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Salatkopf trifft Hackfleisch: Kann denn Liebe Sünde sein?

© Dragan Nikolic/Fotolia

Können Vegetarier Fleischesser lieben?: Probleme mit der Fleischeslust

Gemüsequiche liebt Schweineschnitzel – geht das denn? Auf Dauer nicht, sagt die Wissenschaft, Vegetarier ekeln sich vor Carnivoren. Das neue Sozialphänomen hat einen Namen: Vegansexualität.

Lisa wohnt mit zwei Freundinnen in Neukölln. Alle drei sind Vegetarierinnen, Fleisch kommt bei ihnen nicht auf den Tisch. Fabian, Lisas Freund, mag Hühnchen und Rind, aber weil Lisa diejenige ist, die einkaufen geht und kocht, bestimmt sie auch, was auf dem Herd gebrutzelt wird. Gefüllte Paprika mit Couscous gibt es dann oder Gemüse-Quiche. Ein Problem für Fabian? „Nö“, sagt er. „Ich bin da tolerant.“

Kennengelernt haben sich die beiden vor anderthalb Jahren in einer Bar. Was der andere gern isst oder nicht, wie er zur Massentierhaltung steht und was er morgens auf seinem Brot hat, wen interessierte das da schon. „Es kommt doch auf die Person an“, sagt Fabian und streicht Lisa über den Arm. „Wenn ich Lust auf einen Döner hab, dann esse ich ihn mittags in der Pause, und in Berlin ist vegetarische Küche auch kein Problem.“ Fabian hat schon immer Fleisch gegessen und nie darüber nachgedacht, woher es kommt. Lisa verzichtet auf Steak und Filet seit dem Kindergarten. Sie hat einmal gesehen, wie tote Rinder im Schlachthaus von der Decke baumelten und hatte von da an genug. Seit Anfang Februar ist sie Tierärztin.

Diskussionen gibt es zwar hin und wieder, Streit aber nicht. Nicht wegen so was. Bei ihren Mitbewohnerinnen ist die Ernährung von Männern auch kein Thema. Ist es nie gewesen.

Damit würden die drei Frauen bei „Gleichklang“, einer „Kennenlern-Plattform für umweltbewegte, tierliebe und sozial interessierte Menschen“ zur knappen Minderheit gehören. Rund 15 000 Mitglieder sind dort registriert, zwei Drittel sind Frauen, jeder Dritte lebt ohne Fleisch. Ein Partner, der gerne mal ein Schnitzel isst, das wäre für 51 Prozent der Vegetarier unmöglich – bei den Veganern liegt die No-go-Quote bei 85 Prozent. Sollen sie sagen warum, nennen die meisten ethisch-moralische Gründe wie den Tierschutz. Mehr als ein Drittel fände den Alltag mit Einkaufen und Ausgehen zu anstrengend, und fast jeder Fünfte findet Fleischesser – oder Omnivoren (lat. Allesfresser) – einfach nur furchtbar ekelhaft.

Noch nie war es einfacher für Veganer und Vegetarier als heute. Der Markt boomt. Immer mehr Kochbücher erscheinen, immer mehr fleischfreie Restaurants und Supermärkte eröffnen. Neben „Gleichklang“ haben sämtliche Online-Partnerbörsen Ernährungsgewohnheiten als Kategorie eingestellt oder planen sie ein. Cafés laden zum vegetarischen Speed Dating ein.

Liebe geht durch den Magen

Salatkopf trifft Hackfleisch: Kann denn Liebe Sünde sein?
Salatkopf trifft Hackfleisch: Kann denn Liebe Sünde sein?

© Dragan Nikolic/Fotolia

Nun passiert es aber nach wie vor, dass sich Vegetarier und Nicht-Vegetarier ineinander verlieben. Siehe Lisa und Fabian. Es läuft gut zwischen ihnen, aber ganz allgemein gefragt: Kann die Essensfrage mal zum Paarproblem werden? „Vegetarier, und mehr noch Veganer, sind sehr an Werten orientiert“, sagt der Biopsychologe Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin. „Und Liebe geht nun mal auch durch den Magen.“

Was er damit meint, ist, dass gemeinsame Mahlzeiten Bindungen stiften. Schon in der Steinzeit setzten sich die Menschen nach der Jagd zusammen und aßen das erlegte Tier. Das Abendessen, ein wichtiges Ritual. Damals wie heute. Körperlich kommt hinzu: Der Ruhenerv Parasympathikus sorgt nach dem Essen für Entspannung, für die Müdigkeit danach, und nebenbei wird das Kuschelhormon „Oxytocin“ produziert. Valentinstag, Jahrestag, Geburtstag, wie oft werden sie im Restaurant oder an der häuslichen Tafel zelebriert.

