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Gesundheit: Adams Knochen

In Äthiopien haben Forscher die ältesten Überreste eines Homo sapiens gefunden

Was für andere nur nach Waschmittelwerbung klingt, hat für Anthropologen eine elektrisierende Wirkung. Am Omo- Fluss im südlichen Äthiopien wurden mehrere bedeutende Funde fossiler Knochen unserer Vorfahren entdeckt, die der Region einen festen Platz auf der Landkarte der Menschwerdung zuweisen.

In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Nature“ (Band 433, Seite 733) berichtet jetzt ein Team um den Geologen Ian McDougall von der Australian National University in Canberra von zwei gut erhaltenen Schädeln des Homo sapiens aus Ablagerungen im äthiopischen Kibish am Omo-Fluss. Diese konnten mittels der Zerfallsrate instabiler Isotope des eingelagerten Elements Argon auf ein Alter von 195000 Jahren datiert werden.

Damit sind die Menschen-Schädel aus Kibish, die mit „Omo I“ und „Omo II“ bezeichnet werden, die ältesten sicher datierten Zeugnisse des anatomisch modernen Menschen. Natürlich wissen wir seit langem, dass Afrika – insbesondere die östlich des großen Grabenbruchs gelegenen trockenen Savannen-Regionen – die Wiege der Menschheit ist, und zwar nicht nur des modernen Homo sapiens, sondern auch seiner sämtlichen hominiden Urahnen.

Bereits der Brite Charles Darwin hatte vermutet, dass der Mensch aus Afrika stammt, dann aber entdeckte man die ersten tatsächlichen fossilen Nachweise früher Arten unserer Gattung in Asien. Der erste bedeutende Fund gelang dem jungen niederländischen Arzt Eugène Dubois 1891 auf Java. Mit einem Schädel des Homo erectus glaubte er und die damalige Fachwelt lange, das „fehlende Bindeglied“ zwischen Menschenaffe und Mensch in den Händen zu halten. Heute wissen wir, dass der Java-Schädel nur rund eine Million Jahre alt ist und von einer ersten Wanderbewegung jener Frühmenschen von Afrika nach Südostasien zeugt. Tatsächlich sind die versteinerten Zeugnisse der Menschheit viel älter.

Nach den jüngsten Fossilfunden in Afrika lässt sich annehmen, dass unser Ursprung dort auf ein Alter von sechs bis sieben Millionen Jahre zurückgeht. Mit Sahelanthropus tschadensis fand Michel Brunet von der Universität in Poitiers im Jahr 2002 Fossilien des bislang ältesten bekannten Mitglieds der menschlichen Familie. Der fossile Neuzugang ist damit etwas älter als die ebenfalls erst vor wenigen Jahren in Kenia entdeckten Knochenfragmente des Vormenschen Orrion tugenensis. Dieser dürfte vor sechs Millionen Jahren gelebt haben.

Zwei fundamental neue Erkenntnisse haben sich im vergangenen Jahrzehnt deutlich herauskristallisiert. Zum einen: Die Entwicklung zum modernen Menschen erfolgte nicht in einer einzigen Hauptentwicklungslinie wie lange angenommen; vielmehr verlief sie in den vergangenen sechs Millionen Jahren viel komplizierter. Neue Fossilien und Forschungsmethoden belegen das vielfache Aufspaltung und Aussterben; Hominiden entstanden demnach mehrfach und evolvierten in verschiedenen Linien. Mittlerweile zeichnen Paläo-Anthropologen daher keinen Stammbaum mehr, sondern einen Stammbusch, sofern sie sich überhaupt noch trauen, im Dickicht der vielen Einzelfunde verwandtschaftliche Beziehungen herzustellen.

Zum zweiten haben alle Hominiden ihren Ursprung in Afrika und wenigstens einige Formen lebten dort sogar über lange Zeit gleichzeitig nebeneinander. So koexistierten vor etwa zwei Millionen Jahren neben den beiden Paranthropus- Arten bosei und aethiopicus vermutlich mit Australopithecus habilis und A. rudolfensis wenigstens zwei weitere Hominiden im Gebiet der großen afrikanischen Riftseen, als dort und zu diesem Zeitpunkt auch die Vorfahren unserer eigenen Gattung Homo erschienen. Wir waren mithin lange nicht die Einzigen. Doch warum von allen Frühmenschen und Menschenarten allein Homo sapiens überlebte und warum unsere ökologischen „Mitbewerber“ und Konkurrenten – wie zuletzt der Neandertaler in Europa oder der erst in vergangenen Jahr entdeckte Zwergmensch Homo floresiensis auf der indonesischen Insel Flores – schließlich ausstarben, ist ebenso unklar wie heiß umstritten. Möglicherweise wurden wir dank unser geistigen Überlegenheit und insbesondere durch unsere komplexe Sprache zum Alleinherrscher. Weniger spekulativ sind dagegen die fossilen Zeugnisse des anatomisch modernen Menschen in Afrika. Die frühesten fossilen Belege des Homo sapiens sapiens stammen von drei Fundorten im subsaharischen Afrika, und zwar aus zwei Höhlen in Südafrika und eben aus jener Kabish-Formation am Omo-Fluss in Äthiopien. Bislang jedoch deuteten alle diese Funde darauf hin, dass moderne Menschen erst vor 130000 Jahren in Afrika existierten – lange, bevor auch sie sich auf den Weg nach Europa und in den Fernen Osten aufgemacht haben.

Die beiden Omo-Schädel waren bereits 1967 in Kibish ausgegraben worden. Anhand von Untersuchungen der Uranium/Thorium-Isotope an ebenfalls in der Formation gefundenen Molluskenschalen hat man damals das Alter auf rund 130000 Jahre festgesetzt. Doch bislang war diese Datierung der anatomisch modern wirkenden Schädel unsicher. „In der Regel führen diese an den Schalen ermittelten Daten zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Alters, da die Schalen nach ihrer Ablagerung weiteres Uranium aufnehmen“, sagt der Hamburger PaläoAnthropologe Günter Bräuer, der sich lange mit den Schädelmerkmalen und der Evolution des Homo sapiens in Afrika und Europa beschäftigt hat. Vor allem verwirrte die Forscher, dass „Omo I“ auf einen moderneren Menschen hinwies als sein Kamerad aus der gleichen Formation und dem gleichen stratigraphischen Horizont.

Nach Einschätzung Bräuers zeigt der Schädel deutliche Ähnlichkeit zu frühen modernen Funden außerhalb Afrikas, etwa solchen aus Europa. Die jetzt von Ian McDougall ermittelten Argon-Zerfallsdaten von Feldspat-Kristallen, die aus vulkanischen Tuffen unterhalb der Fundlage der Omo-Schädel stammen, zeigen zweifelsfrei, dass beide tatsächlich das gleiche Alter haben. Demnach wurden sie nicht erst später zufällig am gleichen Fundort zusammen abgelagert, was durchaus ein häufiges Problem der Paläontologie ist. Unser unmittelbarer Ursprung in der afrikanischen Wiege der Menschheit reicht damit deutlich weiter zurück als bisher vermutet.

Matthias Glaubrecht

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