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Gesundheit: Ältester Ahne aus Äthiopien

Dem Staub entrissen: Neue Funde schließen eine große Lücke im Stammbaum des Menschen

AN DER SCHWELLE ZUM MODERNEN MENSCHEN

Längst waren sie auf den Geschmack gekommen. Der Genuss des Fleisches von Flusspferden und Antilopen zählte zweifellos zu den Highlights im Leben unserer Ahnen aus Äthiopien; und dies zu einer Zeit, als Europa unter mächtigen Gletschern begraben lag. Verblichene Knochen eines Hippopotamus nebst aus der Erde aufragende Steinwerkzeuge waren es schließlich auch, die Äonen später den amerikanischen Paläoanthropologen Tim White zu einem ungemein wichtigen Fund in der Afar-Region im Nordosten Äthiopiens führen sollten. Diese werfen neues Licht auf die Evolution unserer unmittelbaren Ahnen vor dem Auszug aus Afrika.

Nach langer Suche hatte Whites Grabungsteam Ende November 1997 in der Nähe des Dorfes Herto im äthiopischen Awash-Tal frühmenschliche Schädelknochen entdeckt. Sie kamen gerade zur rechten Zeit. Denn die Erosion durch Regen und eine unbarmherzig brütende Sonne hatte bereits einen Teil der aus dem Sediment herausragenden linken Schädelseite zerstört. Binnen einer Woche fanden die Forscher zwei weitere Schädel. In mühevoller Arbeit setzten sie diese aus jeweils knapp 200 Knochenfragmenten wieder zusammen, die auf rund 400 Quadratmeter verstreut gelegen hatten.

Die Schädel stammen vermutlich von zwei erwachsenen Männern und einem sechs- oder siebenjährigen Kind. Wodurch sie einst umkamen, bleibt mysteriös. Doch ihr Tod und die besonderen Umstände am Awash-Fluss, der sich dort damals zu einem baumgesäumten Süßwassersee weitete, wurden zum seltenen Glücksfall der mit derartigen Fossilfunden nicht eben verwöhnten Frühmenschenforschung.

Erst nach mehr als fünf Jahren wahrer Knochenarbeit konnten Tim White von der Universität in Berkeley und seine Kollegen jetzt in zwei Arbeiten für das Fachmagazin „Nature“ (Band 423, Seite 742 und Seite 747) das Alter dieser Hominiden auf 154000 bis 160000 Jahre datieren. Damit sind es die bislang ältesten Fossilien eines fast vollständig modernen Menschen aus Afrika.

Denn obwohl inzwischen zahlreiche Fossilfunde zur Menschheitsgeschichte gerade aus dem Osten Afrikas bekannt sind, schließen erstmals die neuen Herto-Hominiden eine breit klaffende Lücke im Fossilbeleg. Bislang fehlten den Forschern gut erhaltene und datierte Funde afrikanischer Frühmenschen aus der Zeit von vor etwa 300000 bis 100000 Jahren.

Just zu dieser Zeit aber soll der moderne Mensch seine afrikanische Wiege verlassen und sich allmählich über die Welt ausgebreitet haben, wobei er andere Menschenformen verdrängte, die in früheren Wanderungswellen aus Afrika ausgezogen waren. Darunter hat wohl am meisten der Neandertaler in Europa gelitten, der schließlich vor rund 30000 Jahren spurlos verschwand; übrig blieben nur wir – der Homo sapiens sapiens.

Dass die Anfänge der Menschheit in Afrika liegen, wissen Anthropologen seit langem. Doch noch mehr als bei anderen Tierformen machen sich menschliche Fossilien rar. Mithin hat beinahe jedes auch noch so kleine Bruchstück ausgestorbener Hominidenformen Seltenheitswert. Statistisch kommt meist nur ein Zahn- oder Knochenfragment auf 100 Generationen unserer verstorbenen Ahnen. Im Vergleich zum monate- und oft jahrelangen systematischen Absuchen geologisch vielversprechender und durch Erosion freigelegter Sedimentschichten in den Halbwüsten-Regionen im nordöstlichen Afrika, wie sie Tim White und andere seit Jahrzehnten durchführen, wirkt die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen geradezu wie ein kurzweiliger Zeitvertreib.

Kein Wunder, dass beinahe jeder neue Fund frühmenschlicher Versteinerungen als Sensation gefeiert wird. Meist belegen Paläoanthropologen die mühsam dem Staub der Jahrmillionen entrissenen Knochen zudem mit einem eigenen Namen. So auch im Fall der Herto-Menschen, die das Team um Tim White formal korrekt als Homo sapiens idaltu deklariert. In der Sprache der Einheimischen der äthiopischen Afar-Region bedeutet Idàltu „der Älteste“.

Wie sich die neuen Mosaiksteinchen der Hominidenevolution in das Gesamtbild der Menschwerdung einordnen, zeigt sich auch den beteiligten Forschern oft erst nach jahrelanger vergleichender Untersuchung der Funde. Bei den jüngsten Homo sapiens-Fossilien aus Äthiopien dagegen sind sich die Wissenschaftler bereits jetzt einig.

Chris Stringer vom Naturhistorischen Museum in London etwa hält Tim Whites Entdeckung in Herto für sicherlich „einen der wichtigsten Funde des frühen Homo sapiens überhaupt“, da es sich um die ältesten definitiven Spuren des modernen Menschen handelt. Endlich habe man die lange gesuchte Verbindung sowohl zurück zu älteren afrikanischen Fossilien des archaischen Menschen und nach vorn zu den jüngeren Funden im Nahen Osten gefunden, etwa die auf 115000 Jahre datierten Hominiden in den Höhlen von Skhul und Qafzeh in Israel. Damit kommt den Idàltu-Menschen eine echte Zwischenstellung zu.

Matthias Glaubrecht

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