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Massimo Bottura.

© Paolo Terzi

Italiens bester Koch: Die Schaumdeutung des Massimo Bottura

Massimo Bottura interpretiert kulinarische Traditionen mit moderner Technik – und sprüht Mortadella auf den Teller. Beobachtungen am Herd.

Zuerst schüttet er Reis in einen Topf, dreht die Gasflamme hoch und rührt mit einem Holzlöffel in den Körnern. Als diese zu knistern beginnen, gießt er eine Kelle kaltes Wasser an, es zischt, er rührt bedächtig. Keine Schalotten wie üblich bei einem Risotto? Keinen Weißwein? Heftiges Kopfschütteln. Er wird kein gewöhnliches Risotto machen, er ist kein gewöhnlicher Koch. Massimo Bottura ist die Nummer eins seiner Zunft in Italien, seine „Osteria Francescana“ steht auf der Liste „Beste Restaurants der Welt“ auf Platz drei; vor ihm nur das „Noma“ in Kopenhagen und das „El Celler de Can Rocca“ in Girona.

Nun fügt er einen kräftigen Schuss von einer heißen, milchigen Flüssigkeit dazu, weiterrühren, der Reis muss in Bewegung bleiben, Dampf steigt auf. Ein würziger Duft von Käsefondue breitet sich in der Küche aus, er wird sich vehement verstärken in den 18 Minuten, die Bottura für sein Risotto braucht, denn dieses Rezept hat vor allem einen Sinn: die größtmögliche Verschwendung von Parmigiano Reggiano, von Parmesankäse.

Außerdem ist es eine Verneigung vor den kulinarischen Traditionen seiner Heimat, der Emilia Romagna. In Modena hat Bottura sein Restaurant, hier ist er aufgewachsen, mit dem Geschmack von Lasagne, von Tortellini, Mortadella, Balsamico-Essig, Parmaschinken – alles verbunden mit der Region, so wie der Anbau von Reis und die Zucht von Schweinen.

Im Mai vor drei Jahren bebte in dieser Gegend die Erde, Häuser stürzten ein, es gab Tote. In den Lagerhäusern kippten Regale um, etwa 360 000 Laibe des berühmten Parmesans fielen herunter und wurden beschädigt, jeder rund 40 Kilo schwer. Ein Desaster für die Produzenten. Und Massimo Bottura erfand das Rezept „Risotto cacio e pepe“ (deutsch: Käse und Pfeffer), ein Kilogramm Parmesan für vier Esser!, die moderne Umwidmung eines römischen Klassikers, der mit Spaghetti und Pecorino serviert wird, einem Schafskäse. Bottura kochte es für die Organisation „Slow Food“ in aller Öffentlichkeit, und Abertausende kochten es nach. Brocken für Brocken vom Käse wurden verkauft, sicher nicht alleine Botturas Verdienst, und am Ende des Jahres war der ganze gewaltige Berg des ruinierten Parmesans verkauft. „Essen“, erzählt der Koch vergnügt, „war plötzlich ein Akt der Solidarität.“

Er steht am Herd, Sneakers, weiße Kochjacke, der Bart graumeliert, 52 Jahre alt, Brille mit schwarzem Rand, dekoriert mit drei Sternen des Michelins, ein Star. Ein Künstler? „Kein Künstler“, brummt er, „eher ein Kunsthandwerker, ich koche.“

Er gießt Käsebrühe an, daneben steht eine Schüssel mit hellem Mus, es könnte Brei vom Blumenkohl sein, es ist Creme vom Parmesan. Zwei Jahre schon hatte er in seinem Labor getüftelt, als die Erde zu beben begann, im Kopf die Idee des japanischen Dashi, eines Sudes aus Fisch. Warum nicht eine solche Brühe aus Käse nachempfinden?

Wie alt soll der Käse sein, wie extrahiere ich seinen Geschmack, bei welcher Temperatur? Testen. Modifizieren. Experimentieren. Das Ergebnis: Bottura reibt Parmesan, 30 Monate gereift, gibt Wasser dazu, erhitzt auf 80 Grad, lässt abkühlen, erhitzt wieder auf 80 Grad, ab für einen Tag ins Kühlhaus. Unten im Topf setzen sich die Proteine ab, in der Mitte bleibt die Brühe, obenauf schwimmt dick die Creme. So kompliziert, so einfach. Die Basis für dieses Risotto.

