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Der exklusive Jamon Iberico de Bellota schmeckt am besten frisch, in mundgerechte Stücke aufgeschnitten

© Kai Röger

100 Gramm kosten 30 Euro: Der vermutlich beste Schinken der Welt

Geld darf beim Jamon Iberico de Bellota keine Rolle spielen. Aber was macht den Schinken aus der Extremadura eigentlich so besonders?

Von Kai Röger

Sein Aroma ist unvergleichlich: süß, nussig, salzig und animalisch, schmeckt nicht nach Stall, sondern nach, sagen wir: Schwein, das in der Sonne steht. Die Textur: zart und kurzfaserig. Der erste Bissen wirkt trocken, bis das am Fleisch eingelagerte Fett im Mund zergeht. Man könnte dieses leicht gelblich-rosige Fett zwischen den Fingern zerreiben, es würde sich cremig auflösen, auf der Zunge zerrinnt es praktisch faserfrei zu öligem Saft, der die Salzigkeit harmonisch auffängt und das Aroma wie einen sehr dichten Süßwein im Gaumen verteilt.

Das schwarze Gold der Extremadura

Um einen „Jamon Iberico de Bellota“ richtig, also so genießen zu können, wie er in Sevilla vor jedem traditionellen Menü serviert wird, braucht es jemanden, der den Schinken kennt, der zu schätzen weiß, wie er gemacht wurde, der die Qualitätssiegel versteht und die Fingerfertigkeit besitzt, nicht zu dünne, mundgerechte Scheiben mit einem langen, biegsamen Messer von der Keule zu schneiden.

So jemanden nennt man in der Extremadura, im Südwesten Spaniens, wo der Schinken herkommt, „Cortador“, sozusagen ein Barista der Schinkenkultur. Auch Kaffee kann man ja selber kochen, aber er wird dann eben nicht perfekt.

Die Schinkenspezialisten in Sevilla, die "Cortadores" arrangieren die handgeschnittenen Stücke zu einer appetitlichen "Blume"
Die Schinkenspezialisten in Sevilla, die "Cortadores" arrangieren die handgeschnittenen Stücke zu einer appetitlichen "Blume"

© Kai Röger

Ein Cortador bevorzugt den Schinken aus der Hinterkeule – mit Knochen und schwarzer Klaue, das garantiert höchsten Genuss. Die Keule ist größer, durchwachsener und schwerer als beim „Paleta Iberico“-Schinken, denn der stammt von den kleineren Vorderläufen. Und sie kostet mehr: Eine „Paleta Jamon Iberico de Bellota“ mit rund 4,5 Kilo Gewicht liegt bei gut 200 Euro, eine Hinterkeule mit 7,5 Kilo beginnt bei 400 Euro, wovon mehr als ein Kilo für den Knochen und noch einmal ein halbes Pfund für das „Öffnen“, also die appetitliche Vorbereitung des Schinkens, abzuziehen sind, bei der gelblich oxidiertes Fett und trockene Stellen entfernt werden.

Geld darf hier also keine Rolle spielen. Die Keule spannt der Cortador in eine „Jamonera“, eine eigens für diese Schinkenspezialität erfundene Halterung.

Die Schweine der "Raza Iberico" (auch als "Pata Negra" bekannt) sind drahtig, sehr kompakt, mit dunklem Fell und schwarzer Klaue
Die Schweine der "Raza Iberico" (auch als "Pata Negra" bekannt) sind drahtig, sehr kompakt, mit dunklem Fell und schwarzer Klaue

© Kai Röger

Die Klaue ist schwarz, das wissen wahrscheinlich selbst Schinkennovizen. „Pata Negra“ war der früher gebräuchliche Name der Rasse, der sich auf das Geläuf des Edelschweins bezog. 2014 einigte man sich auf „Iberico“ und führt ein Stammbuch, das die adlige Abstammung bezeugen soll.

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An jedem Jamon Iberico hängt eine Banderole, deren Farbe die Qualitätsstufe und deren Strichcode Herkunft, Aufzucht- und Verarbeitungsort rückverfolgbar macht. Der Cortador weiß natürlich, dass nur die schwarze Banderole für „100 Prozent Raza Iberico“ steht, und dass dieses Siegel „Bellota“, die Ausmast mit Eicheln in den lichten Wäldern der Dehesa im Südwesten Spaniens, voraussetzt.

