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Die Peking-Ente und wie sie sich vor dem Tranchieren präsentiert

© Hotel Orania/ promo

Peking-Ente im „Orania“-Stil: Das zurzeit bekannteste Gourmetgericht Berlins

Die Peking-Ente stammt aus China – eine der besten gibt's in Berlin. Serviert wird sie in mehreren Gängen. Die Zubereitung: unglaublich aufwendig, nur für Profis.

Peking-Ente: Zwei Worte, ein kulinarisches Universum – vermutlich das einzige Gericht, das es an Popularität mit Wiener Schnitzel und Spaghetti Bolognese aufnehmen kann. Knusprig fette, aromatische Ente mit süßer Hoisin-Sauce und Gemüsen in dünnen Pfannkuchen, basierend auf einem uralten Rezept aus der Ming-Dynastie. Eben mal zubereiten kann das aber niemand: „Wenn Sie in einem Kochbuch ein Rezept für Peking-Ente finden“, schrieb der Asien-Spezialist Wolfgang Menge vor vielen Jahren, „dann taugt das Kochbuch nichts.“

Peking-Ente, heißt das, ist was für Profis mit den richtigen Enten und dem richtigen Ofen. Dass sich so etwas im neuen, kulinarisch aufblühenden Peking findet, ist klar. Aber auch Berlin ist in den letzten Jahren zu einer kleinen Hochburg des von Mythen umwitterten Gerichts geworden.

Das liegt vor allem an Philipp Vogel, dem Küchenchef im Kreuzberger Hotel Orania. Als er vor anderthalb Jahren einen stählernen Entenofen für seine Restaurantküche bestellte, wusste er ziemlich genau, was er tat, denn nach seiner Zeit bei deutschen Küchengrößen wie Dieter Müller und Thomas Martin hatte er sich auch gründlich in Schanghai und Peking umgesehen.

Die Haut wird mit dünnen Pfannkuchen, Hoisin-Sauce, Gurken- und Lauchstiften serviert
Die Haut wird mit dünnen Pfannkuchen, Hoisin-Sauce, Gurken- und Lauchstiften serviert

© Hotel Orania / promo

Dennoch war es anfangs eher eine Art Jux: Weihnachten rückte näher, und statt der ewigen Gänse wollte er mal was mit Ente machen, Peking-Ente eben. Den Ofen bestellte er per Handy, 80 Zentimeter Durchmesser, hieß es – doch dann war das nur die Deckelgröße. Das Monster, von unten gasbefeuert, stand in der Küche und wollte Arbeit. Und dann ging erst einmal die Suche los. „Wir haben jede Ente probiert, die wir finden konnten“, berichtet Vogel, „aber das war alles nichts“. Alle hatten zu wenig Fett, trockneten im Ofen aus, ließen sich nicht richtig präparieren. Er besuchte sogar einen Neuköllner Großhandel, der die Berliner China-Restaurants beliefert, und drehte rasch bei. „Drei Euro pro Stück, wie soll das denn gehen?“

Bis ein befreundeter Lieferant eine Zucht in Irland ins Gespräch brachte, echte Peking-Enten eben – der Name meint nicht nur das Rezept, sondern auch die spezielle Rasse, eine Form der Stockente. Heute ist Philipp Vogel der größte Abnehmer der Farm, die ihr Geflügel sogar nach Peking liefert. Das klingt ein bisschen nach den Athener Eulen, aber Topqualität ist eben auch im Ursprungsland nicht so weit verbreitet.

Blieb die Frage nach der Zubereitung im Detail. Vogel entschied sich, die Ente in ein Vier-Gang-Menü zu packen. Es startet mit der intensiven, aus den Entenkarkassen zubereiteten Brühe, in der eine gefüllte Teigtasche mit Innereien und einem Teil des Keulenfleisches schwimmt. „Das geht in China gar nicht“, juxt er, „kein Mensch würde da einen Dumpling in Suppe tun.“ Aber die Stilpolizei interessiert ihn nicht, auch die Präparation der fertigen Ente am Tisch folgt eher einem thailändischen Vorbild.

Zuerst wird die Haut mittels Pressluft vom Fleisch gelöst
Zuerst wird die Haut mittels Pressluft vom Fleisch gelöst

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Aber Moment, erst einmal die Zubereitung. Der erste Schritt führt die fertig präparierten Tiere, die schockgefrostet kommen und in aller Ruhe auftauen dürfen, zum Kompressor, einem schnöde lärmenden Baumarkt-Ding, mit dem man auch Autoreifen aufblasen kann. Vogel steckt eine dünne Nadel an strategisch wichtigen Stellen ins Fleisch und gibt Luft. Die Haut bläht sich auf, trennt sich vom größten Teil der dicken Fettschicht. Dann folgt ein kurzes, nur zehn Sekunden dauerndes Tauchbad in kochendem Wasser, das Zucker, dunklen Reisessig und Maltose enthält. Die Haut bläht sich erneut, nimmt rasch die richtige Würzdosis auf – es folgt ein mehrtägiger Trocknungsprozess. Dann sind die Enten reif für den Ofen.

Philipp Vogel badet die Ente in einem speziellen Gewürzsud
Philipp Vogel badet die Ente in einem speziellen Gewürzsud

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Das dauert nur eine halbe Stunde bei etwa 250 Grad. Dann ist viel Fett abgetropft, und die Haut hat den richtigen orangebraunen Farbton. Der Kellner bringt sie an den Tisch und säbelt in aller Ruhe rundherum die Haut von der noch vorhandenen Fettschicht. „In Peking lassen sie das Fleisch meist dran“, sagt Vogel, „das hier ist die Thai-Methode, bei der der Geschmack der Haut besser zur Geltung kommt.“ Dazu gibt es klassisch Lauch- und Gurkenstreifen sowie Hoisin-Sauce – und noch ein witziges Detail, nämlich braunen Zucker. „Der soll nicht süßen, sondern bringt diesen speziellen Crunch mit, eine unerwartete Textur.“ Alles wird eingewickelt in französische Crepes, weil Philipp Vogel deren Geschmack besser fand als den der klassischen, gummiartigen Mandarin-Pfannkuchen.

