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Stephanie Jaworski leitet 14 Minuten lang detailliert zum Backen an.

© Mike Wolff

Kochen mit Youtube: It’s so easy

Bisher kriegte er nichts gebacken. Doch beim New York Cheesecake holte sich unser Autor die Hilfe amerikanischer Hausfrauen. Wozu gibt es schließlich Youtube?

Es gibt diesen alten Song, in dem Bill Withers die Hände seiner Großmutter besingt: „Grandma’s hands, boy they really came in handy…“ Daran muss ich immer denken, wenn ich vor ungewohnten handwerklichen Aufgaben stehe. Meine eigene Großmutter pflegte nämlich immer zu sagen: Einmal zeigen ist besser als zehnmal erklären. Langes Reden mochte sie nicht, lieber führte sie mir Handgriffe vor, egal, ob es ums Hosenflicken, Pilzesammeln oder Soßenkochen ging: die Nähnadel so halten; das Pilzmesser hier ansetzen; das Mehl jetzt einstreuen. Alles, was ich je über Haushaltsführung gelesen habe, habe ich vergessen. An Großmutters Hände erinnere ich mich blind.

Inzwischen ist Oma leider tot, und Bill Withers ist auch nicht mehr der Jüngste. Der Song „Grandma’s Hands“ jedoch hat überlebt, er taucht sogar immer mal wieder als Sample in Hip-Hop-Stücken auf. Auf ähnliche Weise haben auch die Hände meiner Großmutter überlebt: Ich sehe sie immer mal wieder vor mir, wenn ich mir Youtube-Videos anschaue.

Warum? Weil das Video-Portal Youtube über die Jahre zu einer erstaunlichen Wissensquelle für Autodidakten geworden ist. Man kann sich da so ziemlich alles vorführen lassen, was man mit den Händen machen kann: Gitarrenakkorde greifen, Hemden umschneidern, Wände verputzen, Hosen flicken, Pilze sammeln, Soßen kochen. Ein internationaler Schwarm von Enthusiasten teilt da seine handwerklichen Kenntnisse mit jedem Lernwilligen, einfach so, zum Spaß, ohne Gegenleistungen oder Applaus zu verlangen, motiviert vermutlich nur von der Erkenntnis, die mir einst meine Großmutter vermittelt hat: Einmal zeigen ist besser als zehnmal erklären.

Gerade für Hobbyköche ist Youtube eine unerschöpfliche Fundgrube. Es gibt da Hunderttausende, wahrscheinlich sogar Millionen von Videos, in denen Amateure aus aller Herren Länder dem Zuschauer detailliert die Zubereitung ihrer Lieblingsgerichte vorführen.

Der Suchbegriff „New York Cheesecake“ zum Beispiel lieferte zum Zeitpunkt dieser Recherche insgesamt 51 100 Treffer. Anfangs mag einen diese Fülle vielleicht etwas überfordern, aber wer ein paar Mal mit Youtube kocht, lernt schnell, die Ergebnisse zu filtern. Zum Beispiel nach ihrer Herkunft: Amerikanische Köche dürften von amerikanischem Kuchen mehr verstehen als deutsche oder japanische, ein Hobbybäcker aus New York backt vermutlich einen authentischeren Cheesecake als einer aus Texas. Auch die Machart der Videos gibt Anhaltspunkte. Komprimierte Filme mit vielen Schnitten wirken auf den ersten Blick ansprechender und zeitsparender, aber oft merkt man beim Nachkochen, dass irgendein entscheidender Teilschritt nicht gezeigt wird – besser nach Live-Videos suchen, man kann die langweiligen Stellen ja vorspulen.

Ich persönlich meide Videos auch, wenn die Köche zu professionell wirken, weil sich dann oft nach der Hälfte herausstellt, dass es ihnen nicht ums Kochen, sondern um versteckte Werbeanliegen geht. Mein Vertrauen gilt eher den stillen, gerne etwas linkisch wirkenden Hausfrauen. Mit dieser Einschätzung bin ich bei Youtube offenbar nicht alleine: Stephanie Jaworski zum Beispiel, eine mittelalte, mütterlich wirkende Amerikanerin mit Denver-Clan-Frisur, hat im Januar 2011 ein Cheesecake-Video veröffentlicht, das sich zum Zeitpunkt dieser Recherche bereits 701 931 Menschen angesehen haben.

