautet das Motto des Festivals "Stadt Land Food". Es soll mehr Qualität und Nachhaltigkeit in Betriebsküchen und Schulmensen bringen.

Die Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: 3,25 Euro. So viel darf ein Schulessen in Berlin pro Kind und Tag kosten. Bis zum Jahr 2013 waren es sogar nur 1,87 Euro – aufgrund der Landeshaushaltsordnung waren die Schulen verpflichtet, dem billigsten Anbieter den Zuschlag zu erteilen. Inzwischen dürfen sie sich ihre Caterer selbst aussuchen, nachdem sie sich bei einem Probekochen von dessen Qualität überzeugt haben. Es bleibt die große Frage, die sich nicht nur Schulen, sondern auch Kitas, Kantinen und andere Großküchen stellen: Wie schafft man es, trotz knapper Budgets gutes Essen auf den Tisch zu bringen?

Einige Antworten darauf will das "Stadt Land Food"-Festival finden, das in der ersten Oktoberwoche bereits zum dritten Mal von der Markthalle IX veranstaltet wird. "Gutes Essen für alle" lautet das Thema in diesem Jahr, das nicht nur eine kulinarische, sondern auch eine politische Dimension hat: Wie können Lebensmittel erzeugt werden, die gut für die Verbraucher, die Umwelt und auch für die Bauern sind? Die Dringlichkeit des Themas hat auch der rot-rot-grüne Berliner Senat erkannt und sich zum Ziel gesetzt, den Anteil an Bio-Essen sowie an saisonalen und Frischzutaten in Kitas, Schulen, Kantinen und beim Catering in öffentlichen Einrichtungen bis 2021 deutlich zu erhöhen. Außerdem will man nach dem Vorbild Kopenhagens in einem Modellprojekt mit Großküchen durch Weiterbildung und Beratung zeigen, wie dies weitgehend kostenneutral und mit weniger Lebensmittelverschwendung möglich ist.

Zentrale Frage: Wie bietet man gutes Essen zu kleinem Preis?

Während der Senat noch dabei ist, mit dem Land Brandenburg "Möglichkeiten zur stärkeren Nutzung regional erzeugter Lebensmittel" auszuloten, zeigt "Stadt Land Food" eine Woche lang in Workshops und Diskussionsrunden und vor allem beim Essen selbst, dass die Ernährungswende nicht nur möglich ist, sondern bereits begonnen hat. Als Best-Practice-Beispiele dienen nicht nur Lokalmatadore wie das brutal-lokale Sterne-Restaurant Nobelhart & Schmutzig oder das Start-up-Unternehmen Infarm, das Kräuter und Salate zum Teil im Restaurant selbst anbaut, sondern eben jene Großküchen, die täglich Essen im Massenbetrieb produzieren. Dieser Ansatz ist nur konsequent. Denn wo könnte "Gutes Essen für alle" wichtiger sein als an Orten, an denen die Menschen den Mahlzeiten, die ihnen vorgesetzt werden, mehr oder weniger ausgeliefert sind? Zur Betriebskantine mag es Alternativen geben, wenn das angebotene Essen nicht gut ist – ein Grundschul- oder Kitakind hat sie nicht.

Patrick Wodni wechselte vom Sternerestaurant in die Klinik-Großküche

Gastronomischer Kurator der diesjährigen "Stadt Land Food" ist Patrick Wodni. Der 28-Jährige hat im vergangenen Jahr als Küchenchef das Kantinenkonzept des als anthroposophisch bekannten Klinikums Havelhöhe komplett umgekrempelt: Viele Lebensmittel kommen jetzt direkt von Erzeugern aus Brandenburg und Mecklenburg, darunter eine Solidarische Landwirtschaft, die dem Küchenteam nach einer besonders üppigen Ernte 700 Kilo Kürbis auf einen Schlag bescherte. Mit saisonalen Schwankungen flexibel umgehen zu können, ist ein Grund dafür, warum Wodni trotz eines Budgets von 5,04 Euro pro Patient und Tag (abzüglich 30 Cent für Getränke) mit regionalen Bio-Zutaten kochen kann.

