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So sieht sie aus: Die echte Paella Valencia

© Eva Biringer

Paela: Gerüttelt, nicht gerührt

Eine Pfanne voll strandgelbem Reis, Erbsen, Fleisch und ... Meeresfrüchten? Nein! In Valencia weiß man: Echte Paella enthält kein Gramm Fisch.

Erinnert sich noch jemand an den gastrosexuellen Mann? Der Autor Carsten Otte hat diesem Hobbykoch-Typ ein gleichnamiges Buch gewidmet. Der gastrosexuelle Mann kocht gern für Gäste, er liebt die Show, das stundenlange, von reichlich Bier- oder Weinkonsum begleitete Rezeptetesten, bevorzugt am Wochenende. Den Geruch von Fleisch, offenes Feuer. Ein spezielles Gericht aber scheint wie für ihn gemacht: die Paella.

Um Javier Colomer drängen sich etwa 30 hungrige Touristen, in der einen Hand ein Glas Malvasia, in der anderen das Smartphone mit laufender Kamera. Den hageren Koch mit dem Flammen-Kopftuch lässt das kalt. Mit routinierten Bewegungen verteilt er Hühner-, Kaninchen- und Entenstücke in einer planschbeckengroßen Eisenpfanne, fügt erst Brühe zu, dann Safran und Reis. Es wird gerüttelt, nicht gerührt! Der Geruch von gebratenem Fleisch mischt sich mit dem des Orangenholzfeuers, dazu entfernte Noten durchgeschwitzter Funktionskleidung. Colomer hat die Sache unter Kontrolle. Jetzt heißt es warten.

Javier Colomer und seine Paella Valencia - natürlich ohne Fisch!
Javier Colomer und seine Paella Valencia - natürlich ohne Fisch!

© Eva Biringer

Paella gilt als das spanische Nationalgericht schlechthin. Man hat sofort dieses Bild im Kopf: eine ausladende Pfanne voll strandgelbem Reis, palmwedelgrünen Erbsenschoten, gespickt mit Fleisch und Meeresfrüchten. Das ist falsch. Die echte „Paella Valenciana“ enthält kein Gramm Fisch. Darüber wundert man sich nicht nur an der Tiefkühltruhe eines deutschen Supermarkts, wo die Fertigpaella einträchtig neben der Pizza Hawaii liegt, sondern auch dort, wo sie herkommt.

Ein Verein soll die verlorene Ehre der Paella retten

Die bittere Wahrheit ist: Valencia tritt sein Erbe mit Füßen. An jeder Ecke der knapp 800 000-EinwohnerStadt ploppen einem grell bebilderte Folienspeisekarten entgegen. Schnecken, Artischocken, Paprika in der Paella, das ist gerade noch vertretbar. Aber Shrimps, Lachs, geröstetes Gemüse? Jamie Oliver präsentierte unlängst eine Version mit Oliven und Chorizo.

All das ist für Guillermo Navarro eine Katastrophe. Gemeinsam mit Paco Alonso und Jose Maza hat er deswegen den Verein „Wikipaella“ ins Leben gerufen. Seit 2013 vermerkt dieser Verband, wo es besonders gute, vor allem aber korrekt zubereitete Paella zu kaufen gibt, und zwar überall auf der Welt. „Schau, in München haben wir zum Beispiel das Pop-up-Format Paella Xperience“, erklärt Navarro beim Blättern durch eine wurstdarmdicke Broschüre. „Ganz schwierig ist Barcelona. Bislang können wir dort keine einzige Adresse empfehlen.“ Besser liegen die Dinge dann schon in seiner Heimatstadt. „Aber“, seufzt der hauptberuflich in einer Werbeagentur Tätige, „T-Shirts mit der Aufschrift ‚Ich habe in Valencia die schlechteste Paella meines Lebens gegessen‘ fänden sicher ihre Abnehmer.“ Wer sich an die Regeln hält – Reis, Tomaten, Bohnen, Fleisch –, darf sich die Wikipaella-Plakette an die Tür hängen. Für besonders gute Qualität und die Zubereitung über offenem Feuer gibt es einen Holzlöffel.

Paella ist ein deftiges Familiengericht mit Fleisch - und immer ohne Fisch!

