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Gesundheit: Bauern, Bildung, Bluthochdruck Wolfgang Thierse talkt mit Detlev Ganten

Das Gespräch, das die zwei freundlichen Herren auf ihren roten Samtsesseln im Soda-Salon der Kulturbrauerei mitten in Prenzlauer Berg führen, wirkt zunächst wie ein Kommentar zum Pisa- und Hauptschul-Schock. „Es kommt nur darauf an, was man lernen will“, sagt Detlev Ganten.

Das Gespräch, das die zwei freundlichen Herren auf ihren roten Samtsesseln im Soda-Salon der Kulturbrauerei mitten in Prenzlauer Berg führen, wirkt zunächst wie ein Kommentar zum Pisa- und Hauptschul-Schock. „Es kommt nur darauf an, was man lernen will“, sagt Detlev Ganten. Der Chef der Charité ist Gast der Talkshow „Thierse trifft …“. Und er spricht über die Lebensphase, in der er selbst nicht mehr lernen wollte: Mit 14 Jahren sei er „abgehauen aus einem typischen deutschen konservativen Juristen-Elternhaus“ – und zwar „hin zu den Bauern, wo man arbeiten kann“.

Möglicherweise sollte man mehr Pubertierende dazu ermutigen, die Ausbildung zeitweilig zu unterbrechen. Ganten jedenfalls ging mit 16 an die Schule zurück, nachdem er seine Landwirtschaftsprüfung mit Auszeichnung bestanden hatte. Entgegen der Familientradition entschied er sich dann für die Medizin. Und kann heute noch nicht verstehen, warum „Bildung“ immer noch eher mit Literatur, Philosophie und Hausmusik assoziiert wird als mit naturwissenschaftlichen Kenntnissen. In seinem populären Buch „Leben. Natur. Wissenschaft“ schrieb er dagegen an. Thierse, der studierte Germanist, der zunächst Schriftsetzer gelernt hatte, widersprach nicht.

Nicht ganz so überzeugt wirkte er jedoch, als Ganten seine Vision vom Patienten als „Subjekt der Medizin“ darlegte. Jeder habe ein Bedürfnis, über den eigenen Körper Bescheid zu wissen, meint der Mediziner. „Die Beobachtung der eigenen Natur ist doch der Ursprung der Wissenschaft!“ Thierse bekannte, dass er manchmal auch gern einfach auf den Sachverstand der Ärzte vertraue. Vom Mediziner Ganten ließ er sich (und dem Publikum) aber gern dessen Forschungsschwerpunkt erklären: Herz und Kreislauf als ein „Modell der komplexen Regulation im menschlichen Körper“, etwa der des Blutdrucks durch Hormone. Dabei geht es um genetische Unterschiede zwischen den Menschen, also etwas „sehr Persönliches“, zugleich aber auch um Auswirkungen des Lebensstils. „Kreislaufforschung ist die beste Vorbeugeforschung überhaupt“, sagt der Pharmakologe Ganten. Er erläuterte, dass man mit Medikamenten bei zu hohem Blutdruck oft erst einmal warten kann, denn vielleicht hilft eine Änderung der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten. „So wenig Medizin wie möglich“ sei die Devise.

Mit der Charité, an der 15 000 Menschen beschäftigt sind, hat Ganten, der nach der Wende zunächst an der Evaluierung der DDR-Institute beteiligt war und dann das Max-Delbrück-Centrum leitete, sich jedoch einen gehörigen Packen Medizin aufgeladen. „Hat Sie der Teufel geritten, als Sie 2004 das Angebot des Regierenden Bürgermeisters annahmen?“, fragte ihn der Vizepräsident des Bundestages. Er bereue es nicht, da „hineingeschlittert“ zu sein, habe die Aufgabe aber zunächst unterschätzt, gab Ganten zu.

Für den Thierse-Talk angekündigt war ein Streit über Forschung mit embryonalen Stammzellen und das therapeutische Klonen. „Man muss über diese Fragen miteinander streiten“, betonte zwar Thierse, der dieser Forschungsrichtung im Unterschied zu Ganten skeptisch gegenübersteht, beließ es dann aber bei einem Plädoyer. Es sei gut, dass in Zukunft auf nationaler Ebene zwei Diskussionsforen zur Verfügung stehen werden: ein leicht veränderter Nationaler Ethikrat (dem Ganten angehört) und zugleich eine neue Kommission des Deutschen Bundestages – in Thierses Wirkungskreis.

Adelheid Müller-Lissner

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