zum Hauptinhalt
Das Wiener Schnitzel ist der dritte Fall unseres kulinarischen Detektivs. Bereits erschienen: Straßburger Wurstsalat (28. August 2011) und Nürnberger Lebkuchen (4. Dezember). Foto: p-a/allOver

© picture-alliance / allOver

Gesellschaft: Schnitzeljäger Der

Unser kulinarischer Detektiv ist verzweifelt. Immer wieder misslingt sein paniertes Schnitzel. Nun sucht er Hilfe bei Wiens besten Köchen.

Ich war neun Jahre alt, als mich Onkel Franz auf etwas hinwies, das ich nicht vergessen sollte. Wie jeden Sonntagmittag saß die Großfamilie im Landgasthof. Stämmige Kellnerinnen servierten Gericht für Gericht, als mein Onkel zu mir sagte: „Bub, ein Wiener Schnitzel hat exakt so auszusehen wie dieses hier. Hauchdünn, leicht gewellt und groß wie ein Abortdeckel.“

Aus mir wurde dann ein Journalist, der sich mehr und mehr für gutes Essen interessierte – und fürs Kochen. Und an einem scheiterte ich dabei bislang immer: dem Wiener Schnitzel. Erst neulich wieder. Ich hatte das Fleisch dünn und breit geklopft und nach Rezept paniert. Aus der Pfanne hob ich schließlich eine Missgeburt: das Herzstück trocken, die Panade feucht und glatt – keine Spur von knusprig und gewellt. Es war zum Verzweifeln.

Also beschloss ich, nach Wien zu fahren – auf der Jagd nach dem besten Schnitzel. So hoffte ich, endlich auf ein vernünftiges Rezept zu stoßen, das auch mir gelingen könnte.

Vor der Reise blätterte ich in ersten Unterlagen: Ein „Wiener Schnitzel“ ist nur dann ein solches, wenn sich zwischen der Panade Kalbfleisch findet. Schwein oder Pute sind dagegen Betrug. Es „Schnitzel Wiener Art“ zu nennen, bewegt sich am Rande der Legalität. Eine Todsünde begeht, wer die Spezialität mit Sauce serviert. Dass man bei der Zubereitung tausend Fehler machen kann, wusste ich bereits.

Wer in Wien die traditionelle, kaiserlich-königliche Küche probieren will, der ist im ersten Bezirk gut aufgehoben. Dort, wo der Stephansdom seinen Turm in den Himmel streckt und sich Wirtshaus an Wirtshaus reiht. Ich richtete mich im Kärtnerhof ein – einem netten, ruhigen Hotel zu bezahlbaren Preisen. Und strategisch günstig gelegen.

Als erstes wählte ich die Nummer von Florian Danner, dem Siebeck von Wien. „Ah, geh heast...“, sagte der. „Wir haben hier fast 5000 Lokale und zigtausende von Hausfrauen und Hobbyköchen, und alle machen sie Schnitzel, Schnitzel, Schnitzel.“ Dass nur Spitzenköche dieser Spezialität mächtig sind, sei eine „Weisheit von vorgestern“. Zum Abschluss gab mir der Kritiker trotzdem diesen Tipp: „Aktuell streiten sich der Figlmüller und der Plachutta um das wahre Wiener Schnitzel.“ Beide Wirte sind stadtbekannt.

Vom Kärtnerhof in der Grashofgasse bis zum Figlmüller in der Wollzeile sind es zwei Minuten. Es ist morgens gegen elf, und der Chef hat Zeit. Thomas Figlmüller, Typ kumpeliger Erfolgsgastronom, ist 33 Jahre alt und hat BWL studiert. Das Haus habe sein Urgroßvater 1905 als Weinbeisl gegründet. Großvater und Vater führten es weiter.

In ganz anderen Dimensionen zu denken, begann dann er – zusammen mit seinem Bruder Hans: „Wir wollten etwas Großes aufstellen.“ Das war vor zehn Jahren. Beide haben aus dem Beisl ein Unternehmen mit vier Lokalen und 150 Mitarbeitern gemacht. Allein in den beiden Schnitzelhäusern im ersten Bezirk werden täglich rund 1200 Gäste mit der Wiener Spezialität versorgt. In den Küchen schwitzen 47 Köche, darunter sieben Schnitzelklopfer und fünf Panierer.

Das Figlmüller-Schnitzel ist ein hauchdünnes Bröselmonster mit 30 Zentimetern Durchmesser. Ich probiere: saftig, sehr gut, aber huch, Schwein statt Kalb! „Deshalb“, so der Wirt, „heißt es ja Figlmüller – und nicht Wiener Schnitzel.“ Fast wäre ich reingefallen.