Die Tomatensoße der Mutter ist unübertroffen

Risotto cacio e pepe.
Risotto cacio e pepe, die pure Verschwendung von Parmesankäse.

© Thomas Ruhl

Und der Pfeffer? Ach ja, der Pfeffer. Der steckt als Essenz in einem Flakon und wird versprüht wie Parfum. Gemörserte Körner würden das klare Bild des Reises stören. Also hat Bottura fünf verschiedene Pfeffersorten für einen Tag in Wasser gelegt und dieses destilliert; langsam, über viele Stunden, bei nur 24 Grad und Unterdruck, denn bei höheren Temperaturen verflögen die Aromen.

Er weiß, dass viele ihn für ziemlich irre halten. Italiener schwelgen gern in Nostalgie. Die Tomatensoße der Mutter ist unübertroffen. Vergreife dich nie an einem Rezept der Oma! So etwas gilt als Blasphemie. Für seine Art zu kochen haben sie ihn über Jahre angefeindet, bestenfalls ignoriert. Bottura wirft die Arme in die Höhe, er rollt mit den Augen, er ruft: „Sie wollten mich tot sehen.“ Der Unverstandene.

Wie kann er nur erklären, was ihn umtreibt, wo er sich verwurzelt fühlt, was er … Da! Diese rosarote Masse, er zeigt mit dem Finger darauf. „Mortadella!“ Die berühmte Wurst? 14 Jahre lang, sagt er, habe ihm Mutter jeden Tag ein Brötchen mit Mortadella belegt in den Schulranzen gesteckt. Mortadella steht für den Geschmack seiner Jugend. Er kann sie ja wohl nicht servieren wie vor 40 Jahren. Er dekonstruiert sie also, jagt sie durch die Wunderwerke neuester Küchentechnik, Löffel für Löffel schaufelt er nun den kühlen Extrakt in einen Syphon. Damit spritzt Bottura schweinchenfarbenen Schaum auf einen Teller, daneben ein quadratisches Stück ofenwarmes Brot. Das ist seine Interpretation des Mortadellabrötchens, die Renaissance einer Wurst in der molekularen Welt. „Dieser leichte, geschmacksintensive Schaum“, sagt Bottura begeistert, „ist die Erinnerung an meine Kindheit in ihrer abstrakten Form!“ Er serviere quasi seine Seele.

Dieser Idee von Reinheit und Tradition folgt auch das Risotto cacio e pepe. Weißwein? Säure ist schon in der Parmesanbrühe. Schalotten? Führen die Geschmacksknospen auf eine falsche Spur. Salz? Steckt ausreichend im Käse. Butter, ohne die kein Risotto auskommt? Braucht es nicht, die dichte Creme des Parmesans sorgt für die nötige Bindung; wie auch der Vialone Nano, eine kleinkörnige Reissorte, die viel Stärke abgibt. Zudem hat das Gericht wenig Fett, denn die Kuhmilch für den Parmesan wird teilweise entrahmt. Reis, Käse, fertig – kann man puristischer und regionaler kochen?

So macht er es heute, doch was weiß er schon, was morgen sein wird? Die Wissenschaft liefert neue Erkenntnisse, die Industrie neue Techniken, die Fantasie neue Horizonte, Bauern liefern andere Produkte, Bottura folgt da ganz Joseph Beuys, den er verehrt: Nichts ist von Bestand. Alles wird infrage gestellt. Der Wandel bleibt die einzige Konstante. Kochen als permanente Revolution.

Angefangen hat der Koch ziemlich dilettantisch. Hat das ungeliebte Jurastudium geschmissen (eh nur der Wille des Vaters) und ein Lokal eröffnet. Wäre wohl verloren gewesen ohne die Hilfe einer Nachbarin, die professionelle Erfahrung in der Gastronomie einbrachte und das Geheimnis des perfekten Nudelteigs. Verbrachte jede freie Minute bei Georges Gogny, Franzose, zwei Sterne, der in der Nähe kochte und alles über Terrinen und Foie Gras wusste.