„Zu Beginn der Beziehung kann dieses Thema noch egal sein, weil man den Partner mit seiner rosaroten Brille idealistisch überhöht“, sagt Walschburger. „Aber nach ein paar Monaten kommt plötzlich die große Ernüchterung, oh, das ist ja ein Mensch wie jeder andere.“ In dieser Phase könnte die Frage nach den richtigen Lebensmitteln, der richtigen Ernährung, zum nervigen Dauerstreit werden. Egal, wie niedlich die kleinen Grundsatzdiskussionen am Anfang noch waren. Der Verzicht auf das Filetstück wird zum stillen Vorwurf, die Bemerkung zu Keimen in Hackfleisch zur Besserwisserei. Einer muss immer zurückstecken, so oder so. Es sei denn, die Nahrungsmittel werden pragmatisch getrennt, so wie Pfannen, Teller und Besteck. Romantisches Kochen zu zweit? Na, geht so.

Eine „Gleichklang“-Userin, die fleischlose Ernährung sehr wichtig findet, ist Katharina Bernstein, 33, aus Berlin. „Ich war früher mit Omnivoren liiert, und immer war es ein Problempunkt“, sagt sie. Bei ihr mussten die Männer nach dem Essen einen Liter Wasser trinken oder sich die Zähne putzen, bevor sie ihre Freundin küssen durften. Sie distanzierte sich innerlich, sagt sie, und dachte manchmal: „Ich fühlte mich wie das Schlachtvieh selbst, respektlos behandelt, und dann mit viel Gier verschlungen. Als gäb es kein Morgen.“ Mit einem Mann zusammen sein, der Fleisch isst? Mit ihm schlafen? Nie, nie wieder.

Eine Einstellung, mit der sie nicht allein ist. Die neuseeländische Forscherin Annie Potts wollte vor einigen Jahren eigentlich eine Umfrage zum Einkaufsverhalten von Veganern machen. Stattdessen fand sie heraus, dass ein Teil der Veganer keinen Partner, der Fleisch isst, mit ins Bett nehmen würde. Eine Frau sagte ihr: „Ich möchte nicht mit jemandem intim werden, dessen Körper buchstäblich aus den Körpern anderer besteht.“ Ein neues Phänomen, ein neuer Name: Die Vegansexualität.

Der Schweiß der Vegetarier riecht angenehmer

Allein der Geruch des anderen soll für manche Vegetarier und Veganer kaum zu ertragen sein. Diese These haben Jan Havlicek und Pavlíná Lenochova von der Karls-Universität in Prag getestet: Zwei Wochen lang ernährte sich eine ihrer Versuchsgruppen 14 Tage vegetarisch, die andere durfte Fleisch essen. Danach wurden Achselschweißproben der Männer genommen, und 30 Frauen beurteilten, wie „angenehm“, „attraktiv“, „maskulin“ und „intensiv“ der Geruch war. Die Ernährung der Gruppen wurde getauscht, nach weiteren zwei Wochen stand der nächste Test an. Mit dem Ergebnis: Die Vegetarier schnitten deutlich besser ab. Ihr Schweiß roch angenehmer, auf die Frauen wirkten sie viel attraktiver.

Für andere ist wiederum nicht das Körperliche schwierig. Es ist vielmehr die Frage nach Einstellungen, Gemeinsamkeiten, nach dem Charakter des anderen. „Ich spreche so gut wie nie über Tierhaltung und Fleischkonsum, weil das jeder für sich wissen muss und ich niemanden bekehren will“, sagt Lisa. „Was ich aber nicht gut haben kann, ist abgepacktes Billigfleisch. Da rege ich mich schon etwas auf.“ Wenn die anderen doch nur ein bisschen weniger Fleisch essen würden – und dann etwas mehr Geld für besseres Fleisch ausgeben würden, dann wäre Lisa schon zufrieden. Seltener und bewusster Fleisch essen ist immerhin ein Trend. Nennt sich: ein „Flexitarier“ sein.

Salatkopf trifft Hackfleisch: Kann denn Liebe Sünde sein?
Salatkopf trifft Hackfleisch: Kann denn Liebe Sünde sein?

© Dragan Nikolic/Fotolia

Ein gutes Steak von Qualität, das befürwortet auch Miriam Wagner. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie Fleisch regelmäßig isst, verkauft, und als Thüringer Wurstkönigin bewirbt. „Ich würde aber niemals ein Schnitzel für 95 Cent braten“, sagt sie. Die Fleischerei-Filiale, in der sie arbeitet, steht inmitten eines Penny-Markts, wenige Meter vom Kühlregal des Discounters entfernt. „Die Leute geben für Fleisch ungern Geld aus und kaufen lieber ein verpacktes Angebot“, sagt sie. Dabei schmecke eine Scheibe Brot mit frischer Leberwurst morgens doch so gut – wie können andere nur Billigzeug kaufen? Nein, nein, das könnte die Wurstkönigin nicht.

Doch wenn ihr Freund abends zum Essen kommt, serviert sie kein totes Tier. Er ist Vegetarier. Kompromisse sind nötig. Dann gibt es bei Frau Wagner Tofu statt Hack.

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