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Gesundheit: Allein auf der Welt

Bei Autismus verändern sich Signalketten im Hirn. Ein Gentest könnte frühere Therapie ermöglichen

Woher Autismus eigentlich kommt, ist immer noch rätselhaft. Doch gibt es neue Erkenntnisse, die auf bessere Erkennung und Behandlung des sozial isolierenden Leidens hoffen lassen. Nachdem im Lauf der letzten Jahrzehnte einzelne Hirnregionen mit Autismus in Verbindung gebracht werden konnten, ist nun auch der Blick auf krankheitstypische Veränderungen in den übergeordneten Nervenschaltkreisen möglich.

Um zu erfahren, welche dieser Veränderungen durch die Erbanlagen beeinflusst werden, haben Forscher um Eric Peterson von der Colorado Staats-Universität 40 Eltern autistischer Kinder mit einer gleich großen Anzahl Erwachsener verglichen, in deren Familien die Krankheit nicht vorkam. Wie Peterson kürzlich bei der Tagung der US-Gesellschaft für Neurowissenschaften berichtete, fanden sich bestimmte Hirnregionen, die bei den Eltern der Autisten gegenüber der Kontrollgruppe verändert waren. Dazu zählen Teile des Kleinhirns und die Basalganglien, eine Gruppe knotenförmiger Ansammlungen von Nervenzellen. Im Stirnhirn, das an der Deutung der Absichten anderer Menschen beteiligt ist, waren einzelne Regionen bei den Eltern der Autisten kleiner als in der Kontrollgruppe.

Auch Brendon Nacewicz (Universität North Carolina in Chapel Hill) fand auffällige Hirnstrukturen bei den Verwandten von Autisten. Neun Brüder von Betroffenen hatten ein im Durchschnitt knapp zehn Prozent reduziertes Volumen im Mandelkern (Amygdala). Dieser Teil des Gehirns vermittelt das Angstgefühl und ist bei Autisten in der Regel kleiner als in der Durchschnittsbevölkerung.

Forscher um James Sutcliffe (Vanderbilt Universität in Nashville) fanden heraus, dass bestimmte seltene Veränderungen (Mutationen) im Serotonin-Transporter-Gen (SERT) mit erhöhtem Risiko für Autismus einhergehen. Dieses Gen beeinflusst die Menge des Botenstoffes Serotonin, der an der Regulierung zahlreicher biologischer Prozesse beteiligt ist – vom Schlaf über die verschiedensten Emotionen bis hin zur Verdauung. Dies könnte erklären, warum etwa ein Viertel aller Autisten erhöhte Serotonin-Werte im Blut hat und warum antidepressive Arzneien, die den Serotonin-Stoffwechsel beeinflussen, auch die Symptome mancher Patienten lindern können.

Sutcliffe hofft nun, dass seine Studie zu einem Gentest führen wird, der ein früheres Eingreifen ermöglichen könnte. Untersuchungen belegen nämlich, dass das Einüben bestimmter Fähigkeiten und Verhaltensweisen vor dem dritten Lebensjahr den Verlauf der Erkrankung mildern kann. Der Neurowissenschaftler stieß noch auf eine weitere heiße Spur: Mutationen im SERT-Gen beeinträchtigen die Funktion zweier Signalketten in den Nervenzellen – und mehrere Wirkstoffe, die gegen Krebs und Entzündungen erprobt werden, zielen auf diese Signalketten.

Diese Entdeckung könnte die Entwicklung einer Therapie gegen Autismus beschleunigen. Die Pharmaforscher könnten die zeitraubende, teure Suche nach neuen Arzneimittelkandidaten überspringen und bereits vorhandene Substanzen nach Sicherheitstests an Versuchstieren schneller am Menschen erproben.

Michael Simm

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