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Gesundheit: Bewerber im Härtetest

Wenn nicht nur die Note zählt: Worauf sich Abiturienten beim Kampf um Studienplätze einstellen müssen

Wie bekomme ich mein Wunschfach an meiner Wunschuni? Darauf gab es bisher eine einfache Antwort: Je besser die Abiturnote, desto größer die Chance, einen Platz in einem der vielen Numerus-Clausus-Fächer zu ergattern. Mit dieser einfachen Regel – die Schüler mit guten Noten jubeln und schwächere verzweifeln ließ – könnte bald Schluss sein. Seit einem Jahr können die Berliner Hochschulen ihre Studenten nach mehr als nur der Abiturnote auswählen: Sie können die Bewerber Tests schreiben lassen, sie zu Gesprächen einladen oder ihnen für Berufserfahrung Pluspunkte geben – und die Ergebnisse mit der Abiturnote verrechnen. Ab Sommer 2007 müssen sie in einigen Fächern sogar so vorgehen, wie auch Unis in anderen Bundesländern (siehe Kasten).

Schüler, die sich früh auf die zusätzlichen Anforderungen vorbereiten wollen, haben aber ein Problem: Die Hochschulen, die sich die größeren Auswahlmöglichkeiten seit langem gewünscht haben, wissen momentan gar nicht, welche sie anwenden sollen. Die Aussagekraft von Tests und Gesprächen, die Kosten und der Zeitaufwand sind einige der Faktoren, die die Unis gegeneinander abwägen. Wir stellen die Auswahlverfahren vor, die die Berliner Unis anwenden dürfen, sagen, welche Vor- und Nachteile sie haben – und geben eine Prognose, auf welche Verfahren sich Studienbewerber tatsächlich einstellen müssen.

AUSWAHLGESPRÄCH

Bei vielen Professoren gilt ein Gespräch als die ideale Lösung, um herauszufinden, welche Bewerber die geeignetsten Studenten sein werden. „Ganz heiß“ seien Dozenten aller Fächer darauf, endlich Auswahlgespräche durchzuführen, sagt Joachim Baeckmann, der Leiter der Studierendenverwaltung der Humboldt-Universität. Sie berufen sich auf die großen amerikanischen Unis, die ihre Bewerber zum Vorsprechen bitten – oder die Berliner Charité, wo die Professoren schon jetzt einen Teil ihrer angehenden Mediziner nach ihrer Eignung zum Arzt befragen.

Experten sind weniger begeistert. Viele Professoren könnten einfach zu heiß aufs Gespräch sein: Hinter den Kulissen ist zu hören, dass sie „geradezu absurde“ Vorstellungen hätten, was sie im Gespräch alles prüfen könnten. Die Unileitungen sähen bereits eine Welle von Prozessen auf sich zurollen. Vor Gericht unanfechtbar ist das Ergebnis eines Gesprächs aber nur, wenn die Professoren allein nach der Motivation für das Studium und den Beruf fragen und einem vorher in den Unistatuten festgelegten Leitfaden folgen. Psychologen sagen zudem, von Chancengleichheit könne bei den Gesprächen keine Rede sein, da die Professoren sich von der Herkunft oder dem Auftreten der Bewerber beeinflussen lassen. Womöglich lässt der Eifer der Professoren sowieso nach, wenn es um die Organisation der Gespräche geht. Sie müssen aufgrund der Bewerbungsfristen in den Semesterferien stattfinden. Dann aber seien viele Professoren auf Forschungskongressen, heißt es immer wieder aus den Unis: Hunderte oder gar tausende Studienbewerber zu interviewen sei deswegen schlicht unmöglich.

Prognose: Vermutlich wird es wegen der Organisationsschwierigkeiten und der mangelnden Gerichtsfestigkeit nur in wenigen Fächern Auswahlgespräche geben.

STUDIENEINGANGSTESTS

Stundenlange Tests, die zusätzlich zum Abitur geschrieben werden müssen, sind prinzipiell nichts Neues in Deutschland. Früher mussten sich alle Medizin-Bewerber durch den Medizinertest quälen. In Baden-Württemberg wird der Test demnächst wieder eingeführt; auch die Psychologen planen ab dem Winter einen bundesweiten fünfstündigen Test.

Nach Expertenmeinungen können die Ergebnisse eines solchen Tests sehr viel besser als ein Auswahlgespräch vorhersagen, ob ein Bewerber im Studium reüssieren wird. „Wenn Tests mit der Abiturnote verrechnet werden, liefern sie sogar die besten Prognosen“, sagt Ernst Fay von der ITB Consulting, dem früheren Institut für Test- und Begabungsforschung der Studienstiftung des deutschen Volkes. Ob andere Fächer nachziehen, scheint dennoch fraglich. Jedes Fach muss seine eigene Aufnahmeprüfung entwickeln, da das Hochschulrahmengesetz allgemeine Studierfähigkeitstests verbietet. Ägyptologen müssten also abfragen, ob sich Jugendliche für die Ägyptologie eignen, Physiker müssten einen Physikertest stellen. Und das ist teuer. 750 000 Euro veranschlagen die Psychologen pro Jahr, um ihren Test ständig weiterzuentwickeln und zu organisieren. Sie wollen die Kosten einspielen, indem sie jeden der mehr als zehntausend Bewerber 50 Euro zahlen lassen. Für kleine Fächer mit weniger Bewerbern und damit auch wenigen potenziellen Zahlern sei die Entwicklung eines solchen Testes praktisch unerschwinglich, sagt Fay.

Prognose: Studieneingangstests werden wohl hauptsächlich auf die Bewerber in Massenfächern zukommen.