Mit 30 ein Trip nach New York. Fotos zeigen einen lockigen Hippie mit Frank- Zappa-Bärtchen. Gleich am ersten Tag lernte er seine heutige Frau kennen, Lara. Die Amerikanerin führte ihn in die Welt der zeitgenössischen Kunst und lehrte ihn, wie er erzählt, „tiefer zu denken“.

Die Besessenheit für Qualität

Mortadella-Schaum mit Brot, die Kindheitserinnerung des Kochs.
Mortadella-Schaum mit Brot, die Kindheitserinnerung des Kochs.

© Paolo Terzi

Ist das Leben eine Häufung von Zufällen? Kaum nach Italien zurückgekehrt, schleppt ein Balsamicohändler die französische Legende Alain Ducasse – je drei Michelin-Sterne in drei Restaurants gleichzeitig – in Botturas Lokal, und der folgt dem Star für ein Jahr nach Monte Carlo. Dort ergreift ihn „die Besessenheit für die Qualität von Produkten“. Jahre später wird der Spanier Ferran Adrià mal in Botturas Osteria essen und ihn für einen Sommer ins „El Bulli“ holen, die mythische Hexenburg der Molekularküche; dort arbeitet er mit René Redzepi, der dann das Noma an die Weltspitze führt.

Im Jahr 2000 ist das, Massimo Bottura kocht danach weiter in der Osteria Francescana, reduziert, fermentiert, trocknet, zerstäubt, verbrennt, malt essbare Kunstwerke auf Teller, notorisch missachtet von den heimischen Kritikern. Er sei damals, sagt er, müde gewesen, Geldsorgen plagten, Gedanken ans Aufgeben. Bis, erneuter Zufall, Enzo Vizzari eine Panne hatte und essen ging, solange der Monteur am Auto herumwerkelte. Der einflussreiche Journalist des Wochenmagazins „L’Espresso“ schrieb eine Hymne über die „Osteria Francescana“, ein halbes Jahr später überhäuften renommierte Gastronomieführer Bottura mit Auszeichnungen, der Michelin, der Gambero Rosso.

Massimo Bottura, klein, drahtig, führt noch immer den Spatel durchs Risotto, probiert jede Minute mit dem Löffel. Ehe es zu salzig wird, eine Kelle kochendes Wasser hinein. Etwas mit Pfeffer aromatisiertes Olivenöl. Der Reis knackt leise zwischen den Zähnen, er ist „croccante“, so soll er sein. Ob ihn die Deutschen, für die er an diesem Abend beim „Kulinarischen Kino“ der Berlinale kocht, in dieser Textur mögen? Skepsis. Er gibt dem Vialone Nano lieber noch eine Minute.

Kürzlich hat er ein Buch veröffentlicht (bei Phaidon), das den lustigen Titel „Never trust a skinny italian chef“ hat. Er mag diese Art von Ironie. Einige seiner Rezepte haben Namen, die an den Künstler Martin Kippenberger erinnern. „Ups, mir ist der Zitronenkuchen runtergefallen.“ „Eine Kartoffel wartet darauf, zum Trüffel zu werden.“ „Der Aal schwimmt den Po hinauf.“ „Hühnchen, Hühnchen, wo steckst du nur?“ Ein Gericht hat er Thelonious Monk gewidmet, dem Jazzpianisten. Auch diese Art der Musik sei immer eine Quelle der Inspiration für ihn.

Jetzt ist der Reis fertig. Bottura setzt einen Metallring in die Mitte eines vorgewärmten Tellers, er schöpft vom Risotto hinein, er zieht den Ring ab, er klopft mit der rechten Hand von unten gegen den Teller und schüttelt diesen dabei. Reis, der sich mit dem Geschmack von Käse vollgesogen hat. Basta. Das cremige Risotto verteilt sich gleichmäßig, weißer Reis auf weißem Teller, ein monochromes Gericht, das betörend nach Parmesan duftet. Vor der Nase der Gäste werden die Kellner noch etwas Pfefferessenz darübersprayen. Der aromatische Kick.

Das ist es, was ich will, sagt der Koch: „Das Beste aus meiner Heimat mit modernster Technik auf den Tisch bringen.“ Abstraktion, Tradition, Gefühle – und Reinheit. Im Italienischen klingt das etwas eleganter: „purezza“.

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