Entscheidend für höchste Qualität ist die Eichelmast

Diese „Montanera“ genannte Mastphase macht aus einem für sich schon herausragend guten Schinken eine einzigartige Spezialität. Um all das zu verstehen, folgten wir der Einladung der International Association of the Iberian pig (ASICI), um uns die Schinkenwerdung der Schweinekeule vor Ort erklären zu lassen. Im Grunde müsste man schon der Zeugung des Schweins beiwohnen, denn die Herkunft von dessen Eltern entscheidet darüber, wer in den Vorhimmel für Schweine – nichts anderes ist die Montanera – eintreten darf. Man kann tatsächlich von einer streng rassistischen Selektion sprechen: Die Mutter muss immer zu 100 Prozent Iberico, der Vater darf auch Duroc sein, allerdings muss das dann ausgewiesen werden.

Zwölf Monate lang führen die Tiere frei laufend ein – was Futter und Platzbedarf angeht – privilegiertes Leben. Dann dürfen sie zur „Montanera“, der Ausmastphase, in die hügeligen Eichenwälder der Dehesa im äußersten Südwesten Spaniens.

Um das begehrte Label "Bellota" tragen zu dürfen, müssen die Iberico Schweine während der "Montanera", der Eichelmastphase, mindestens zwei Monate freilaufend in die Eichenwälder der Dehasa leben.
Um das begehrte Label "Bellota" tragen zu dürfen, müssen die Iberico Schweine während der "Montanera", der Eichelmastphase, mindestens zwei Monate freilaufend in die Eichenwälder der Dehasa leben.

© Kai Röger

Ein Besuch in der Dehasa

Von echtem Wald zu sprechen, wäre übertrieben. Die Eichen stehen vereinzelt, die Blätter staubbedeckt. Die Bäume wirken gedrungen, als wollten sie sich vor der Hitze im Sommer wegducken. Uralte Steinmäuerchen durchfurchen schier endlose Areale wie wulstige, von der Sonne gebleichte Narben.

Für die wenigen Auserwählten aber muss dies das Paradies sein: Auf der „Dehesa Cumbres de San Bartolome“ bei Huelva leben auf ganzen 400 Hektar gerade einmal 120 Iberico-Schweine. Für mindestens 61 Tage dürfen sie sich dort frei bewegen und verschlingen, was sie beim Herumstreunen finden: Kräuter, Gräser, Würmer, aber vor allem: Eicheln. Sechs bis zehn Kilo am Tag.

Auszumachen sind die Ibericos leicht: fast schwarz, relativ klein, drahtig. Im Vergleich mit einem deutschen Hausschwein wirken sie wie Marathonläufer neben Gewichthebern: kompakt, beweglich und durchtrainiert. In kleinen Gruppen ziehen sie umher, trippeln auf langen, dürren Beinen und schwarzen Hufen von Baum zu Baum, gut zehn Kilometer am Tag – mehr als ein turbogemästetes Schwein in seinem ganzen Leben. Zwischendurch wälzen sie sich im Schlamm natürlicher Wasserstellen, die sich in den Senken bilden.

Der "Vareando" klopft mit langem Stock die Eicheln aus den Ästen - eine willkommene Abwechslung für die Iberico Schweine und zusätzlicher Futteranreiz
Der "Vareando" klopft mit langem Stock die Eicheln aus den Ästen - eine willkommene Abwechslung für die Iberico Schweine und zusätzlicher Futteranreiz

© promo

Eine willkommene Abwechslung bringt der „Vareando“, der mit einem langen Stock in die Äste der Bäume drischt und so einen dichten Regen aus Eicheln entfacht. Das ist so ziemlich die einzige Beschäftigung des Züchters, Zufütterung ist nicht erlaubt, Krankheiten bleiben wegen der idealen Bedingungen aus.

