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Präsident mit Bier.

© REUTERS

Pariser Biere: Die französische Revolution

Paris, das ist Baguette, Wein... Aber Bier? Bisher nicht chic! Nun machen kleine Brauereien ihren Stoff zum Kult.

Als Kai Lorch vor fünf Jahren seinen Job als Produktmanager einer Schweizer Luxusuhrenmarke hinschmiss und sich auf den Weg nach Paris machte, hatte er im Gepäck einen Traum: Er wollte Bier brauen, mitten in Paris. „Eine Stadt ohne eigenes Bier“, sagte er sich, „ist doch gar keine richtige Stadt.“

Bier in Paris? Es gibt Menschen, die nach Frankreich reisen, weil sie Wein lieben, man sieht Touristen, die sich an den Vitrinen der Konditoreien die Nasen platt drücken und Baguettes wie Trophäen durch die Straßen tragen. Aber des Bieres wegen ist bislang noch niemand gekommen. Das könnte sich jetzt ändern.

Kai Lorch, 35, sitzt über einem Bagel im Café Sésame am Canal Saint-Martin und erzählt seine Geschichte. Ein Bayer in Paris, der Bier brauen will? Das klang exotisch, ja ziemlich verrückt. Ein Jahr nach seiner Ankunft hatte er seine eigene Firma gegründet, ein weiteres Jahr darauf schenkte er sein erstes Pariser Bier aus: Demory heißt es – wie das Bier, das schon Sartre und de Beauvoir tranken. Lorch hatte das Label der vergessenen Pariser Brauerei auf einer Ausstellung entdeckt und war von dem Etikett begeistert. „Alte Marken“, sagt Lorch, „haben den Test der Zeit bestanden und flößen Vertrauen ein.“

Nun ist Demory zurück aus dem Museum und Bier ist wieder in. Junge Unternehmer wie Lorch haben den Hype ausgelöst. In der kleinen Bierbar Brewberry im fünften Arrondissement, der einzigen, die von einer Frau betrieben wird, tragen die Kellnerinnen T-Shirts, auf denen „Beer Geek“ steht. Noch bis vor drei Jahren habe es in der französischen Hauptstadt kein anständiges Bier gegeben, sagt Cécile Delorme, die Inhaberin. Anfangs fuhr sie im Auto nach Holland, um den Kofferraum mit Craft beer vollzuladen. „Inzwischen“, sagt Délorme, „gibt es immer mehr Mikrobrauereien, die charaktervolle Biere brauen.“

Etliche der 400 französischen Mikrobrauereien sind in der Pariser Region angesiedelt, darunter neue Labels wie Outland, Mybeer Company oder La Brasserie de la Goutte d’Or. Und natürlich Gallia, eine weitere, wiederbelebte Marke, die in den fünfziger Jahren, als die letzten Brauereien der Hauptstadt dichtmachten, von industriellen Herstellern wie Kronenbourg verdrängt wurde.

Mit den neuen Brauereien entstanden auch fantastisch sortierte Bierläden und entsprechende Bars. Zwei davon gehören Lorch, sie liegen, nicht weit vom Centre Pompidou, in der Rue Quimcampoix, die zum Zentrum des Revivals geworden ist. Es gibt dort Demory Bier, fish & chips, und wenn nicht gerade Ausstellungen, Konzerte oder Happenings stattfinden, kann man sich einfach an den Kickerkasten stellen und ein paar Bälle übers Feld jagen. Solche Läden kennt man aus Berlin und New York. Für Paris sind sie ungewöhnlich.

Am 6. September wird die größere Bar frisch renoviert wiedereröffnen, und nebenan ein Wurstmacher vor den Augen der Kunden Brat- und Weißwürste herstellen. Es ist die Erfolgsgeschichte der Brooklyn Brewery und der amerikanischen Craft-brewery-Szene, die der Deutsche wiederholen will – und es sieht aus, als würde ihm das gelingen. Es gibt nur einen Haken: Sein Astroblonde, die Roquette Blanche, ein klassisches Weißbier, und Nova Noire, ein herbes Schwarzbier, lässt er nicht an der Seine, sondern in Eschwege brauen. Für einen deutschen Gaumen schmeckt sein Bier deshalb ziemlich vertraut, angenehm herb, für die Franzosen ist es fast eine Mutprobe. In Paris, sagt Lorch, müsse man schlicht mehr Überzeugungsarbeit leisten. Aber er ist zuversichtlich. Als er vor zwei Jahren sagte, sein Ziel sei es, in Paris selbst zu brauen, ist er ausgelacht worden. Inzwischen verhandelt er mit der Stadt.

Der neue Kult hat etwas Rätselhaftes: Wie kann ein Getränk, das lange Zeit höchstens als Durstlöscher runtergespült wurde, zum Szenegetränk werden? Womöglich, weil man sich unterscheiden will. Bier ist proletarisch angehaucht, lokal verankert, war vergessen in Paris und kann gerade deswegen von einer neuen Generation wiederentdeckt werden. Lokal zu essen, heißt eben auch lokal zu trinken und wer sagt, dass zu Käse nur Wein passt? Längst bieten „Bierologen“ Käseverkostungen mit Hopfenbegleitung an.

