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Der Himbeere wird eine stärkende Wirkung zugeschrieben.

© ra2studio

Kochen für die Gesundheit: Eine persönliche Geschichte: Wie eine Krebskrankheit das Leben umkrempelte

Eine Familie mit drei Kindern – dann erkrankt eine Tochter an Krebs. Die Mutter entscheidet sich für eine radikale Umstellung der Ernährung. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.

Mit verklebten Augen stehen die Kinder vor dem Wasserkocher. Sie sind gerade aufgestanden, zweimal 13 Jahre alt, die Zwillinge, einmal 14, der große Bruder. Früher durfte er nur in seinen Erzählungen der große Bruder sein: Die dominanten Schwestern hatten ihn in allem überrollt, selbst beim Wachsen. Jetzt wird er doch der Größte, und wenn sein donnernder Bass erklingt, muss man ihm Beachtung schenken. „Mama, du musst mir Müsli kaufen“, brummt er und schüttelt die letzten zuckrigen Krümel in seine Milch. „Du trinkst zu viel Milch“, antworte ich, woraufhin er sich verärgert in sein Zimmer zurück zieht. „Bio! Vegan! Igitt, igitt!“

Alltagsszenen, die ein Geschenk für uns sind. Wir leben in der Nähe der Hamburger Uniklinik, die uns täglich daran erinnert, warum ich heute bio und vegan koche. Es geht nicht um Lifestyle, es geht ums Leben. Eine meiner Töchter hatte Krebs.

Die Mädchen gießen heißes Wasser auf Grüntee und Ingwerstücke. Meine eine Tochter ist groß, mit langen, muskulösen Gliedmaßen und kräftigen Händen. Die andere klein und zart, die Gliedmaßen wie aus einer Streichholzschachtel ausgelesen. Ihre Gebärden sind, als hätte sie keine Kraft, würde nur aus Zögern bestehen. Die beiden sind eineiige Zwillinge.

Brokkolisprossen gegen Tumorzellen

Der Tee zieht zehn Minuten lang, damit er seine Wirkung entfalten kann: Er soll Zellen daran hindern zu überwuchern. Für die Schule wird er in Trinkflaschen gefüllt, in denen Orangenschalen schwimmen, um schädliche Inhaltsstoffe aus Lebensmitteln zu filtern. In ihren Pausenbroten sind Brokkolisprossen, die resistente Tumorzellen vernichten sollen.

Wir waren mit einer hartnäckigen Erkältung zum Kinderarzt gegangen. Statt Hustensaft erhielten wir den Befund: schnell wachsendes bösartiges Sarkom im fortgeschrittenen Stadium im Nasen-RachenRaum. Meine Tochter wurde gerade elf, als sie dem Tod begegnete.

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Damals machte ich mir keine Gedanken über Speisepläne. Erstmal setzte meine Tochter ein Dreivierteljahr lang komplett mit dem Essen aus. Sie bekam künstliche Nahrung über eine Magensonde. Als sie überlebte und aus der Therapie entlassen wurde, war mir klar, dass wir nicht zum alten Leben zurückkehren können. Passive Angst war für mich keine vorstellbare Lebensform. Das Einzige, was man tun kann: Risikoquellen vermeiden.

Weißmehl und Zucker sind gestrichen

Wir verließen unseren Wohnort am vermeintlich idyllischen Feldrand, der mit Pestiziden bestellt wurde. Auf der Suche nach weiteren vorbeugenden Informationen stieß ich auf David Servan-Schreiber. Sein „Anti- Krebs-Buch“ mit dem Bestseller-Aufkleber legte ich mehrfach wieder aus der Hand. Aber der Streit, ob man seinem Wort Glauben schenken dürfte, nachdem er selbst an Krebs verstarb, weckte meine Neugier nur umso mehr. Also kaufte ich es doch. Und verschlang den Ernährungskrimi. Der Autor ist ein Charismatiker, der mitreißend überzeugt. Wäre er nicht tot, würde ich mich mit ihm befreunden wollen.

Ich konnte kaum erwarten, mit dem Mobilisieren natürlicher Abwehrkräfte loszulegen. Einfach mit Lebensmitteln, die Wirkstoffe gegen Krebs beinhalten. Um schädliche Nahrungszusätze zu vermeiden, begannen wir mit der Bio-Ernährung. Seit anderthalb Jahren gehen wir an Lebensmitteln aus nicht kontrolliertem Anbau vorbei wie an Hundefutter. Weißmehl und Zucker sind komplett gestrichen. Ich gebe mein Bestes, um den Jugendgaumen dennoch zu verwöhnen – mit Röstaromen, kräftigen Gewürzen und der Imitation ungarischer Gerichte aus tierfreien Zutaten.