STUDIENRELEVANTE BERUFSAUSBILDUNG

Wer eine Ausbildung absolviert hat, verbessert seine Abiturnote um einige Zehntel: So könnte die Regel aussehen, wenn Unis das Kriterium „Studienrelevante Berufsausbildung“ heranziehen. Belohnt werden sollen Bewerber, die sich für ihr Wunschfach zusätzlich qualifiziert haben: So bekommen Krankenpfleger einen Pluspunkt, wenn sie sich für Medizin bewerben. Für viele Fächer gebe es aber gar keine passenden vorangehenden Berufe, wendet Ernst Jay ein: „Mir fällt keine Ausbildung ein, mit der sich ein Bewerber ernsthaft auf ein Philosophie-Studium vorbereiten könnte.“ Auch Unternehmensverbände warnen davor, Studienbewerber mit einer Lehre zu bevorzugen. Sie befürchten, dass Abiturienten dann eine Ausbildung absolvieren, allein um die Chance auf den Studienplatz zu steigern. „In Zeiten knapper Ausbildungsplätze ist das nicht wünschenswert“, sagt Sven Weickert von den Unternehmerverbänden in Berlin und Brandenburg.

Dennoch verwenden die Unis in Baden-Württemberg, die seit einigen Jahren ihre Studenten nach mehr als der Note auswählen müssen, die Berufsausbildung oft als einziges zusätzliches Kriterium. „Es ist bequem für die Unis“, sagt Joachim Baeckmann von der Humboldt-Uni. Denn sie würden oft pauschal jede Ausbildung mit Pluspunkten belohnen.

Prognose: Aus diesem Grund könnte Berufserfahrung als Auswahlkriterium zum Renner in den Fächern werden, in denen die Unis gezwungen sind, mehr als den Abiturschnitt zu berücksichtigen.

GEWICHTETE ABITURNOTE

Physikanfänger, die Naturwissenschaften nach der 10. Klasse abgewählt haben, Anglisten, die in den Sprachen durchschnittliche Abiturnoten haben: In diesen Fällen ist das Scheitern im Studium fast programmiert. Jetzt können Unis den Bewerbern Pluspunkte geben, die in den für ihr Studium wichtigen Schulfächern gut abgeschnitten oder sie überhaupt belegt haben. Beispiel Charité, die neben dem Gespräch auch dieses Verfahren berücksichtigt: Dort können Bewerber ihren Abischnitt mit jedem Naturwissenschaftskurs verbessern, den sie in der Oberstufe belegt haben, unabhängig von der Note. Die Mediziner wollen einen Trend stoppen, den sie seit Jahren beobachten: Ihre Bewerber hätten Physik und Chemie abgewählt, weil sie dort schlechte Noten und damit das Scheitern am hohen Medizin-NC fürchteten, heißt es – kontraproduktiv in einem Studium, in dem viel naturwissenschaftliches Grundlagenwissen gepaukt wird.

Genauso wenig wie die Abiturdurchschnittsnote sind aber auch die Einzelfachnoten wirklich objektiv, wenden Kritiker ein. An der Charité funktioniert die Neu-Gewichtung des Abiturs zudem nur, weil die ZVS die zeitaufwändige Arbeit übernimmt, den Notenschnitt mit den Pluspunkten für die Einzelfächer zu verrechnen. Fächer, die nicht über die ZVS vergeben werden, könnten Schwierigkeiten bekommen, wenn sie bei hunderten Bewerbern jedes Abiturzeugnis einzeln auswerten müssen.

Prognose: Da die organisatorischen Schwierigkeiten im Vergleich zu Auswahlgesprächen und Eignungstest immer noch geringer sind, könnten viele Unifachbereiche bestimmte Schulfächer bald schon extra werten. Schüler sollten künftig also ihre Kurse in der Oberstufe vorausschauend wählen.

ABITURNOTE

Ganz verzichten dürfen die Unis auf die Abiturdurchschnittsnote auch weiterhin nicht. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, sie zu einem „maßgeblichen Teil“ zu berücksichtigen. Tatsächlich sagt die Abiturnote laut allen Studien immer noch am besten voraus, wie erfolgreich ein Student an der Uni abschneidet: Die Wahrscheinlichkeit, dass sehr gute Abiturienten auch im Studium zu Überfliegern werden, ist demnach groß, während andersherum schlechte Abiturienten auch an der Uni Probleme haben werden.

In Zeiten knapper Studienplätze und eines daraus resultierenden hohen Numerus Clausus geht es allerdings in vielen Fächern nicht mehr um Unterschiede zwischen Einser- und Dreier-Abiturienten. Vielmehr kann bei einem NC von 1,7 schon ein Abiturschnitt von 1,8 das Aus für einen Studienbewerber bedeuten. „Die Notengebung ist in den einzelnen Bundesländern aber unterschiedlich. Es werden also die Abiturienten aus den Ländern bevorzugt, in denen der Notenschnitt am niedrigsten liegt“, sagt Ernst Fay. Das Resultat: Ein bayerischer Abiturient mit einer 1,8 leiste womöglich mehr als ein Bremer mit einer 1,7, dennoch dürfe der Bremer studieren.

Dennoch würden viele Unis womöglich selbst dann nicht auf die Abiturnote als Auswahlkriterium verzichten, wenn sie es dürften. Denn bei dem Spardruck, unter dem die Unis ächzen, und den weiter wachsenden Bewerberzahlen, die organisatorisch kaum zu bewältigen sind, spricht für die Auswahl nach Note ein entscheidendes Argument: Kein Verfahren ist billiger und unaufwändiger.

Prognose: Deswegen könnte in den NC-Fächern, in denen die Hochschulen nicht zu Auswahlverfahren verpflichtet sind, die Abiturnote wie gehabt das einzige Auswahlkriterium bleiben.

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