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Gegrillter Spitzkohl mit Soja-Dressing von "Khwan"

© promo/ Khwan_Christopher Bennett

Was ist Geschmack? Feuer und Rauch: Geröstet ist gut, verkohlt schmeckt noch besser!

Feuer und Rauch sind ein Stilmittel der avantgardistischen Küche geworden. Woher der Trend kommt und was ihn so attraktiv macht.

Damals, als das Essen noch einfach war, gab es ein paar schlichte Prüfsteine für Qualität: Es sollte nicht abgekühlt, versalzen oder angebrannt sein. Davon ist im Grunde nur noch der Fehler „versalzen“ übrig geblieben. Heißes Essen gibt es in der Spitzengastronomie praktisch überhaupt nicht mehr, und Angebranntes spielt sogar eine besondere Rolle. Rauch und Kohle, meist vermittelt über den Holzkohlegrill, sind zu einem wichtigen geschmacklichen Element avantgardistischer Küchenkonzepte geworden – aber mit dem klassischen Räuchern hat das nur selten zu tun.

Berlin, das deutsche Zentrum der kulinarischen Avantgarde, bietet dafür reichlich Beispiele, und zwar unabhängig von der Jahreszeit, denn mit herzerwärmender winterlicher Deftigkeit hat das Thema absolut nichts zu tun. Sebastian Frank im „Horvath“ und Marco Müller im „Rutz“ grillen, was die Kohle hergibt, Gal Ben Moshe im „Prism“ geht speziell an die Pelle von Auberginen mit brutaler Hitze heran. Aber auch die populäre Barbecue- und Streetfood-Küche setzt das einst so verpönte Anschwärzen unschuldiger Lebensmittel konsequent ein, zum Beispiel im Berliner Thai-Grill „Khwan“, wo die Kohlenspuren dann in einer säuerlich-scharfen Marinade aufgefangen und abgepuffert werden.

In "Immer Grün" zeigt Mikkel Karstad Rezepte der nordischen Gemüseküche mit Rauch und Feuer
In "Immer Grün" zeigt Mikkel Karstad Rezepte der nordischen Gemüseküche mit Rauch und Feuer

© promo/ prestel

IST DAS DENN ÜBERHAUPT GESUND?
Kommt drauf an. Jeder kennt Kohletabletten als Mittel gegen Verdauungsstörungen, das spricht für die grundsätzliche Verträglichkeit. Andererseits ist genauso bekannt, dass bei Röstvorgängen schädliches Acrylamid entsteht. Doch das betrifft vor allem stärkehaltige Ausgangsprodukte wie Kartoffeln oder Brot. Wer also eine angebrannte Pizza reklamiert, sollte sich nicht mit dem Hinweis abwimmeln lassen, das sei avantgardistische Küche. Aber Köche, die das Thema und ihre Gäste ernst nehmen, wissen natürlich, was sie tun. Was nicht heißt, dass sie damit jedermanns Geschmack treffen.

Woher kommt das mit der Kohle? Es ist sicher der Drang vieler experimentierfreudiger Köche, die nach dem archaischen Geschmack suchen, nach den Schätzen der Bauernküche früherer Generationen bis runter zum Neandertaler. Nicht umsonst wurde das schroffe Grillen auf echter Kohle auch von der kurzlebigen Paleo-Küche aufgenommen, die ja auf der Idee basiert, der Mensch müsse sich konsequent steinzeitlich ernähren. Wie auch immer: Unsere Experimentierköche haben das klassisch Konventionelle satt, sie haben alle Geräte und modernen Techniken ausprobiert, ihre Küche mit „sous vide“ und vielen bunten Emulsionspünktchen aus der Flasche auf lau gedreht und flüchten nun zum Teil regelrecht in die Vergangenheit. Beim Rückbesinnen auf Althergebrachtes drehen sie jedes Kräutlein vor der Tür um, fermentieren, trocknen, wecken ein. Viele versuchen sogar ganz konkret, Kindheitserinnerungen zu mobilisieren, wie der spanische Star Dani Garcia, der mal eine Art kokelnde Steckerlfisch-Szenerie am Tisch mit echtem Strandsand inszeniert hat.

