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Großes Sauerkrautstampfen

© picture alliance / dpa

Trend Selbermachen: Pökeln, Wursten, Fermentieren

Produzieren statt konsumieren – über die erstaunliche Karriere des Selbermachens: Ziviler Widerstand macht Spaß und schmeckt gut.

Wenn die Hausfrau mit ihrer Bringschuld alleine in der Küche steht, ist Kochen natürlich ein Krampf.

Aber wenn Dutzende Berliner und ein DJ in die Markthalle Neun fahren, musikalisch beschallt 500 Kilo Weiß- und Rotkohl schnippeln und mit Handschuhen und Stiefeln in tiefe Tröge steigen, um Sauerkraut zu stampfen, ja, dann ist das – was eigentlich? 

Eine Unabhängigkeitserklärung in Richtung Lebensmittelindustrie. Eine praktische Nachhilfestunde in Sachen Milchsäuregärung. Ein analoges Ereignis. Der große Trend der Gegenwart. Und – wir sind in Berlin – eine Party: „Sourcrowd“, ein kulinarischer Flashmob, vergangenen Winter. Da gärt was! Man macht es jetzt selbst.

Noch vor gar nicht langer Zeit war es den Kindern vorbehalten, mit etwas Selbstgemachtem für Freude zu sorgen: eine praktische Verlegenheitslösung, bis man später in der Lage sein würde, endlich „richtige“ Geschenke zu machen. Als Kind hegte man immer den Verdacht, die Freude der beschenkten Verwandten hätte etwas Beflissenes. Es war die Zeit, als das größte Lob für eine Torte war: Was, selbst gemacht? Sieht ja aus wie gekauft.

Kein Vergleich mit der Euphorie von heute: Hey, Wahnsinn, eine Portion deiner Lebenszeit, luftdicht verschraubt in einem Marmeladenglas! Selbstgemachtes ist von der Notlösung zum ultimativen Geschenk geworden. Wer bekommt schon jahrelang haltbare Wertschätzung?

In den letzten Jahren haben das Selbermachen und seine Bedeutung irrwitzige Ausmaße angenommen. Die Leute schlachten, häkeln, backen, räuchern, zimmern und züchten, was das Zeug hält. Sie bauen Möbel auf und Gemüse an, sie destillieren und dilettieren. Die Online-Plattformen, über die man sich gegenseitig Selbstgemachtes verkauft, sind ein echter Wirtschaftsfaktor geworden.

Vielleicht ist es neu, in welchem Maße die Leute gerade ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen – alles heißt jetzt Manufaktur. Aber in der Küche, da hatte das Selbermachen schon immer seine Berechtigung. Essen selber zubereiten sollte im Prinzip jeder können. Das mehr oder weniger kunstvolle Kombinieren einzelner Nahrungsmittel in Töpfen unter Zuhilfenahme von Hitze ist ein Grundrecht. In Berlin muss jeder Vermieter in der Wohnung einen Herd bereitstellen. Und es ist im Prinzip nur ein gradueller Unterschied, ob einer ein Spiegelei selbst zubereitet oder Joghurtkulturen züchtet.

Unter denjenigen, die ihr Essen selber schlachten, säen, ernten und kochen wollen, sind Leute, die sich in der Reihenfolge der Lebensmittelskandale inzwischen alle Sorten Fleisch und Eier abgewöhnt haben. Leute mit Allergien, die keine Lust mehr haben auf „Spuren von“. Es sind Genusssüchtige, die einen bestimmten Geschmack suchen und politisch Aktive, die sagen, Selbermachen ist die andere Art, sich von Konzernen unabhängig zu machen. Der zivile Widerstand beginnt in der eigenen Küche.

Und der wird gehandelt als persönlicher Weg zum Glück, verspricht sichtbare Erfolge, Analoges in Zeiten des Digitalen und Einzigartiges im Zeitalter der Massenproduktion.

Alle diese Menschen kneten in ihre Teige etwas von sich ein: etwas von ihrer Vergangenheit, ihren Wertvorstellungen und davon, wie sie sich die Zukunft wünschen. Mit Verantwortung, Idealen von einer Landwirtschaft, Sorgfalt.

Brot als Währung

Großes Sauerkrautstampfen
Großes Sauerkrautstampfen

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Selbermachen ist ein Mittel gegen Ohnmacht: gegen die persönliche in der Arbeitswelt und die politische gegenüber der Lebensmittelindustrie. Es befriedigt das Bedürfnis nach Autarkie und Unabhängigkeit auf denkbar einfache Weise. Es geht um Aneignung, Rückeroberung. Man versteht, wie etwas funktioniert. Auf diverse Fragen der Gegenwart könnte das Selbermachen die Antwort sein: Downsizing. Weniger statt mehr. Entschleunigung.