Frau Jaworski steht in ihrem Video – wie übrigens sehr viele amerikanische Youtube-Köche – vor einem Kühlschrank, der ungefähr so groß ist wie die Schrankwand meiner seligen Großmutter. Auch ihr Mixgerät hat für europäische Augen ungewohnte Dimensionen, es sieht ein bisschen aus, als gehöre es zu einer Industrieproduktionslinie für Flugzeugteile. Man braucht dieses Zubehör aber nicht unbedingt, um Frau Jaworskis Käsekuchen nachzubacken.

Auch eine Konvertierungstabelle braucht man nicht, da Frau Jaworski beim Erklären netterweise alle amerikanischen Maßeinheiten in europäische umrechnet: Für die Springform empfiehlt sie eine Größe von neun Zoll („das sind 23 Zentimeter“), der Ofen wird auf 250 Grad Fahrenheit vorgeheizt („das sind 120 Grad Celsius“), in den Teig gehören 32 Unzen Philadelphia-Frischkäse („das ist ein Kilogramm“), und die Backform wird mit Non-Stick-Spray eingesprüht („man kann auch Butter nehmen“).

Bei anderen Zutaten muss man als Europäer ein bisschen improvisieren. Die meisten Amerikaner scheinen beispielsweise den Cheesecake-Boden aus einem Produkt namens „Graham Cracker Crumbs“ zuzubereiten. Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass es sich dabei einfach nur um zerkrümelte Butterkekse handelt, die man in Amerika offenbar fertig kaufen kann. „Don’t buy them, they’re sooo easy to make“, sagt ein Hobbybäcker in einem anderem Video, aber nach allem, was ich mitbekommen habe, steht der Mann mit dieser Ansicht ziemlich alleine da in der amerikanischen Cheesecake-Community.

Das Wort „easy“ taucht überhaupt ziemlich oft auf in Youtube-Kochvideos. „It’s so easy“, sagt Frau Jaworski mehrmals über ihr Käsekuchenrezept, manchmal auch „It’s really easy“ oder sogar „It’s super-easy!“ Das stimmt auch, Youtube macht es dem Zuschauer wirklich sehr leicht.

Es ist ein bisschen wie Kochfernsehen, aber mit dem Unterschied, dass man jederzeit vor- und zurückspulen kann, wenn man einen Handgriff nicht sofort kapiert. Mindestens zehn Mal habe ich mir beispielsweise angesehen, wie Frau Jaworski ihre „Cracker Crumbs“ mit flüssiger Butter vermischt und den Krümelbrei in die Springform drückt, bis ich ein Gefühl dafür entwickelt hatte, wie der Cheesecake-Boden idealerweise aussehen sollte.

Ein weiteres Plus des Youtube-Kochens ist, dass man sich aus verschiedenen Videos die besten Bestandteile raussuchen und zum Idealrezept kombinieren kann. Mein persönlicher Cheesecake folgt zum Beispiel im Großen und Ganzen der Stephanie-Jaworski-Methode, erlaubt sich aber im Detail ein paar Abweichungen. Von Michele McAdoo aus Philadelphia habe ich mir abgeschaut, wie man die Kuchenoberfläche mit einem „Swirl“ verziert: Vor dem Backen träufelt man ein bisschen Himbeermarmelade oder geschmolzene Kuvertüre auf die flüssige Philadelphia-Creme, nimmt dann ein Essstäbchen zur Hand und verzwirbelt die beiden farblich abgesetzten Flüssigkeiten zu kunstvollen Marmorschlieren. Ein bärtiger Familienvater aus Brooklyn hat mich davon überzeugt, ein wenig Muskat, Ingwer und schwarzen Pfeffer in den Kuchenteig zu mischen, außerdem hat der Mann eine extrem lässige Art, Eier mit nur einer Hand aufzuschlagen, das habe ich mir gleich abgeguckt.

Dann ist da noch Jenny McCarthy aus Ohio, die empfiehlt, den Kuchenboden kurz vorzubacken, bevor man die Frischkäsemischung in die Form gießt. Das mache ich inzwischen auch so, Frau McCarthy hat mich mit dem Argument überzeugt, dass ihr Kuchenrezept von 1947 stammt. Im Video erzählt sie ausführlich, wie ihre Mutter kurz nach dem Krieg mit dem Bus zur Arbeit fuhr und unterwegs zufällig mit einer Frau auf dem Nebensitz ins Gespräch kam. Die Frau stellte sich als echte New Yorkerin heraus, und der Kuchen auf ihrem Schoß als echter Cheesecake.

Frau McCarthy senior war so begeistert, dass sie sich mit der New Yorkerin anfreundete und sich die Zubereitung des Kuchens vorführen ließ. Später vermittelte sie ihrer Tochter die erlernten Handgriffe – und die zeigt sie nun bei Youtube der ganzen Welt.

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