Bevor er im Feuer landet, bestreicht Mikkel Karstadts den Mais mit Butter Harissa und geräucherter Paprika
Bevor er im Feuer landet, bestreicht Mikkel Karstadts den Mais mit Butter Harissa und geräucherter Paprika

© promo/prestel

Nicht ganz unerwartet geht vieles auf René Redzepi, den großen Neuerer der skandinavischen Küche zurück, der betont, er habe Heuasche als eine Art Gewürz schon in 200 Jahre alten Büchern gefunden; ob das damals ein kulinarischer Gewinn war oder nur der Ausdruck großer Armut, spielt dabei längst keine Rolle mehr. Stefan Wiesner aus der Schweiz, ein weniger bekannter, aber ebenso einflussreicher Koch, beruft sich sogar auf die alte alchemistische Lehre der „Spagyrik“, wenn er auf seinem geschmiedeten Feuerring Petersilienwurzeln schwarz werden lässt oder „Kohle-Pita“ mit Fondue und Senfkaramell zubereitet. Auch der ziemlich verbreitete Holzkohlesenf stammt wohl von ihm.

AUCH IN BERLIN SCHLAGEN DIE FLAMMEN HOCH

Der Wahl-Berliner Sebastian Frank hat die schwarze Mode in allen Richtungen ausprobiert und dafür nicht nur Lob gehört. Kalte Gemüsesuppe, darüber eine Schicht rote Bete, obendrauf Kohlenpulver – solche Sachen sind es, mit denen er die Gäste bewusst polarisiert. Auch zur Aromatisierung nutzt er Röstnoten, zum Beispiel bei Selleriesaat, die dann eine Art Umami-Geschmack entfaltet. Ferran Adria, dem geistigen Oberhaupt der „Molekularküche“, wird die Erfindung des Holzkohleöls zugeschrieben – aber die Idee, Holzkohle zwölf Stunden in Sonnenblumenöl zu marinieren, hatten vermutlich auch andere vor ihm, ohne das stilistische Potenzial zu erkennen. Heute ist es fast schon ein Supermarkt-Artikel. Schon die Rückbesinnung kluger Küche aufs Regionale in den Neunzigern hat zunächst den rustikalen Räucherfisch wieder salonfähig gemacht, da war Oliver Heilmeyer in Burg im Spreewald einer der Pioniere. Doch die alten Techniken vertrugen sich nicht mit den Vorgaben der Feinschmeckerküche, und die Zeit war reif für das À-la-minute-Räuchern: Irgendein Tüftler entdeckte, dass man mit einem modifizierten Mini-Staubsauger für PC-Tastaturen Rauch aufnehmen und gezielt wieder abgeben konnte. So entstand die Mode, fertige Gerichte für ein oder zwei Minuten unter einer Cloche mit Rauch zu aromatisieren. Ein überraschender Effekt, der allerdings bis zur Penetranz – manchmal mehrmals in einem Menü – eingesetzt wurde und langsam auszusterben scheint. Auch die skandinavische Mode, zu einzelnen Gerichten kokelnde Zweige auf den Tisch zu legen, hat sich glücklicherweise erledigt.

Rauch, Kohle, Schärfe - in den Rezepten von Mikkel Karstadt zur nordischen Gemüseküche wird viel verbrannt
Rauch, Kohle, Schärfe - in den Rezepten von Mikkel Karstadt zur nordischen Gemüseküche wird viel verbrannt

© promo/prestel

MIT DEM RAUCH KAM DAS FEUER

Michael Hoffmann baute am Küchenausgang seines Berliner Restaurants „Margaux“ schon vor 15 Jahren einen Camping-Grill auf, um Gemüse und Fleisch mit echten Grillnoten zu aromatisieren. Über den kugelförmigen Weber-Grill, auch eher ein Outdoor-Küchengerät, führte der Weg zum japanischen Robata-Grill, einem winzigen Holzkohlegrill, der auch drinnen unter einem guten Abzug einsetzbar ist, und zum „Green Egg“, einem massiven, nach außen gut abgeschirmten Keramik-Ei mit Grillrost. Das Feuer war verfügbar, aber was nun?

