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Gesundheit: Ächzend unter der Last der Pensionen

Anders als der Berliner Senat behauptet, können sich die Hochschulen 85 000 Studienplätze nicht leisten / Nach Schätzungen 8000 bis 10 000 Plätze wenigerVON UWE SCHLICHTDie Studenten haben im letzten Semester nicht nur gegen die drohende Einführung von Studiengebühren gestreikt, sondern auch gegen den Abbau von Studienplätzen in Berlin.100 000 sind es zur Zeit, im Jahr 2000 sollen es nur noch 85 000 sein, hat der Senat wiederholt behauptet.

Anders als der Berliner Senat behauptet, können sich die Hochschulen 85 000 Studienplätze nicht leisten / Nach Schätzungen 8000 bis 10 000 Plätze wenigerVON UWE SCHLICHTDie Studenten haben im letzten Semester nicht nur gegen die drohende Einführung von Studiengebühren gestreikt, sondern auch gegen den Abbau von Studienplätzen in Berlin.100 000 sind es zur Zeit, im Jahr 2000 sollen es nur noch 85 000 sein, hat der Senat wiederholt behauptet. Nachdem nun alle Berliner Kuratorialhochschulen Strukturpläne erarbeitet haben, zeichnet sich ab, daß die Hochschulen noch nicht einmal die verlangte Zielzahl von 85 000 Studienplätzen erreichen, sondern um 8000 bis 10 000 Studienplätze darunter liegen.Diese Hochrechnungen gaben TU-Präsident Hans-Jürgen Ewers und FU-Vizepräsident Peter Gaehtgens vor den Akademischen Senaten bekannt.Aus anderen Hochschulen wird diese Tendenz ebenfalls bestätigt. Wegen der drückenden Sparauflagen - bis zum Jahr 2003 wird nahezu eine Milliarde Mark aus dem Wissenschaftshaushalt herausgeholt - sehen sich die Hochschulen nicht in der Lage, ihre Strukturpläne auf die vom Berliner Senat gewünschte Zielzahl abzustellen.Daß 85 000 Studienplätze noch zu finanzieren seien, hatten die Rektoren und Präsidenten schon seit 1997 nicht mehr geglaubt.Die Berechnungen der Hochschulen gehen wegen der bereits beschlossenen Sparauflagen über das Jahr 2000 hinaus - einen Zeitraum, für den es auf Grund der Verträge mit dem Berliner Senat noch eine relative Planungssicherheit gibt.Weil es nach der Jahrtausendwende besonders kritisch wird, hat der Wissenschaftsrat eine Garantie der 85 000 Studienplätze verlangt. Auf der Sommersitzung im Juli wird der Wissenschaftsrat entscheiden, ob er dem Wunsch des Berliner Senats nachkommt und die Strukturvorschläge der Berliner Hochschulen begutachtet.Als dieser Wunsch im Januar an den Wissenschaftsrat herangetragen wurde, machte der Generalsekretär dieses einflußreichen Beratergremiums, Winfried Benz, deutlich, daß einige Vorbedingungen erfüllt sein müssen: die Einhaltung von 85 000 Studienplätzen in der Stadt und deren finanzielle Absicherung.Außerdem hatte der Wissenschaftsrat darauf hingewiesen, daß ein so ehrgeiziges Projekt wie der Aufbau eines Technologieparks in Adlershof nur gelingen könne, wenn in den besonders gut bewerteten Naturwissenschaften an den drei Universitäten nicht noch mehr Studienplätze vernichtet werden als schon durch führere Sparrunden geschehen.Bei den Anmeldungen neuer Bauvorhaben will der Wissenschaftsrat künftig vom Berliner Senat belegt bekommen, wie sich die Zahl der 85 000 Studienplätze zusammensetzt.An dieser Haltung hat sich inzwischen nichts geändert, wie Generalsekretär Benz dem Tagesspiegel in diesen Tagen mitteilte.Wenn der Wissenschaftsrat im Sommer eine Arbeitsgruppe zur Begutachtung der Berliner Strukturvorschläge einsetzen sollte, dann erwartet er, daß der Senat vorher die Strukturvorschläge der Hochschulen kommentiert.Sollte eine Stellungnahme des Wissenschaftsrats zum Jahresende vorliegen, dann könnte erst danach die Landeskommission tätig werden, um endgültig über die Hochschulstrukturen in Berlin zu entscheiden. In einem ersten Überblick wird die Lücke zwischen den Zielvorgaben der Politiker und den errechneten Studienplätzen an den drei großen Universitäten deutlich: Die Technische Universität kommt nur noch auf 16 426 Studienplätze - im Hochschulstrukturplan des Berliner Senats waren für die TU 18 700 Studienplätze vorgesehen.Die Freie Universität hat sich auf 21 370 Studienplätze