Das wahre Verdienst des Vereins allerdings ist das Paella-Emoji. Die dafür zuständige Stelle muss man sich ähnlich bürokratisch vorstellen wie das Berliner Bürgeramt. Drei Jahre hatten sie sich Zeit gelassen und dann das: „In der ersten Version war eine Gamba zu sehen!“ Das Wikipaella-Trio wehrte sich – mit Erfolg. Auf der Betaversion der gezeichneten Paella fehlt das Meeresgetier.

Das sich hartnäckig haltende Missverständnis kommt nicht von ungefähr, schließlich liegt Spaniens drittgrößte Stadt Valencia in bester Küstenlage. Von der penibel restaurierten Altstadt bis zum Stadtstrand sind es nur wenige Kilometer.

Zuerst wird in einer riesigen Pfanne das Fleisch angebraten: Hühnerstücke in die Mitte geben, dann die Kaninchenstücke an den Rand und alles 15 bis 20 Minuten knusprig braten
Zuerst wird in einer riesigen Pfanne das Fleisch angebraten: Hühnerstücke in die Mitte geben, dann die Kaninchenstücke an den Rand und alles 15 bis 20 Minuten knusprig braten

© Eva Biringer

Und doch ist Paella keine Fischermahlzeit, sondern ein deftiges Familiengericht, zubereitet an einem Sonntag, und zwar vom männlichen Familienoberhaupt. Spanier behaupten gerne, ihr Nationalheiligtum sei kalorienarm. Das ist es nicht. Man bekommt damit locker eine ganze Familie satt, und bei spontanem Nachbarbesuch reicht es, auf die nächstgrößere Pfanne zurückzugreifen. Kein Valencianer käme zudem auf die Idee, abends im Restaurant Paella zu bestellen. Dass viele es trotzdem anbieten, liegt natürlich an den Touristen.

Spanien besitzt eine große Vielfalt an traditionellen Reisgerichten

Ein solcher ist Bernd Knöller längst nicht mehr. Mit der Lässigkeit des Angekommenen bewegt er sich durch den größten Markt der Stadt, den „Mercat Central“, plaudert mit der Barista, holt Großbestellungen beim Metzger ab, prüft Mini-Kalamare am Fischstand. Vor 27 Jahren kam Knöller, der mit seinen 1,92 Metern alle Einheimischen überragt, nach Valencia und eröffnete 2001 sein Restaurant „Riff“. Seit 2009 hält es einen Michelin-Stern. „Die Spanier kennen eine Vielzahl von Reisgerichten“, erklärt der gebürtige Schwarzwälder in schwäbischem Singsang, „etwa den risottoähnlichen Arroz meloso, die Reissuppe Arroz caldoso, Fideuà, eine Nudelpfanne mit Meeresfrüchten, oder den in Valencia ebenfalls weitverbreiteten Arroz a Banda, bestehend aus Reis, Fischbrühe und Meeresfrüchten.“ Sein eigener „Aroz brut“, zu Deutsch: schmutziger Reis, mit getrockneten und pulverisierten Sepia-Innereien gewann einen Innovationspreis der „D.O. Arroz de Valencia“.

Grüne und weiße Bohnen zugeben, dann Tomatenpüree und Paprikapulver. Salzen. Wasser zugießen – pro Tasse Reis zweieinhalb Tassen – dann Artischocken, Safran und Piment einrühren.
Grüne und weiße Bohnen zugeben, dann Tomatenpüree und Paprikapulver. Salzen. Wasser zugießen – pro Tasse Reis zweieinhalb Tassen – dann Artischocken, Safran und Piment einrühren.

© Eva Biringer

Der „Paella Valenciana“ dagegen begegnet der 57-Jährige, der schon im Berliner „Maître“ unter Henry Levy gekocht hat, mit Respekt. Und zwar so viel, dass er in seinem eigenen Restaurant die Finger davon lässt. „Die Paella ist eines der letzten europäischen Gerichte, die mit einer Tradition verknüpft sind. Sie ist günstig in der Herstellung, umso mehr, wenn man statt echtem Safran künstliche Zusätze verwendet. Das kommt oft vor, leider.“ Ehe er sich verabschiedet, schwärmt er noch von den vielen verschiedenen Reissorten seiner Wahlheimat. Danach geht er. Er muss jetzt kochen.

