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Gesundheit: Alle Macht den Ländern

Nach über 30 Jahren schafft der Bund seine Rahmengesetzgebung für die Hochschulen ab. Ein Fehler?

Das Hochschulrahmengesetz wird aufgehoben. Das hat die Bundesregierung gestern beschlossen. Den Ländern wird bis zum 1. Oktober 2008 Zeit gelassen, das Vakuum mit eigenen Gesetzen zu füllen. Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan sagte zu diesem Schritt: „Mit der Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes unterstützen wir die Länder darin, die Hochschulen aus der staatlichen Detailsteuerung zu entlassen.“ Als neue Steuerungselemente sieht Schavan Wettbewerbe wie die Exzellenzinitiative in der Forschung oder Verabredungen von Bund und Ländern im Hochschulpakt zur Bewältigung des Studentenbergs.

Das Hochschulrahmengesetz war nicht immer ein überflüssiger Ballast, den die Länder am liebsten abschütteln wollten. Dem ersten Hochschulrahmengesetz von 1975 ist es zu verdanken, dass die wegweisenden, aber in der Praxis schwer zu handhabenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Mitbestimmung an den Hochschulen und zum Numerus clausus in funktionierende Gesetzesform gebracht wurden.

Das trug nicht nur zur Befriedung, sondern auch zur Leistungsfähigkeit der deutschen Hochschulen in turbulenten Zeiten bei. Seit der Studentenrevolte von 1968 und den ersten neuen Hochschulgesetzen in den Ländern gab es einen Wildwuchs. Die Sozialdemokraten wünschten als Antwort auf die Studentenrevolte gegen die Ordinarienuniversität, die Allmacht der Professoren zu brechen. Sie führten die Gruppenuniversität ein. Gruppenuniversität bedeutete, dass die Gruppen der Dienstkräfte, Studenten und Assistenten zusammen über eine knappe Mehrheit verfügten und damit erstmals in der deutschen Universitätsgeschichte die Professoren überstimmen konnten.

Das war eine kulturpolitische Revolution und zugleich die Geburtsstunde politisierter Hochschulen. Entscheidungen in akademischen Gremien waren bislang nach von Zufällen bestimmten Einzelfallprüfungen getroffen worden. Jetzt bildeten sich bei den Abstimmungen Allianzen, die die Gesellschaft im marxistischen Sinn über die Hochschulreform verändern wollten. Die absolute Mehrheit der Professoren in den Fakultäten und akademischen Senaten gab es nur noch in süddeutschen Ländern.

Die Professoren klagten vor dem Bundesverfassungsgericht. Das erkannte in seinem wegweisenden Urteil von 1973 zwar die Gruppenuniversität als eine Form der akademischen Selbstverwaltung an, forderte jedoch für die Professoren besonderen Schutz: Bei Entscheidungen, die unmittelbar die Lehre betreffen, muss der Gruppe der Hochschullehrer ein maßgebender Einfluss verbleiben, also die Hälfte der Stimmen. Bei Entscheidungen, die unmittelbar Fragen der Forschung oder die Berufung neuer Professoren betreffen, muss der Gruppe der Hochschullehrer ein weitergehender, ausschlaggebender Einfluss vorbehalten bleiben. In Fragen der Forschung und Lehre dürfen die nichtwissenschaftlichen Bediensteten nicht von vornherein mitentscheiden.

Das klingt zwar klar, aber Juristen sind Auslegungskünstler und konnten jederzeit Wege finden, diese Grundsätze auszuhöhlen. Was ist in der Lehre unmittelbar und was ist mittelbar? Sind Finanzentscheidungen, mit denen überhaupt nur Forschung gestaltet werden kann, unmittelbare oder mittelbare Fragen? Wären diese Ungewissheiten nicht durch das Hochschulrahmengesetz geklärt worden, hätten Geschäftsordnungsdebatten ohne Ende und jahrelanger Anfechtungsstreit vor den Gerichten die Unis gelähmt.

Die Regeln hielten bis 1999. Erst mit der Deregulierung des Hochschulrahmengesetzes von 1999 wurden die blumigen Formulierungen aus dem Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts ins HRG übernommen. Berlin sollte die Folgen zu spüren bekommen. Seitdem versuchte die PDS den neuen Spielraum zu nutzen und entwarf eine Strategie zu einer neuen politisierten Universität. Der Weg sollte über die Viertelparität gehen. Nur der Widerstand Klaus Wowereits konnte das verhindern.

Das Hochschulrahmengesetz war lange Zeit unentbehrlich. Mit seiner Hilfe stießen Politiker das Tor zu einer bundesweiten Studienreform auf: Seit 1999 wurde die Öffnung zu Bachelor- und Masterstudiengängen auf den Weg gebracht.

Natürlich haben die Politiker das Hochschulrahmengesetz auch benutzt, um politische Duftmarken zu setzen. Die sozialdemokratische Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn versuchte, den langwierigen Weg der Nachwuchswissenschaftler zur Professur in Deutschland nach angelsächsischem Vorbild zu verkürzen: Juniorprofessoren sollten ohne Habilitation Karriere machen. Jedoch scheiterte das Verbot der Habilitation vor dem Bundesverfassungsgericht, ebenso wie das Verbot von Studiengebühren für grundständige Studiengänge. Und dass alle Bundesländer wieder verfasste Studentenschaften bekommen sollten mit Rechten, die den Missbrauch bis zum allgemeinpolitischen Mandat eröffneten, scheiterte ebenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht.

Dieser Kompetenzstreit führte direkt zur Föderalismusreform. Diese Reform von 2006 ist im Bildungsteil durchaus als Antwort auf die kompromisslosen Gestaltungsziele von Edelgard Bulmahn zu interpretieren. Das Hochschulrahmengesetz wurde in Zeiten verstärkten Länderehrgeizes zum Ballast erklärt. Doch gäbe es weiterhin das HRG, so könnte vor dem großen Studentenandrang von 2010 bis 2020 geklärt werden, wie in den Massenuniversitäten von heute eine bessere Betreuung in der Lehre zu erreichen ist: durch Lecturer oder Lehrprofessoren?

Der Numerus clausus hat seit den 1970er Jahren eine so bedeutende Rolle gespielt, dass das Hochschulrahmengesetz Zulassungsfragen bis ins Detail vorgab. Auch hier spielte das Bundesverfassungsgericht eine Rolle. Es verlangte die erschöpfende Nutzung der vorhandenen Kapazitäten nach bundesweit einheitlichen Kriterien. Daraus entstanden die Curricularnormwerte, die den Betreuungsaufwand für jedes Fach festlegen. Das Hochschulrahmengesetz regelte die Auswahl der Bewerber nach Abiturnote und Wartezeit und ermöglichte schließlich auch Tests und Auswahlgespräche.

Nach der Föderalismusreform verbleiben dem Bund Restkompetenzen für die Zulassung und Abschlüsse. Das sind Schlüsselfragen für die Bachelor- und Masterreform. Wird der Bund mit den Ländern eine Neufassung der Curricularnormwerte vereinbaren, um so einen höheren Betreuungsaufwand für die Bachelorstudiengänge durchzusetzen? Der Wissenschaftsrat und die Hochschulrektoren fordern diese bessere Betreuung. Aber das wird Geld kosten. Wie wird Annette Schavan nach dem Ende des HRG hier vorgehen?

Ob 16 Länder ohne ein Hochschulrahmengesetz jene Fragen rechtzeitig klären können, die bundesweit geklärt werden müssen – diese Frage ist noch völlig offen. Vielleicht muss Schavan ihren Optimismus in wenigen Jahren korrigieren.

Uwe Schlicht

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