Der „Vareando“ sorgt für Unterhaltung wie der Käpt’n beim Käpt’n’s Dinner auf dem Kreuzfahrtschiff. Wenn er die Weide betritt, folgen die Schweine jedem seiner Schritte und drängen sich an seine Beine, bis er das Füllhorn öffnet und sie sich auf das reich gedeckte Buffet stürzen. So legen die Tiere trotz der vielen Bewegung fast ein Kilo am Tag zu und entwickeln in ihrem Fett besondere Nährstoffe und gesunde Ölsäuren.

Nach der aufwendigen Aufzucht beginnt die eigentliche Arbeit

Doch selbst das schönste Schweineleben endet einmal, die letzte Reise führt zu den Schlachthöfen rund um Huelva, dem Zentrum der Schinkenproduktion. Inzwischen wiegen die Schweine der Bellota-Liga zwischen 140 und 180 Kilo. Zum Vergleich: Nutzschweine erreichen in Deutschland bei ihrer Schlachtung nach nicht einmal sechs Monaten ein Gewicht von um die 120 Kilo.

Zu dem Zeitpunkt sind sie noch lange nicht ausgewachsen. Aber der Konsument will junges Fleisch, ohne Fett und ohne Geschmack. Insofern ist das Iberico-Schwein die Antithese zu dem, was auf dem deutschen Markt wirtschaftlich wäre: Es hat ein langes Leben, unglaublich viel Platz, eine dicke Fettschicht und schmeckt intensiv nach Tier.

Extrem lange Reife nach traditioneller Methode durch Ausnutzung des Bergklimas. Der sich bildende Schimmel schützt den Schinken vor Keimen
Extrem lange Reife nach traditioneller Methode durch Ausnutzung des Bergklimas. Der sich bildende Schimmel schützt den Schinken vor Keimen

© Kai Röger

Dieses spezielle Aroma wird durch die Verarbeitung noch verstärkt. Der Schinken wird nicht geräuchert, nur eingesalzen. Die Reife erfolgt nach ganz traditioneller Methode, selbst in modernsten Betrieben wie etwa der Industria Reunidas in Jabugo, wo jährlich bis zu 400.000 Schinken produziert werden. Die Keulen hängen in riesigen Hallen. Die Klimatisierung erfolgt über zwei Regler: Mit dem einen lassen sich die Fenster öffnen, wenn die Luft zu feucht wird. Der andere schließt die Rollläden, wenn es zu heiß wird.

Lediglich im Winter ziehen die Schinken in klimatisierte Räume, damit die keimbildende Wasseraktivität auf ein Minimum reduziert wird. Ein schlichtes, so nostalgisches wie effizientes Verfahren. Beinahe anrührend, dass so wenig Technik ein derart perfektes Ergebnis erzielt, möglich nur in dieser südspanischen Bergregion mit ihrem speziellen Klima aus heißen Tagen, kühlen Nächten und feuchten Wintern.

Die lange, um die drei Jahre dauernde Reife, lässt die Schinken sehr zart werden, das Fett nimmt dabei den typisch nussigen Geschmack an
Die lange, um die drei Jahre dauernde Reife, lässt die Schinken sehr zart werden, das Fett nimmt dabei den typisch nussigen Geschmack an

© Kai Röger

Hinterschinken der höchsten Güteklasse hängen zur Reifung bis zu drei, manchmal sogar fünf Jahre. Ihr Fett tropft auf den Steinboden, für einige Jahre bildet sich auf ihrer Haut eine Schimmelschicht, die vor Keimen schützt. Gegen Ende der Reifung trocknet sie ab und wird mit Olivenöl vollends abgewaschen. Der Schinken hat bis dahin mindestens ein Viertel seines Gewichtes verloren.

Je länger er reifen muss, desto größer ist der Schwund. Aber all dies trägt zur zarten Textur und zum besonderen Aroma bei: Das Fett oxidiert und bildet den typisch nussigen, leicht ins Ranzige reichenden Geschmack, der den Iberico-Schinken zur unverwechselbaren Delikatesse macht.

