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Von TISCH zu TISCH: Wohlfahrt’s

Thunfisch-Carpaccio mit süß-saurem Kürbis.

Restaurantkritiker sollten unvoreingenommen an die Arbeit gehen, ich weiß. Aber wie soll das in der Praxis aussehen? Denn spätestens beim Betrachten der Speisekarte bildet sich ein ziemlich gusseisernes Vor-Urteil, das zudem durch atmosphärische Eindrücke und mögliches Vorwissen über den Küchenchef, seine Karriere und alle möglichen anderen Faktoren bestimmt wird. Und, wenn ich das nun nach gut 24 Jahren Essen im Dienste des Tagesspiegels gestehen darf: Das Urteil weicht selten stark vom Vor-Urteil ab.

Ein negativer Einflussfaktor sind sehr große Speisekarten, wie ich sie jetzt im neuen „Wohlfahrt’s“ gefunden habe. Wer möglichst allen Gästen alles bieten will, der muss übergroße, kulinarisch bedenkliche Vorräte halten, er kann keinen eigenen Stil entwickeln und sollte sich der Frage stellen, worin genau denn das Alleinstellungsmerkmal zu finden wäre, das die Gäste ihm zutreibt und nicht den Restaurants nebenan. Hier gibt es nun also österreichische Standards, Steaks, Pizza, Nudeln, dazu eine Mittags- und eine Abendkarte, in der es gemischt österreichisch-mediterran zugeht.

Ob das eine Herzenssache des Kochs ist oder eine Notlösung, weil es sich um ein – wenn auch offenbar separat betriebenes – Hotelrestaurant handelt, weiß ich nicht. Aber tatsächlich hatte ich den Eindruck, dass die Küche so viel nicht stemmen kann. Das Problem zeigte sich schon beim Thunfisch-Carpaccio, das wässrig und völlig geschmacksfrei auf den Teller kam. Ob das vorher gefrostet war? Dazu gab es süß-sauren Kürbis, der leider kaum süß-sauer war, und angemachten Hüttenkäse. Ähnlich enttäuschend fiel der Salat mit „Lachs-Sashimi“ aus, eine anständig gemachte Mixtur mit etwas rohem, gleichfalls fadem Lachs, der die hochtrabende Bezeichnung gewiss nicht verdient hatte.

Ganz hübsch: Die Vorspeisenkombination „Land&Meer“ mit den unsterblichen Zutaten Carpaccio, Vitello Tonnato, Mozzarella/Rucola und einer Riesengarnele. Ein mittendrin platziertes Balsamico-Sorbet bewahrte uns vor dem Einschlafen angesichts dieser geballten Klischeeladung. Gut, zumal angesichts diverser Katastrophen, die man in anderen Restaurants unter diesem Namen erlebt, war das sensibel angemachte Beef Tartar mit geröstetem Ciabatta. Die Ravioli mit Steinpilzen im Steinpilz-Salbei-Fond schmeckten dagegen ziemlich beliebig, zumal nicht der Hauch eines lebendigen Steinpilzes auftauchte, und das mitten in der Saison – da war wohl eher die Pilzpulverabteilung gefragt.

Weiter im Walzertakt: Das Wiener Schnitzel entsprach den Erwartungen, es war, wie es sein soll. Und auch die geschmorte Ochsenbacke, ein wenig prätentiös auf Wasabi-Kartoffelpüree und einer Gemüsemischung angerichtet, gelang handwerklich einwandfrei. Wer dieses Gericht allerdings in der Hoffnung auf einen tiefen Schmorfond bestellt – und wer täte das nicht? –, der wird enttäuscht sein, denn dazu gibt es keinen. Was hatten wir noch? Spaghetti Sorrentina, das war okay. Am besten überhaupt gefielen uns die Dessertvariationen zur Aprikose, überraschungsfrei, aber sehr gut gemacht von Sorbet bis Palatschinken. Anständige Sorbets auch in anderen Geschmacksrichtungen, riesiger, etwas zu trockener Kaiserschmarrn (Vorspeisen 10-18 Euro, Hauptgänge um 20 Euro).

Die überschaubare Weinkarte bietet Gutes aus Österreich und dem Rest Europas ohne eigenes Profil zu handelsüblichen Preisen; der gelungene Grüne Veltliner 2011 von Fred Loimer (Kamptal) beispielsweise ist für 32 Euro zu haben. Insofern könnte der Wunsch nach einem guten Glas Wein durchaus der Hauptgrund für einen Besuch sein. Denn ansonsten tue ich mich schwer mit einer Empfehlung. Der kastenförmige Raum ist zwar elegant modern eingerichtet, aber diffus beleuchtet, und die offene Küche liegt so im Winkel, dass sie zur Atmosphäre kaum Entscheidendes beitragen kann.

Das Prinzip lautet: Hier sollen Gäste herkommen, weil sie garantiert irgendwas zu essen finden. Aber ich glaube nicht, dass das heute in Berlin noch reicht.

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