Eine beliebte Technik der modernen Küche besteht darin, Gemüse direkt aufs Feuer zu legen und von außen rundum zu verkohlen. Serviert wird aber meist nur das Innere, das im eigenen Saft gegart wurde und dabei auch die begehrten Rauchnoten aufgenommen hat. Der „verbrannte Lauch“ – das Innere wird mit Thymian und Kabeljaurogen aromatisiert und dann wieder hineingefüllt – war ein „Signature Dish“ Redzepis, inspiriert von einer alten katalonischen Bauernspeise. Inzwischen sind praktisch auch alle Kohlsorten auf ihre Eignung für diese Garmethode geprüft worden – meist kommt wegen der nötigen längeren Garzeit nur matschiger, unangenehm schmeckender Kohl dabei heraus. Ausnahmen bestätigen aber die Regel (siehe Spitzkohl von „Khwan“).

ABER ES GEHT JA AUCH EINFACHER

Nur angrillen oder notfalls in der Pfanne schwarz anrösten bringt auch den Mauerblümchen der Gemüseläden ordentlich geschmacklichen Wumm, kernige Röstaromen statt gemüsigen Muffs. Brokkoli oder Blumenkohl beispielsweise, die über Jahrzehnte in keinem Gourmet-Restaurant der Welt Zutritt hatten, sind in den gemüsebetonten Modeküchen Berlins Pflichtprogramm. Wer es edler will, besorgt sich den Brokkoli-Verwandten „Cime di Rape“ oder röstet einen halben Kopf Romana-Salat an.

Am verbrannten Blumenkohl treffen sich neue deutsche Konzepte mit den hochaktuellen Traditionen der levantinischen Brasserie-Küche auf verblüffend ähnliche Art. Auch Spargel, sofern er nicht sehr mit Wasser aufgepumpt ist, profitiert sehr von der schwärzenden Grillhitze. Und die schroff angerösteten und dann in ihre Segmente zerlegten Zwiebeln sind fast schon ein Standard-Bestandteil der aktuellen Regionalküche. Da ist noch einiges zu erwarten.

Asche allein, das hat sich relativ schnell gezeigt, ist eine geschmacklich ziemlich einseitige Sache. Außer der staubigen Textur und der überraschenden Farbe kommt wenig rüber, kein Röstaroma, keine Würze. Auch Vorkämpfer Sebastian Frank gibt zu, dass ihn das nervt, „mittlerweile wird das belanglos überall drübergekrümelt“. Er ist längst weiter und erwähnt in seinem neuen Kochbuch beispielsweise, dass er die Asche von schwarz gegrilltem Gemüse nach dem Trocknen mit dem noch unversehrten Inneren anreichert, um die geschmackliche Tiefe zu steigern.

Und als er nach einem Konterpart für die sandige Lauchasche suchte, dachte er an Marzipan und entwickelte daraus die Idee, ein Kürbispüree mit Aromen von Amaretto und Marillenkernöl hinzuzufügen. Es entstand das auch optisch höchst attraktive „Falsche Marzipan vom Kürbis mit Kalbsnierengrammeln, Fichtenessigmarmelade und Gemüseasche“ – ein sofort als Frank-Schöpfung erkennbares Gericht. Fast simpel wirkt dagegen die Idee, gegrilltes Gemüse mit einer auf Holzkohleöl aufgebauten Gemüseglasur zu bestreichen und dann in Asche zu tunken. Das ist dann schon fast ein Rezept für die heimische Küche, wo Alchemisten nichts zu sagen haben.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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