Also weiter: Die Sonne scheint, und noch liegen die spannendsten Adressen vor mir. Darunter die eines Kochklubs „Kühn“ am Naschmarkt. Die Herren wollen mich am späten Nachmittag empfangen. Jetzt ist erstmal Zeit für einen Spaziergang durch die herausgeputzte Fußgängerzone. Der dreistöckige Feinschmeckerpalast „Julius Meinl“ wartet hier mit 16 000 Delikatessen auf. In der Fleischabteilung erkundige ich mich, welches Teil vom Kalb sich am besten fürs Schnitzel eignet. Ein Herr Haider empfiehlt eine Kalbsoberschale aus der Innenseite der Keule, das „Kaiserstück“ – für 31,90 Euro das Kilo: „Schauen S’, ein Traum.“

Die Räumlichkeiten des ersten Kochklubs in Wien sehen dann weniger spektakulär aus: Felix, 37, Jeans, Fünftagebart, streckt mir im Souterrain eines ehemaligen Angelsportladens die Rechte entgegen: „Kummst mit? Wir müssen noch einkafen.“ Beim „Metzger um die Ecke“ erwerben wir Oberschale vom Kalb (20 Euro pro Kilo) und (Achtung!) Schweinschnitzel (8 Euro). Den Rest besorgen wir an den Gemüseständen des Naschmarkts. Die Tüten liegen dann unangetastet für zwei Stunden auf dem selbst gezimmerten Küchentresen. Solange, bis sich der Rest der bourgeoisen Koch-Bohème eingefunden hat: Designer, Architekten, Unternehmensberater, Physiker, Fotografen – Kreative eben, die sich nie der Diktatur des strengen Rezepts beugen würden. Zuerst gibt es Ottakringer Zwickl, später Grünen Veltliner. Aus dem Radio plätschert „We are the people“. Die Stimmung ist prächtig.

Acht Interpretationen vom Schnitzel soll es geben. Zur Verfügung stehen Kalb- und Schweinefleischscheiben, die – plattiert und paniert – in Butter, Pflanzenöl, in Schweine- oder Butterschmalz ausgebacken werden. Schon nach einer halben Stunde wabert Qualm in Küche und Raucherecke, der Event droht zur Blindverkostung zu entgleisen. Keiner blickt mehr richtig durch: „War das hier Schwein in Butter oder in Öl oder etwa Kalb?“ Am Schluss wird abgestimmt. Es gewinnt Kalb in Schweineschmalz – vor Kalb in Butter. Fazit: Wer 15 Freunden perfekte Schnitzel vorsetzen will, braucht gute Nerven und starke Putzmittel.

Mario Plachutta, 43, Wirt des gleichnamigen Gasthauses an der Oper, bereitet pro Tag etwa 300 Schnitzel zu. Ihn treffe ich bei meinem fünften Testessen (bislang lag die Gastwirtschaft Huth in der Schellinggasse auf Platz eins). Plachutta stellt sich so vor: „Ich bin der Sohn des Großmeisters der Wiener Küche, Ewald Plachutta. Wie mein Vater veredele ich hochwertige Produkte zu Spitzengerichten, ohne dabei trendigen Irritationen zu unterliegen. Dem Wiener Schnitzel habe ich diese würdige Heimstätte gewidmet.“ Ich scheine meinem Ziel sehr, sehr nahe.

Wir nehmen Platz an einem weiß gedeckten Tisch. Unter uns Eichenparkett, über uns Kreuzgewölbe. Das Haus ist 600 Jahre alt, wird seit 400 Jahren bewirtschaftet. Plachutta hat es mit fünf Millionen Euro renoviert und vor einem halben Jahr eröffnet. Seither serviert er hier sein „Original“. Dieses besteht aus zwei riesigen Kalbfleischscheiben mit goldgelber, donaugewellter Panade. Ein Schnitt, ein Biss: perfekt! Dazu gibt’s nur: eine halbe Zitrone und Kartoffelsalat. „Wenn Sie anderswo eine gekringelte Sardelle mit Kapern samt Zitronenscheibe auf der Panade vorfinden, hauen S’ dem Koch eine an die Backen.“ Wenn dieser Schwein statt Kalb verwendet, soll ich ihn hinrichten.

Rund 40 Versuche brauchte Plachutta, bis er das Rezept fand. Der Herr der Schnitzel diktiert mir in den Notizblock. Erstens: Das Fleisch immer nur mit der flachen Seite des Schnitzelklopfers plattieren, am besten zwischen Klarsichtfolie. Zweitens: Nur mittelfein zerriebene Brösel aus handwerklich optimal gefertigten, trockenen Brötchen verwenden. Drittens: Nie mit Schmalz oder Öl geizen. Die Schnitzel müssen im Fett schwimmen. Beim Ausbacken Pfanne leicht hin und her schwenken, damit immer wieder heißes Fett über die Oberseite des Schnitzels schwappt. Nur so kann die Panade soufflieren, also Blasen bilden. Viertens: Das Schmalz oder Öl in der Pfanne (Plachutta verwendet Speiseöl) muss 180 Grad heiß sein. Keine hitzeempfindliche Butter nehmen! Zur Probe einfach einen Holzkochlöffel hineinstellen: Steigen Bläschen auf, ist die Temperatur in Ordnung. Und dass man das Fleisch (am besten Kalbsoberschale) kurz (!) zuvor mehliert, in aufgeschlagenen Eiern und schließlich in den Bröseln wendet, stehe ja eh in jedem Kochbuch.

So also geht das perfekte Schnitzel! Aber selbst einer wie Plachutta macht mal Fehler. Auf seiner Speisekarte schreibt er, das Wiener Schnitzel stamme aus Italien. Feldmarschall Radetzky habe das Rezept aus der Lombardei mitgebracht.

Andere Wiener reagieren geradezu gereizt auf diese Theorie. Es handele sich dabei, so Sprachforscher Heinz-Dieter Pohl, um eine Legende, die ein italienischer Kochbuch-Autor 1969 in die Welt gesetzt habe. „Dieser Schwachsinn“, sagt Pohl, „ist durch nichts zu beweisen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false