Der zweite: Zu Beginn der Umstellung hat er einen Speiseplan mit 104 Gerichten ausgetüftelt, von denen einige, etwa der Sonntagsbraten oder das Gulasch, deutlich über dem Tagesbudget liegen, aber durch Milchreis, Eintöpfe und ähnlich günstige Gerichte quersubventioniert werden können. Fleisch gibt es jetzt seltener, dafür von gesund aufgewachsenen Tieren. Außerdem werden mehr Arbeitsschritte in der Küche erledigt: Brühen gekocht, Frischkäse selbst produziert, die übrig gebliebene Molke zu Nachtisch verarbeitet. Das macht bei rund 500 Essen pro Tag zwar deutlich mehr Arbeit, dafür sind nicht vorverarbeitete Lebensmittel günstiger, und es entsteht weniger Abfall.

In den letzten Wochen war Patrick Wodni des öfteren in der Kantine der Berliner Wasserbetriebe zu Gast, um mit dem Küchenteam die "Stadt Land Food" vorzubereiten. An drei Tagen wird hier als eines von drei Mittagsgerichten ein "gemüsezentrierter Zukunftsteller" angeboten, zum Beispiel eine Kürbislasagne mit Mangold und Meerrettich. Flyer informieren die Gäste darüber, von welchen Höfen in Brandenburg die Zutaten stammen. "Wir wollen die Essgewohnheiten in Frage stellen", erklärt Vivien Finke, Leiterin der Betriebsgastronomie. Die gelernte Köchin und erfahrene Systemgastronomin wurde 2017 ins Haus geholt, um nach der Renovierung der Kantine die Menüplanung neu zu denken. Seitdem gibt es saisonal geprägte Gerichte und auf Wunsch der Gäste mehr Gemüse, mehr vegetarische und vegane Optionen. "Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt", sagt die 54-Jährige. "Als Berliner Betrieb wollen wir Berliner und Brandenburger Strukturen fördern."

Weil die Kantine mit einem Warenwirtschaftssystem arbeitet, benötigt sie Waren, die mit Metadaten wie zum Beispiel Hinweisen auf Allergene versehen sind – was kleinere landwirtschaftliche Betriebe oft nicht leisten können. Das Vertriebsnetz der Markthalle IX mit zentralem Einkauf löst dieses Problem. Die Teilnahme an der "Stadt Land Food"-Woche versteht Vivien Finke als Auftakt zu einer langfristigen Partnerschaft mit der Markthalle IX.

Regional ist erste Wahl. Viele Lebensmittel im Krankenhaus Havelhöhe kommen jetzt von Erzeugern aus Brandenburg und Mecklenburg. Spitzenkoch Patrick Wodni hat das Konzept umgestellt: Statt vorgefertigte Produkte zu verwenden, wird in der Großküche nun mehr selbst gemacht.
Regional ist erste Wahl. Viele Lebensmittel im Krankenhaus Havelhöhe kommen jetzt von Erzeugern aus Brandenburg und Mecklenburg. Spitzenkoch Patrick Wodni hat das Konzept umgestellt: Statt vorgefertigte Produkte zu verwenden, wird in der Großküche nun mehr selbst gemacht.

© Mike Wolff

Quark von der Lobetaler Bio-Molkerei und aus Brodowin, Kürbisse vom Bauernhof Erz im Oderbruch und Getreide aus Kuhhorst werden auch in 276 Schulen während der "Stadt Land Food" eine Rolle spielen. Regiowoche nennt sich das Projekt, das der Berliner Ernährungsrat gemeinsam mit dem Verband Berliner und Brandenburger Schulcaterer e.V. entwickelt hat. Von elf Brandenburger Bio-Betrieben stammen die Zutaten für die vier Gerichte, die die Caterer in der ersten Oktoberwoche an alle teilnehmenden Schulen liefern. Zu jeweils einer Hauptzutat je Mittagessen hat die Initiative Bildungsbausteine vorbereitet. Die Idee: Wenn die Kinder mittags in die Schulmensa gehen, wissen sie bereits, wie das Essen auf ihren Tellern entstanden ist und welche Rolle Tierwohl oder Saisonalität dabei spielen. Bei der Essensausgabe können sie die Catering-Mitarbeiter mit Fragen löchern.