Bier ist zum neuen Distinktionsmerkmal geworden. Nicht etwa, weil es in Zeiten der Krise billiger als Wein wäre. Im Gegenteil: Die Biersteuer ist in diesem Jahr um 160 Prozent erhöht worden. Die Regierung hatte gehofft, damit zusätzliche 480 Millionen Euro in die leeren Kassen der Krankenversicherung zu spülen. Nur sind dadurch die Bierpreise um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen und der landesweite Konsum ist leicht zurückgegangen. Was aber die bunte Szene der einschlägigen Bars wie Le Supercoin oder La fine mousse, wo man immerhin bis zu sieben Euro für ein kleines Bier hinblättern muss, nicht zu stören scheint.

La fine mousse, unweit des Ausgehviertels der Rue Oberkampf gelegen, ist ein Paradies für Bieraficinados. Es wird nur handwerklich gebrautes Bier angeboten, 20 wechselnde Sorten vom Fass, 150 in Flaschen. Romain Thieffry, der die „Degustionsbar“ mit drei weiteren Freunden letztes Jahr eröffnet hat, betrieb vorher einen Verein, der Bierverköstigungen auf Seine-Schiffen anbot. Ab sechs Uhr abends füllt sich die kleine Bar mit Angestellten der Umgebung, und es dauert nicht lange, bis die Fauna bunter, die Stimmung gelassener wird und ein fröhliches Volk das Trottoir bevölkert. Die Biere heißen hier Hildegard oder Psychodelic, das sein Versprechen hält: Es beginnt ganz langsam mit Malzgeschmack, um dann tropisch im Mund zu explodieren. Bier ist hier keine Männersache. „Wir wollen mit den Machocodes der Pubs und Tavernen brechen“, sagt Thieffry, deswegen die freigelegten Natursteinwände. „Unsere Bar erinnert eher an die New Yorker Clubs, die jedem offenstehen.“

Bier ist cool. Wenn Jacques Ferté und Guillaume Roy, die das alte Label Gallia übernommen haben, ihren 1890. Facebook-Freund begrüßen, posieren sie schon Mal halbnackt vor dem Eiffelturm, nur mit Bierschürze bekleidet. Es geht schließlich nicht nur um Bier. Es geht um Marketing, um storytelling – und 1890 ist das Gründungsjahr von Gallia.

Ferté und Roy empfangen in einer Fabriketage in Pantin, einem Vorort von Paris. Die anderen Start-ups, mit denen sie die Räume teilen, machen in Saft, Tee und Olivenöl. Es stehen Kisten rum, nebenan hat ein Künstler sein Atelier. Auch sie nutzen die historische Aura der alten Marke, den Vintage-Effekt: Das ursprüngliche Firmenlogo mit dem gallischen Hahn hat der Jugendstilkünstler Hector Guimard entworfen, dem Paris auch etliche Metroeingänge zu verdanken hat.

Wie Demory braute Gallia anfangs im Ausland, bis Ferté sich vor anderthalb Jahren mit einer Brauerei in Gisors, 60 Kilometer nördlich von Paris, zusammentat. Vergangenes Jahr haben sie 1000 Hektoliter gebraut und den Laden zu zweit geschmissen, unterstützt von drei Praktikanten. Ferté träumt davon, „dass Gallia das Bier der Pariser wird“. Aber das hindert ihn nicht daran, nach China und Mexiko zu exportieren. Das sind die Paradoxien der neuen Brauer: im Ausland brauen und das Bier, an dem pariserisch oft nur das Marketing ist, bis ans andere Ende der Welt exportieren.

Der Einzige, der sein Bier tatsächlich in Paris braut, ist Thierry Roche in der Brasserie de la Goutte d’Or, benannt nach jenem Einwandererviertel im Pariser Norden, wo man sich eher im Maghreb oder in Schwarzafrika glaubt als in Paris, wo die Straßen nach Benzin und Zimt und Curry riechen, die Fleischereien halal sind, und das Bier nach Indien schmeckt. Roche wohnt hier seit zehn Jahren. 2011 hat er seinen Job in der Kommunikationsbranche hingeworfen und ein paar tausend Euro via Crowdfunding zusammenbekommen. Seitdem braut und verkauft er sein Bier selbst. Im roten Seemannspullover, mit Schiebermütze steht der 40-Jährige hinter seiner Theke und wirkt wie ein glücklicher Mensch. Er liebt sein Viertel, gerade weil ein Drittel der Menschen hier aus dem Ausland kommt. Sein Bier soll den Leuten ähneln: bunt, kräftig, charaktervoll.

Benannt ist es nach den Straßen der Goutte d’Or. Das eine heißt Château Rouge, genau wie die Metrostation, an der seine Mikrobrauerei liegt. Es ist ein rotes, kräftiges Bier, das nach Malz und Karamell schmeckt und in dem etwas Piment d’Espelette steckt. Myrha ist ein Pils, dem Dattelessenzen zugesetzt werden, die den etwas bitteren Geschmack des bière blonde ausgleichen sollen. Das Bier aus Paris ähnelt den Menschen, die es machen: unkonventionell und voller Ideen.

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