festgelegt - im Hochschulstrukturplan des Berliner Senats waren für die FU 23 500 Studienplätze veranschlagt worden.Auch die Humboldt-Universität sieht sich nur in der Lage, das Wagnis von 18 500 Studienplätzen einzugehen - im Hochschulstrukturplan des Berliner Senats stehen 20 000 Studienplätze für die HU.Die HU hat bereits angekündigt, daß sie trotz der Streichung von 82 Professuren voraussichtlich in den nächsten Jahren auf ein Defizit im Haushalt zusteuern wird, weil die notwendige Ausfinanzierung nicht gewährleistet ist. Die Hochschule der Künste, die größte der Berliner Kunsthochschulen, kann die vom Berliner Senat erwartete Zahl von 3550 Studienplätzen nicht erreichen.Sie baut im Gegenteil wie auch die drei großen Universitäten unter dem Spardruck ab: von heute 4100 Studienplätzen auf 2800. Daß alle großen Universitäten die Zahl der Studienplätze so vorsichtig veranschlagt haben, hat die folgenden Gründen: Schon jetzt sind die Personalhaushalte der Hochschulen vor allem im Westteil der Stadt nicht ausfinanziert und enthalten daher erhebliche Risiken.Unbekannt sind die Tariferhöhungen der nächsten Jahre.Die Belastungen durch Beihilfen und die Pensions-und Emeritierungskosten erreichen an der FU und TU schon jetzt jährlich jeweils zweistellige Millionenbeträge und werden sich nach dem Jahr 2000 rapide erhöhen - an der FU rechnet man mit rund 50 Millionen Mark.Auch die Hochschule der Künste leidet unter den enormen Lasten durch die Pensionierung: Die Kosten betragen nach Auskunft von Kanzler Jürgen Schleicher heute schon 18,7 Millionen Mark im Jahr und werden bis 2003 jährlich um etwa 700 000 Mark steigen.Werden die Hochschulen von den Pensionierungskosten nicht entlastet, wird das zusätzliche Studienplätze kosten. Daß diese Kosten im alten West-Berlin besonders drücken, liegt an dem dort seit Jahrzehnten praktizierten "Berliner Modell": Die Erlaubnis, daß die Universitäten und Kuratorialhochschulen eigene Angestellten- und Beamtenverhältnisse begründen durften, war an die Bedingung gekoppelt, daß sie dann auch für die Beihilfen und die Pensionslasten aufkommen, die in anderen Ländern vom Landesetat getragen werden. Diese Belastung trifft auch die alten Fachhochschulen im Westen Berlins: Die Technische Fachhochschule in Wedding möchte sich eigentlich nicht genau auf 7600 Studienplätze festlegen, weil ihr die Haushaltsrisiken zu groß erscheinen in einer Situation, in der die Verhandlungen mit dem Berliner Senat über die Fortschreibung der Hochschulverträge über das Jahr 2000 hinaus erst beginnen.An der TFH werden die heute schon bei fünf Millionen Mark liegenden Pensionslasten in den nächsten Jahren auf neun Millionen im Jahr steigen.Die Fachhochschule für Wirtschaft sieht ihre 1600 Studienplätze überhaupt nur dann als haltbar an, wenn sie in den kommenden Jahren mit einem Haushaltsdefizit abschließen darf und die Ausfinanzierung der Personalhaushalte und der Pensionskosten nach dem Jahr 2000 geregelt wird.Das teilte Rektor Jürgen Kunze mit. Die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Karlshorst ist als Osthochschule von den Pensionslasten noch nicht in erheblichem Maße betroffen, aber von den Beihilfen schon.Die FHTW geht von 7760 Studienplätzen aus und kann diese Zahl nach dem Jahr 2000 nur erhöhen, wenn es zu einer Ausfinanzierung der Personalhaushalte und Zuschußsteigerungen kommt.Bekanntlich hat sich die Große Koalition darauf festgelegt, in Berlin 17 300 Studienplätze an den Fachhochschulen zu sichern, weil Berlin im Bundesvergleich bei den Fachhochschulen hinterher hinkt. Staatssekretär Erich Thies hat wiederholt, zuletzt am Mittwoch abend, geäußert, daß der Berliner Senat die zusätzlichen Mittel für die Hochschulen bereitstellen werde, die zur Ausfinanzierung der 85 000 Studienplätze benötigt werden.Er sprach die Erwartung aus, daß es deswegen vom Jahr 2001 an zu einer Beruhigung in der Berliner Hochschulszene kommen werde.Gewißheit über die künftigen Bedingungen wird es erst zum Jahresende geben.

UWE SCHLICHT

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