Aber wie entschleunigt muss man sein, um monatelang auf einen Sauerteig aufzupassen? Dafür muss man nicht gleich sein ganzes Leben über den Haufen werfen, sagen die, denen es gelingt. Dann wird immer auf das Beispiel der in Berlin lebenden Malin Elmlid verwiesen, deren Bedürfnis nach Geschmack mit keinem Weizenbrot, das man käuflich erwerben konnte, zufriedenzustellen war. Mit ihrem eigenen hat sie inzwischen Berühmtheit erlangt: Sie nimmt ihren Teig mit auf Reisen. Sie steht nachts auf, um ihn zu falten. Sie achtet auf die Temperatur in Hotelzimmern.

Und abgesehen davon, dass dieses Brot ungeheuer gut schmecken soll, benutzt sie es, um ein anderes Ideal zu befeuern: Sie verkauft es nicht, sie tauscht es nur. Gegen alles Mögliche, gegen  Kinokarten und Kurzurlaube, die ihr die Leute dafür anbieten. Ihr eigenes Brot, der Sauerteig, mit dem sie herumreist, ist zu ihrer persönlichen Währung geworden.

Es wäre unmöglich, in dieser Gesellschaft mit Brotlaiben zu zahlen, wenn nicht inzwischen so viele das Selbermachen zu schätzen wüssten. Sie bleiben nicht in ihren Kämmerlein. Sie betonen den Aspekt von Gemeinschaft. Sie besuchen Tauschbörsen für Selbstgemachtes. Sie füllen Blogs.

In den Supper-Klubs der Stadt sind sich die kulinarisch Begeisterten gegenseitig für ihr Selbstgekochtes ein Publikum. In den Gärten sitzen sie unter Kirschbäumen und fachsimpeln über Destillate. Es erwischt Männer und Frauen, Alte und vor allem Junge.

Eigentlich, heißt es immer, all dies sei gar keine neue Entwicklung, eher eine Rückorientierung. Man entdecke nur wieder, was früher gang und gäbe war: Rumtöpfe. Vorratshaltung. Eindosen. Pökeln. Wursten. Kurz: Hand anlegen.

Und dann gibt es die, die daraus etwas Professionelles machen. Die das ganze wirtschaftliche Potenzial dieser Bewegung begriffen haben und ihre eigene Großmutter verkaufen. Oder besser: Deren Rezepte. Denn diese Erzählung ist ein unique selling point. Dann werden sie damit reich. Oder einfach glücklich.

Der Ur-urgroßvater des Amerikaners Jim Koch zum Beispiel hätte nicht ahnen können, dass sein Enkel einmal alle seine Harvard-Abschlüsse in den Wind schreiben würde, um in der eigenen Küche nach seinem Rezept Bier zu brauen, um dann mit dem „Samuel Adams Boston Lager“ auf dem amerikanischen Markt Milliardär zu werden!

Die Geschichten, die sich gleichen, beginnen häufig damit, dass jemand einen ungeliebten Job kündigt. Dann wird probiert. Professionalisiert. Die Geschichte kommt auf das Etikett. Dann wird das Selbstgemachte zum Job. Vollzeit, versteht sich. Erfolgreich, versteht sich. Kein Wunder, so, wie die Stimmung gerade ist. Großstädter vor allem schmeißen akademische Ausbildungen über Bord, um im Marmeladekochen, Kuchenbacken und Pilzezüchten einen Moment tiefer Befriedigung zu finden. Weitgereiste erklären den eigenen Laden zu ihrem größten Traum. Ihre analytischen und dialektischen Fähigkeiten benutzen sie fortan, um die Bedeutung des Handwerks und der Gegenständlichkeit zu überhöhen. Alles so abstrakt sonst! Marmeladekochen ist damit schnell in den Rang einer Philosophie erhoben, ein Thema der Glücksforschung.

Vielleicht ist die Akademikerdichte unter den Selbermachern der Grund für die theoretische Adelung des Themas, die Flut an Publikationen, die 2007 mit Richard Sennetts „Handwerk“ begann (siehe Interview vom 6.7.2014). Er beschrieb, warum man eine Sache um ihrer selbst willen gut machen wollen kann. Er beschrieb den Flow, den eine Handarbeit bieten kann. Die alten Techniken. Die Befriedigung, die aus der Arbeit an einem Stück entsteht. Und dass es nicht geistlos sei, etwas mit den Händen zu tun. Das Buch war nicht sein bestes, aber Sennett fühlte mal wieder den Puls der Zeit.

Stellt sich noch die Frage: Ist das Selbermachen nicht eine enorme Anmaßung gegenüber denen, die es besser können und unter Umständen eine jahrelange Ausbildung absolviert haben?  Vielleicht. Aber es richtet sich nicht gegen sie, sondern gegen Agrarfabriken und Verbraucherverdummung. Und manchmal ist das bunte Dilettieren selbst das Ziel. Ausprobieren. Milchsäuregärung verstehen. Von vorne anfangen. Amateur heißt „Liebhaber“.

Der Brotteig geht. Die Serie kommt. Die Redaktion wird sich für Sie in den kommenden Monaten in die Küchen zurückziehen und Selbstversuche wagen: In loser Folge lesen Sie an dieser Stelle über unsere Experimente von Räuchern bis Fermentieren.

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