Das Fett des Specks tröpfelte aufs Brot

Früher aß die Familie ungarisches Gulasch und Speck: Léda Fargó hat eine deftige osteuropäische Vergangenheit.
Früher aß die Familie ungarisches Gulasch und Speck: Léda Fargó hat eine deftige osteuropäische Vergangenheit.

© imago/Westend61

Ich habe nämlich eine deftige osteuropäische Vergangenheit. Eine signifikante Kindheitserinnerung: Mein Großvater hält unter seinem Arm einen ZehnKilo-Laib Weißbrot, in der Hand Speck. Von beidem schneidet er abwechselnd Stücke ab und stopft diese vom Messer in den Mund. Die größten Legenden in unserer Familie haben alle mit Essen zu tun. Die Rangordnung unter den Enkeln bestimmt die Menge, die man zu verschlingen fähig ist. Jeder weiß, dass ich locker 15 Palatschinken verputze. Bis heute kann ich mir jedes Gericht meiner Großeltern ins Gedächtnis rufen. Bis zum Verlust des Verstandes liebte ich diesen Geschmack aus Fleisch, Weißmehl und Zucker.

In der Kita aßen meine Kinder Fischstäbchen und Tomatennudeln. Am Wochenende stöhnten sie zu meinem Gulasch und den Paprika-Kartoffeln. Am Lagerfeuer brieten wir Speck und ließen das Fett aufs Bauernbrot tröpfeln. Bis meine Tochter erkrankte. Meine eigene Mutter wurde mit uns vegan. Ich jage dem Kindheitsgeschmack nicht mehr nach, speise schon so lange aus einer offenen Weltküche. Aber auch in Ungarn gehe ich in einen kleinen Bio-Laden, in dem man alles, was es in Deutschland gibt, bekommt. Nur kostet es dreimal so viel. Selbst das Gemüse wird aus Deutschland in das Agrarland importiert.

In der Anfangsphase bereitete ich täglich Nachtisch aus Nüssen und Früchten zu, um den Kindern das Gefühl zu geben, satt zu werden, auf nichts verzichten zu müssen. Mir war wichtig, dass sie weiterhin Freude am Essen haben, sich nicht bestraft oder als Außenseiter fühlen. Deswegen räumten wir einen Ausnahmetag pro Woche ein und freie Selbstbedienung auf Kindergeburtstagen und Reisen. Nach solchen Anlässen scheinen sie dennoch erleichtert, wieder zur Biokost zurückzukehren. Anfangs aßen wir noch an den Wochenenden Fleisch und Milchprodukte, aber je mehr wir darüber wussten, desto absurder kam uns der Tier- und Kuhmilch-Verzehr vor, so dass wir Veganer wurden. Als erste meine ehemals kranke Tochter; ihre Schwester und ich zogen dann nach.

Verheißungen auf den Verpackungen

Nur mein Sohn hat ein gespaltenes Verhältnis zu unserer neuen Ernährungsform. Er will geborgen bleiben in seiner Geschmacks- und Produktwelt und glaubt den Verheißungen auf den Verpackungen. Das gibt ihm mehr Sicherheit, als die Überzeugung seiner Mutter, die er als wankelmütige Flamme abtut.

Ich kann es ihm nicht übel nehmen. Auch ich möchte so gerne den Verpackungen glauben. Möchte mich fallen lassen und nicht immer wie eine misstrauische Detektivin die Zutatenliste mit freakiger Haarspalterei überprüfen müssen.

In der Schule behauptet mein Sohn, bio-vegan zu sein. Das finden alle toll. Später kommen die Töchter bärenhungrig nach Hause. Ihre Geschmacksnerven sind mittlerweile umcodiert. Ich bekomme für Fenchel oder Kohlrabipommes als Belohnung die gleichen Genusslaute wie früher für Dinoschnitzel mit Ketchup.

Unsere Ernährung ist keine Krebs-Diät mehr, die, wenn die Gefahr gebannt ist, abgelegt werden könnte. Es ist eine Lebensweise geworden. Wie blöd wäre es, wie früher weiter zu machen und das Schicksal herauszufordern. Wie könnte ich, nachdem ich weiß, was sich alles in industriellen Lebensmitteln befindet, sie meinen Kindern verabreichen? Wobei es umständlicher ist, an gesunde Nahrung ranzukommen, als an giftige. Es zählt als Luxusgut, während Übles kaum etwas kostet.

