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Elegant. Das neue Restaurant Cell des russischen Kochs Evgeny Vikentev in Charlottenburg.

© Cell/promo

Von Tisch zu Tisch - die Restaurantkritik: Neuer Kandidat für die Sterne-Liga

Neues in Ku'damm-Nähe: Der Russe Evgeny Vikentev serviert im Restaurant Cell sehr zeitgeistige regionale Saisonküche.

Viel los gewesen im Jahr 2018, und auch 2019 wird kulinarisch noch so manches Fässlein geöffnet werden. Wobei bisher die Grundregel gilt, dass in unserer Stadt nur noch einmal pro Jahr so richtig hingelangt wird, mit neuer, teurer Einrichtung und der Botschaft an den Michelin: Gib mir den Stern!

Der Kandidat des abgelaufenen Jahres mit diesem Anspruch ist zweifellos das edle "Cell" in der Uhlandstraße, mit dem ein überraschender neuer Mitspieler die Berliner Bühne betreten hat: Evgeny Vikentev aus St. Petersburg, gerade um die 30. Dem Russen-Klischee entspricht er nicht, passt mit Schlaumeier-Brille und Tattoos aber perfekt in die Szene. Die Tagesarbeit leistet ein sorgfältig gecastetes Team um Simon Dienemann, der mal letzter Küchenchef im "Vau" war und auch sonst ordentlich rumgekommen ist.

Mit anderen Worten: Hier wird absolut nicht russisch gekocht, wenn wir mal den Einsatz von Saiblingskaviar oder allerhand Kohl ausnehmen, der aber eindeutig mehr mit den aktuellen kulinarischen Moden zu tun hat als mit dem östlichen Küchenerbe. Reizworte wie "Spirulina" (-algen) oder „Buchweizen-Koji“ (pilzfermentiert) signalisieren die ebenfalls hochmoderne Umami-Jagd. Und zu diesen Moden passt auch, dass es zwei Menüs gibt, eines Fisch/Fleisch, eines vegetarisch, jeweils für 90 (sechs Gänge) und 115 Euro (neun Gänge).

Die Küche geht hier nie den einfachen Weg

Die Küche mit ihrem regionalen und saisonalen Fokus ist stilistisch eindeutig bei "Rutz" oder "Cordo" angesiedelt, und das bedeutet auch, dass vieles spröde wirkt, sicher auch noch nicht ganz ausgereift. Ist es wirklich notwendig, eine Auster mit grell saurem Sanddorn hinzurichten? Dies fiel auch deshalb aus dem Rahmen, weil die Würzung sonst eher kontrastarm ausfiel und selbst der Pilzcurry zum pochierten Ei mit Herbsttrompeten ganz auf der milden Seite lag. Die präzisest abgepassten Kartoffelscheiben wurden durch Liebstöckelpulver, Petersilie, Joghurt-Gel und ein paar Textureffekte auch nur sanft unterstützt. Der beinahe rohe Saibling, fast schwarz angekokelt, kam als Rolle mit Steckrüben und Lardo für den Schmelz – kennzeichnend für eine Küche, die handwerklich auf der Höhe ist und nichts dem Zufall überlässt, aber nie den einfachen Weg geht.

Steinpilz-Tiramisu mit eingelegten Mirabellen - ein Weltklasse-Dessert

Dazu würde ich auch die vegetarische Tom Kha Gai zählen, die mit Pastinakenpüree nachgeahmte Thai-Hühnersuppe, hier sehr mild mit allerhand Gemüsen, die für sich standen – das wirkte ziemlich konstruiert, nicht wie ein Eintopf. Der Affenkopfpilz, auch "Pom Pom blanc", kam hier als Ganzstück, schon würzig glasiert mit ein paar Heidelbeeren für die Süße in einer hellen Soße mit Einsprengseln von Zitrone und Rinderjus, eigenwillige Konsistenz, etwas zäh. Ganz und gar auf der Seite der Küche waren wir beim Hirschrücken mit Mandarinenvinaigrette, Kürbis und Schwarzkohl, das war ein Fleischgang mit prononcierter Frische; beim Kürbis in Barbecue-Sauce mit Rosinen unter gebackenen Kohlblättern kauten wir wieder ein wenig herum. Bester Gang des Abends, ein Weltklasse-Dessert: Steinpilz-Tiramisu mit eingelegten Mirabellen, puristisch, schmeichelnd, luftig, perfekt gewürzt. „Time Steps“ war dagegen eine der üblichen bunten Handwerksausstellungen im Halbkreis; kurios, dass der Service dazu ein Bier brachte, von dem nur der Schaum auf den Teller gelegt wurde.

Ja, der Service flutscht, ist stark besetzt, und der in Berlin ja bestens bekannte Sommelier Pascal Kunert hat eine tolle, stilistisch eher konventionelle Weinkarte mit sehr freundlichen Preisen zusammengestellt. Dass er allerdings auf die Bitte nach einer Alternative zum sehr säurelastigen Aperitif-Sekt nur halbe Flaschen Champagner anbot, später in der Weinbegleitung aber ungerührt offenen spanischen Cava brachte, fanden wir dann doch etwas irritierend.

Cell, Uhlandstr. 172, Charlottenburg, Tel. 86 33 24 66, Di–Sa ab 18 Uhr geöffnet

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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