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Le Cochon Bourgeois, Fichtestr. 24, Kreuzberg, Tel. 6930101, nur Abendessen, von Dienstag bis Samstag.

© Kitty Kleist-Heinrich

Von TISCH zu TISCH: Le Cochon B.

Jede gute Küche braucht seine Zeit, findet unser Kritiker Bernd Matthies. Entgegen "journalistische Hysterie" probiert er im Kreuzberger "Cochon Bourgeois" Schnecken mit Estragonschaum.

Derzeit schwappt eine wahre Welle kulinarischer Neueröffnungen über die Stadt, über die wir nach guter alter Sitte aber nicht sofort berichten. Jede Küche braucht Zeit, sich und ihre Linie zu finden, und die vielen nach den ersten zwei Tagen atemlos hingeschriebenen „Tests“ sind nichts als journalistische Hysterie. Überhaupt ist es gesicherte Berliner Erfahrung, dass von zehn neuen Restaurants drei gleich wieder schließen, fünf im Mittelfeld versacken – und zwei am Ende den Besuch wirklich lohnen.

Bis dahin betreiben wir gern ein wenig Bestandspflege und berichten aus Restaurants, die die Eröffnungsphase ein paar Jahre überstanden haben, deshalb aber aus dem Gröbsten durchaus nicht heraus sein müssen. Das Kreuzberger „Cochon Bourgeois“ zählt dazu; im vergangenen Jahr habe ich dort mal einen rabenschwarzen Tag erwischt. Dieser Absturz kam mir aber so untypisch vor, dass ich ihn für mich behalten habe und nun nach einem neuen Besuch berichten kann: Der Laden ist wieder auf gutem Weg.

Benjamin Stoeckel, Inhaber und Küchenchef, hat über die Jahre klugerweise wenig verändert am Konzept einer französisch-kreuzbergerischen Fusion, und so ist hier immer noch alles beim Alten vom knarrenden Dielenboden über die Bistrostühlchen und den Pianisten bis hin zur Küche.

Wobei, diese Küche... Das ist etwas komplizierter. Denn die Grundlage ist nach wie vor so französisch-traditionell, wie sie nur sein kann. Doch Stoeckel erleichtert die alten Rezepte so, dass etwas durchaus Einzigartiges entsteht: gut gemachte Traditionsküche. So ist es überhaupt kein Risiko, die Schnecken mit Kartoffelpüree und Estragonschaum zu bestellen, weil tatsächlich nur eine leichte Vorspeise kommt, die nicht belastet.

Das gilt ebenso für die marinierten Wurzelgemüse mit Ziegenkäsemousse und die Paté vom Kaninchen, die mit diesem Begriff ein wenig irreführend angekündigt ist, denn sie enthält keine Füllung, sondern besteht aus geschmorten und zusammengepressten Fleischstücken – angenehm zu essen und von mariniertem Staudensellerie gut begleitet.

Traditionell ist hier vor allem das Geschmacksbild, das auf betonte Akzente wie Säure, Süße oder hervorstechende Gewürze nahezu komplett verzichtet. Manches wirkt deshalb gemessen an modischeren Küchenrichtungen schon zu dezent, beispielsweise die ausgezeichnet gegarten Jakobsmuschelscheiben mit ein paar Gemüsen in Weinsud. Kaninchen spielt eine große Rolle, es kommt auch als Hauptgang mit einer Keule, etwas grobschlächtig angerichtet, und Rücken in dünner Teighülle – die Rundung verleiht ein herrlich kräftiger, dunkler Fleischjus.

Kulinarischer Ehrgeiz?

Beachtlich ist die stets ausgezeichnete Produktqualität, die ins Geld gehen kann: Das Filet vom geangelten Wolfsbarsch auf Muschelrisotto kam auf 34 Euro, ein Ausreißer bei den Hauptgängen, die sonst um die 25 Euro kosten (Vorspeisen um 12 Euro). Der Fisch war herausragend gut, allerdings fremdelten wir mit dem seltsamen, überdies unterwürzten Risotto, das mit dem sämigen italienischen Klassiker wenig zu tun hatte.

Niemand wird überrascht sein, dass hier die unsterbliche Crème brulée den süßen Abschluss dominiert; es gibt aber auch andere, originellere Dinge, die sich auf Wunsch auf einem Teller versammeln, verschiedene Eissorten, ein wunderbares Topfensoufflé, alles gut gelungen.

Die Weine dazu kommen fast ausschließlich aus Frankreich und Deutschland, gut ausgesucht ohne Experimente und insofern zum Küchenkonzept passend. Restaurantleiterin Anne Michalla kann treffsicher offene Weine zu jedem Gang kombinieren, aber das ist keine Pflicht; die Kalkulation ist vernünftig.

Das „Cochon“ versucht mithin einen schwierigen Spagat: Es kratzt preislich an der Sterneklasse, aber ohne deren kulinarischen Ehrgeiz. Doch damit ist es eine gute Adresse für anspruchsvolle Gäste, die das Essen nicht als Lebensinhalt ansehen, sondern als Bereicherung eines angenehmen Abends, der auch noch Platz für andere Themen lässt.

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