Im Spezialofen wird die Ente unvergleichlich knusprig gebacken
Im Spezialofen wird die Ente unvergleichlich knusprig gebacken

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Der dritte Gang des „Orania“-Menüs ist dem Brustfleisch gewidmet. Nach einer halben Stunde ist es noch zu roh und muss deshalb bis zum richtigen Gargrad nachgebraten werden, bleibt aber unvergleichlich zart und saftig, wie es mit keiner anderen Methode erreichbar wäre. Dazu gibt es eine kräftige, mit mehreren Pfeffersorten gewürzte Sauce sowie Pak Choi, vor dem der Service warnt: Achtung, scharf und sauer! „Ich liebe das, wenn die Säure so den Gaumen putzt“, sagt Vogel. Der vierte und abschließende Gang bringt dann noch gezupftes Keulenfleisch mit gebratenem Reis, der den Küchenchef zu einem letzten Küchentrick inspiriert hat: „Wir geben ein rohes Eigelb drunter, damit es ein wenig geschmeidiger wird.“ Alles für 52 Euro pro Person und ab zwei Gästen aufwärts.

Zuletzt wird die Haut tranchiert und ohne das Entenfleisch serviert
Zuletzt wird die Haut tranchiert und ohne das Entenfleisch serviert

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Viel Entwicklungsarbeit, viel Erfolg: An manchen Abenden wird an fast jedem Tisch des Restaurants die Ente gegessen, obwohl durchaus allerhand andere attraktive Sachen auf der Karte stehen – es dürfte sich gegenwärtig um das meistgegessene und meistdiskutierte Berliner Feinschmeckergericht handeln. Philipp Vogel nimmt diese gewisse Monotonie nicht krumm. Er hat 2015 im Wiener Kempinski bewiesen, dass er einen Michelin-Stern holen kann, „aber der hat überhaupt nichts verändert“. Er nahm eine Auszeit, arbeitete als Berater, bis ihn schließlich das verlockende Angebot aus Berlin erreichte: Küchenchef und Hoteldirektor.

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Auch deshalb freut er sich über den Enten-Erfolg: „Da kann ich ganz beruhigt auch mal abwesend sein, denn das können meine Leute längst ohne mich.“ Noch bis August gibt es deshalb auch ein Peking-Pop-up im bayerischen Partnerbetrieb Schloss Ellmau, und dazu konkrete Pläne für ein Enten-Restaurant in München.

Dies ist natürlich nicht die einzige Peking-Ente in Berlin, das ergibt sich schon aus der Tatsache, dass ein komplettes Restaurant in der Vossstraße in Mitte sogar den Namen des berühmten Geflügels trägt. Es wurde 1999 eröffnet und wird seit 2007 von Mengling Tang, der Tochter der Gründer, geführt, ein klassisches China-Restaurant mit großer Karte und Gerichten in kantonesischer und Pekinger Tradition. Die Zubereitung der Ente ist traditionell, Haut und Brustfleisch bleiben beim Einwickeln in den Pfannkuchen zusammen. Die ganze Ente kostet 46,90 Euro. Noch beiläufiger lässt sich das Gericht auf traditionelle Weise im Charlottenburger „Good Friends“ genießen, sogar mittags.

Selbst schon ein Klassiker: Die "Peking-Ente Inspiration TR" von Tim Raue
Selbst schon ein Klassiker: Die "Peking-Ente Inspiration TR" von Tim Raue

© Jörg Lehmann / promo

Eine Berliner Peking-Enten-Geschichte wäre aber unvollständig ohne Tim Raue, dessen Restaurant nur ein paar Minuten mit dem Bus vom „Orania“ entfernt liegt. Er könnte Vogel vermutlich etwas dazu sagen, wie sich ein beliebtes Gericht so sehr verselbstständigt, dass es nicht mehr von der Speisekarte wegzubekommen ist. Genau genommen steht die „Peking-Ente Inspiration TR“ zwar bei ihm nicht mehr auf der Tageskarte, ist aber nach wie vor verfügbar.

Tim Raue hat aus dem nur handwerklich anspruchsvollen Grundrezept eine extrem ausgefeilte, komplexe Gourmet-Kreation gemacht, für die er nicht nur Brust, Keule und Innereien nutzt, sondern auch die Füße, aus denen er einen gallertigen Basis-Jus kocht. Er hat keinen Spezialofen, gart die Enten deshalb im Konvektomaten und arbeitet die Haut mit einem Heißluftfön nach.

Serviert wird der erste Gang, die Brust, dann statt der Pfannkuchen mit einer Waffel, die wiederum mit Lauch und Apfelkompott gefüllt ist. Der zweite Aufzug gilt der Entenleber, die als geschmeidige kalte Terrine französischen Stils die Basis bildet. Obenauf liegen etwas Entenfleisch und eine milde Entenlebercreme, abgerundet wird mit Entenfußsirup und Lauch-Ingwer-Püree. Abschließend gibt es einen tiefgründigen Entensud mit Mägen, Zungen und Herzen als Einlage – schon ein Klassiker der Asia-Fusionsküche, die niemand besser beherrscht als Raue.

Berlin also ist ein Ziel für Peking-Enten-Fans. Keine andere deutsche Stadt dürfte die Spezialität in so gegensätzlichen Varianten anbieten – großes kulinarisches Vergnügen bieten sie alle.

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