Reis ist gewissermaßen die Seele der Paella. Kein Wunder also, dass ihm die Stadt ein eigenes Museum widmet. Bis vor Kurzem war das Viertel Cabanyal mit seinen illegal besetzten Häusern reif für den Abbruch, zieht jetzt aufgrund seiner Meeresbrise allerdings verstärkt Investoren an. Auf einigen Fassaden hat die Gentrifizierung bereits pastellfarbene Spuren hinterlassen. Die Nähe zum Hafen ist auch der Grund, warum sich hier von 1906 bis Mitte der achtziger Jahre die größte elektronisch betriebene Reismühle der Stadt befand. Kurz war der Weg der täglich bis zu 20 000 produzierten Kilogramm von der Lagerhalle zum Schiff. Seit 1000 Jahren wird in Valencia Reis angebaut, den maurischen Einwanderern sei Dank. Und zwar in der Albufera, einer etwas außerhalb gelegenen Lagune, die heute unter Naturschutz steht.

Touristen haben eine idealisierte Vorstellung von der Reisproduktion

Eine halbe Stunde dauert die Fahrt mit dem Auto in Richtung Süden, im Rückspiegel eine sich endlos ausdehnende, sattgrüne Ebene. Manchmal kreuzen Kaninchen den Feldweg. Bewirtschaftet werden die 15 000 Hektar Reisfelder mithilfe eines ausgeklügelten Bewässerungssystems, das sich aus dem mitten in der Albufera gelegenen See speist, der mit 30 Quadratmetern der größte des Landes ist. In den letzten Jahren achtet die Regierung verstärkt darauf, die heimische Artenvielfalt zu bewahren. Auf dem Weg zur Bootsanlegestelle begegnet man Ornithologen, die nach seltenen Vogelarten Ausschau halten, die anschließende Überfahrt geht durch scheinbar unberührtes Schilf.

Alles 15 bis 20 Minuten köcheln lassen. Abschmecken, gegebenenfalls nachsalzen.
Alles 15 bis 20 Minuten köcheln lassen. Abschmecken, gegebenenfalls nachsalzen.

© Eva Biringer

Eine Idylle, denkt sich der Paella-Tourist, bis er erfährt, dass man hier keineswegs nach ökologischen Standards wirtschaftet. Pestizide im Naturschutzgebiet, das kommt einem spanisch vor. Bauer Miguel Puchalt zuckt die Schultern. Auf Bio umzustellen, kann er sich schlichtweg nicht leisten. „Wenn wir als Kinder von den Reisfeldern kamen, waren unsere Füße so schwarz, dass unsere Mutter heißes Chlor benutzte, um sie sauber zu kriegen. Mittlerweile hat sich die Wasserqualität enorm verbessert.“ Mit gemischten Gefühlen geht der von deutschen Ökostandards Verwöhnte anschließend an der Anlegestelle der Insel El Palmar von Bord. In Sichtweite befindet sich das „Nou Racó“, optisch eine Mischung aus Golfclub und Kolonialpalast, faktisch ein beliebtes Ausflugsziel für einheimische Großfamilien. Auch dieses Restaurant wurde von „Wikipaella“ mit einem Holzlöffel bedacht.

Das vom nicht biertrinkenden Javier Colomer inszenierte Showkochen ist natürlich uns Touristen vorbehalten. Es scheint, als schmecke Paella umso besser, je mehr Zuschauer ihren Entstehungsprozess verfolgen. Sie ist, durch ihre Verbindung von mindestens dreierlei Sorten Fleisch – und zwar keine magere Hühnerbrust, sondern wildes Kaninchen, fette Ente, gelegentlich Schnecken –, ihrem Alibigemüse und der Zubereitung über offenem Feuer ein sehr archaisches, sehr männliches Gericht. Dem stimmt auch Colomer zu, der vor dem Servieren noch schnell ein paar Luftgitarrenposen vor der Eisenpfanne anbietet, alles für die Fans. Der gastrosexuelle Mann, hier ist er in seinem Element.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Eva Biringer

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