Vielleicht liegt der Erfolg auch daran, dass die Kinder gern mit festen Regeln leben. Meine andere Zwillingstochter weiß, dass sie genetisch ihrer Schwester gleicht und somit höchst gefährdet ist. Mit der Ausnahmeregelung kann sie gut leben, ab und zu gibt’s Demeter-Pommes auf dem Biomarkt, Frühlingsröllchen vom Thai auf der Fahrradtour. Die ehemals Erkrankte macht von den Ausnahmen meist keinen Gebrauch.

Natürlich gab es Rückschläge, Angst vor Genussverlust. Spätestens, als ich die erste vegane, zuckerfreie Geburtstagstorte buk. Schokoladig und cremig sah sie aus. Unsere Freunde kannten mich als gute Köchin, also langten alle mit großem Appetit zu. Die Gabeln verschwanden in den Mündern. Schweigen. Bis meine Tochter, mein Engel, sagte: „Mama, mir schmeckt es!“ Es war scheußlich, kalter, zäher, abgestandener Bananenschleim mit bitterem Kakao-Nachgeschmack. Aber sie ist so genügsam und dankbar, dass sie selbst am Kuchen, der misslang, die Absicht, wie gut er gemeint war, erkennen und genießen konnte.

Nicht schwach werden!

Biogemüse geht ins Geld.
Biogemüse geht ins Geld.

© Patrick Pleul/picture alliance / dpa

Eine weitere Hürde bei unserer Ernährung: die Wirtschaftlichkeit. Teenager essen eine Menge. Oft renne ich aus dem Biomarkt, damit niemand die Tränen sieht, die mir in die Augen schießen. Ich renne der Verzweiflung entgegen, wieder weit über unsere Verhältnisse eingekauft zu haben. Ich gebe ungefähr das Vierfache für Lebensmittel aus im Vergleich zu früher. Unser Leben dreht sich ums Essen. Ums Geld. Um das Anschaffen der Zutaten. In sechs, sieben Läden kaufe ich ein, so unterschiedlich sind die Preise, und wo man was bekommt.

Früher war ich Schriftstellerin. Heute bezeichne ich mich als Heilköchin. Drei Stunden verbringe ich jeden Tag in der Küche. Studiere die Literatur. Eins meiner Standardwerke heißt „Krebszellen mögen keine Himbeeren“ von dem Biochemiker Richard Béliveau, der einen Lehrstuhl für Krebsbehandlung an der Universität von Québec hat. Ein anderes: „Tomatenrot und Drachengrün“ von der Onkologin Susanne Bihlmaier.

Besser einladen als ausgehen

Und wie ist es mit der Geselligkeit? Bei Freunden fragen wir nicht nach der Herkunft der Nahrung und lächeln Zucker und tierische Zutaten weg. Wir wollen nicht kompliziert sein, wollen vor allem mit ihnen zusammen sein. Am besten ist es, wenn Gäste zu uns kommen. Doch das geht ins Geld.

Aber das ist mir wichtig: nicht nachlassen. Nicht schwach werden, weil es billiger ist, Nudeln und Brot zu essen. Lieblingsessen der Kinder wie vegane Burger zuzubereiten, auch wenn es aufwändig ist. Mir gelegentlich ein neues Küchengerät spendieren, zum besseren Keimen und Dampfen.

Sehnsucht nach der Unbeschwertheit

Ab und zu flammt Sehnsucht nach der alten Unbeschwertheit auf. Wenn man bloß einen Lebensmittelladen ohne Alarmsignale im Kopf betreten, ohne nachzudenken einfach alles aus den Regalen nehmen könnte. Doch der Wunsch, dass mein Kind gesund bleiben soll, lässt keine Milderung unserer Vorsätze zu.

Gleichzeitig übe ich mich darin, missionarische Impulse zurückzuhalten. Man neigt dazu, zu denken, dass das, was einem gut tut, auch den anderen gut tun würde. Aber die Überzeugung muss man sich erarbeiten. Es muss einen inneren Druck geben, um danach zu suchen.

Meine Whatsapp-Chat-Verläufe sind ein einziger Rezepttausch. Meine Kinder schütteln den Kopf, wenn sie sich mein Handy schnappen: „Mama, andere Mütter fotografieren ihre Kinder, bei dir gibt es nur Essensfotos!" Dann nehme ich ihnen mein Handy weg, damit sie sich auf ihre Teller konzentrieren können.

Léda Forgó, 1973 in Ungarn geboren, zog als 20-Jährige nach Deutschland und lebt mit ihren Kindern in Hamburg. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Vom Ausbleiben der Schönheit“. Momentan arbeitet die Autorin an einem Kinder-Krebs-Buch.

Von Léda Forgó

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