Kinder sollen lernen, woher ihr Essen kommt

"Das entstandene Netzwerk ist ein riesiger Schritt hin zu gesundem Schulessen", glaubt Eva-Maria Lambeck von Greens Unlimited. Der Caterer will die für die Regiowoche bezogenen Lebensmittel auch künftig einsetzen. Auch die Lehrküche des Nachbarschaftstreffs Warthe Mahl im Neuköllner Schillerkiez ist bei der Regiowoche dabei. Schon seit Jahren kocht oder backt hier jeden Vormittag eine Schulklasse oder Kitagruppe. Über 4000 Kinder sind es jedes Jahr. Viele lernen hier Lebensmittel kennen, die sie nie zuvor gesehen haben – die meisten sind so begeistert, dass sie wiederkommen wollen, um neue Rezepte auszuprobieren. "Unsere Brötchen sind der Renner", erzählt Projektleiterin Karin Krupp. "Wir mahlen das Getreide gemeinsam, machen daraus den Teig, die Kinder formen die Brötchen, die wir dann backen und essen." Während der Regiowoche kommen die Zutaten, die zum Großteil gespendet werden, nicht vom Bio-Großhändler, sondern direkt vom Erzeuger. "Wir erzählen den Kindern natürlich davon", sagt Karin Krupp. Das Ergebnis ahnt sie schon voraus: Die Brötchen werden wie immer der Hit sein.

Stadt Land Food: Informationen zur Regiowoche vom 1. bis 5. Oktober unter regiowoche.berlin, das Festival in der Markthalle IX findet am 6. und 7. Oktober statt, Infos hierzu unter stadtlandfood.com

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Regional, saisonal und umweltschonend: Kantinen-Empfehlungen für Berlin

Nordische Botschaften

Mit frischen Produkten aus der Region kocht das Team um Küchenchef Kenneth Gjerrud (der auch das "Munch's Hus" betreibt) international - und das so gut, dass die Kantine gerade bei einem bundesweiten Test in die Top 10 kam. Skandinavisches Ambiente, günstige Preise.

Tiergarten, Rauchstr. 1, 13-15 Uhr, nordischebotschaften.org/kantine

In der Kantine der Nordischen Botschaften in Tiergarten bietet Küchenchef Kenneth Gjerrud einen Mittagstisch mit regionalen Produkten.
In der Kantine der Nordischen Botschaften in Tiergarten bietet Küchenchef Kenneth Gjerrud einen Mittagstisch mit regionalen Produkten.

© Nordische Botschaften/promo

Abgeordnetenhaus

Die gemeinnützige und inklusive USE bekocht die Abgeordneten von Berlin und ihre Kantinengäste, ein großer Teil der Produkte stammt aus der Region. Fein ist auch die große Salatbar, der fair gehandelte Kaffee und Tee und das Kuchenbuffet.

Kreuzberg, Niederkirchnerstr. 5, Mo-Do 11.30-15, Fr 11.30-14 Uhr, an Sitzungstagen erst ab 13 Uhr für die Öffentlichkeit geöffnet, parlament-berlin.de

Rotes Rathaus

Gute Hausmannskost und Berliner Schnauze werden im pastellgelben Gewölbekeller unterm Rathaus, auch Kult-Kantine genannt, serviert. Betreiber USE kocht hier ebenfalls soweit möglich mit regionalen Produkten.

Mitte, Jüdenstr. 1, Mo-Fr 11:30-14 Uhr, twitter.com/rathauskantine und u-s-e.org

Bio-regionale Gerichte während der Regiowoche

Die Mensa des Schul- und Leistungssportzentrum Berlin (SLZB) bietet vom 1. bis 5.10. täglich ein Regio-Gericht an (Lichtenberg, Fritz-Lesch-Straße 35, 11:30-14 Uhr, slzb.de). Die Betriebsrestaurants der Berliner Satdtreinigung (BSR) sind am 2. und 4.10. dabei (Mühlenstr. 8, Friedrichshain, tägl. 5.15-14 Uhr; Tempelhof, Ringbahnstr. 96, Mo-Fr 5:30-14 Uhr; Britz, Gradestr. 73-77, Mo-Fr 5-14 Uhr; bsr.de)

Klimateller des Studierendenwerks

Seit 2011 bieten 31 der Mensen des Berliner Studierendenwerks täglich ein veganes Gericht an, dessen Zutaten und Herstellung nur einen kleinen ökologischen Fußabdruck erzeugen. Auf Konserven, vorgefertigte, Tiefkühl- oder Trockenprodukte wird ganz verzichtet. Leider dürfen hier nur Hochschulangehörige und ihre Gäste essen. stw.berlin/mensen.html

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