In Sevilla gehört es zur Tradition, bei uns braucht es noch Pionierarbeit

Ein Cortador in Sevilla weiß um all dies, er kennt die unwirtschaftlich lange Aufzucht, die flächenintensive Mast, die endlos lange Reifezeit. Aber er liebt diesen speziellen Geschmack, und er hat Gäste, die diese Leidenschaft mit ihm teilen. Außerhalb Spaniens gibt es nur wenige, die sich diesen exklusiven Genuss leisten wollen; nur sieben Prozent der Iberico-Schinken werden exportiert, die meisten ohne Knochen oder aber gewonnen aus dem milderen Nacken, der sich mit der Maschine aufschneiden lässt.

„Jamon Iberico de Bellota“ mit schwarzer Banderole ist in Berlin selten zu finden. Mit der Hand geschnitten, in mundgerechten Häppchen auf einem warmen Teller arrangiert, haben wir ihn nur im KaDeWe gefunden, wo Cortadores Pionierarbeit leisten. 100 Gramm kosten knapp 30 Euro. Den Preis könnte man auch als Schutzgebühr bezeichnen – oder eben als Eintrittsgebühr in den Schinkenhimmel.

Wissenswertes zum Iberico Schinken
JAMON: So nennt man den Schinken aus der Hinterkeule. Mit Huf und Knochen liegt das Gewicht bei sieben bis acht Kilo. Kenner bevorzugen Jamon, weil bei ihm das Verhältnis von Schinken zu Knochen besser und das Fleisch zarter ist.
PALETA: Bezeichnet den Schinken aus der Vorderkeule. Sie wiegt zwischen vier und fünf Kilo und ist weniger fettreich. Durch den geringeren Fleischanteil ist der Kilopreis deutlich günstiger als der des Jamon.
LOMO: Das Filet ohne Knochen.

Das fettarme Filet der Iberico Schweine wird als "Lomo" bezeichnet
Das fettarme Filet der Iberico Schweine wird als "Lomo" bezeichnet

© Kai Röger

IBERICO-SCHINKEN: Seit 2014 dürfen so nur Schinken genannt werden, die von Schweinen kommen, deren Mutter reinrassig Iberico sind, der Vater darf der Rasse Duroc angehören. Dies wird durch verschiedenfarbige Banderolen gekennzeichnet (gilt auch für ausgelösten und portionierten Schinken). Man unterscheidet nach Farben:
Weiß – iberico de cebo: Iberico-Schinken aus Getreidemast und Stallhaltung.
Grün – iberico cebo de campo: Stallmästung und anschließend Freilandhaltung in der Dehesa mit selbstständiger Futtersuche, Zufütterung erlaubt.
Rot – iberico de bellota, 50 oder 75 Prozent raza iberico: Der Duroc-Anteil wird prozentual angegeben. Schmeckt weniger animalisch, das Fett ist im Muskelfleisch eingelagert und bildet eine Marmorierung, dadurch wirkt er zarter. „Bellota“ bedeutet: mindestens 61 Tage Eichelmast in der Dehesa mit anschließend ca. 36-monatiger Reife.
Schwarz – iberico de bellota 100 Prozent raza iberico (oder Pata negra): auch preislich die Königsklasse. Beide Elternteile sind reinrassig Iberico. Das Fett liegt außerhalb des Muskelfleisches, das Fleisch wirkt trockener. Das Aroma ist intensiv nussig, süßlich, animalisch. Zum roten Label verhält sich das schwarze wie moderner zu traditionellem Rioja: Der im neuen Fass ausgebaute moderne Stil ist zugänglicher, weicher, der traditionelle tiefgründiger und was für Kenner.

SERRANO-SCHINKEN: Schinken aus weißhäutigen Schweinen mit heller Klaue. Das Fleisch ist langfasriger als bei Iberico-Schweinen, das Aroma milder. Keine Eichelfütterung, kaum Auflagen für Fütterung und Haltung. Drei Qualitätsstufen: Bodega (Reifezeit zehn bis zwölf Monate), Reserva (zwölf bis 15 Monate), Gran Reserva (15 Monate). Serrano ist die günstige Einstiegsklasse in die spanische Schinkenwelt. Qualität und Geschmack sind aber mit einem echten Iberico-Schinken nicht zu vergleichen.

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