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Gesundheit: Bilder vom Mittelpunkt des Darms

Kapsel mit Mini-Kamera für Stellen, die das Endoskop nicht erreicht

Adelheid Müller-Lissner

Schon zwei Mal war der Verdauungstrakt der jungen Frau mit biegsamen Rohren untersucht worden. Doch weder die Magen- noch die Darmspiegelung hatten Aufschluss über die Ursache der Blutungen gebracht, an denen sie seit einiger Zeit litt. Und so wie ihr geht es vielen Kranken. Zwar sind die Endoskope, die für eine Magenspiegelung durch Mund und Speiseröhre in den Magen oder für eine Darmspiegelung durch den After in den Dickdarm geführt werden, im Lauf der vergangenen Jahrzehnte immer patientenfreundlicher geworden. Längst kann der Arzt die Reise durch Magen und Darm auf dem Monitor verfolgen.

Doch den Magen-Darm-Spezialisten macht der Abschnitt in der Mitte des Verdauungstrakts Sorgen, der weder von oben noch von unten gut erreicht werden kann. Nur die obersten und untersten zehn bis 20 Zentimeter des meterlangen Dünndarms kann ein Endoskop, das vom Magen oder vom Dickdarm kommt, mit erfassen. Dabei können Blutungsquellen oder entzündete Stellen durchaus auch im Niemandsland dazwischen liegen. Auch mit Ultraschall-Untersuchungen und mit Röntgenaufnahmen, für die durch eine Sonde Kontrastmittel in den Dünndarm eingebracht wird, sind sie nicht sicher aufzuspüren.

Eine unscheinbare Kapsel, die nur 26 Millimeter lang und elf Millimeter breit ist, könnte nun in manchen dieser Fälle helfen, die diagnostische Lücke zu schließen. Die Kapsel, die in Israel und den USA entwickelt wurde und inzwischen auch in Deutschland zugelassen ist, enthält eine Kamera, Batterien, Leuchtdioden und einen Sender. Sie wird wie ein Medikament geschluckt, um anschließend ihre Reise durch den Verdauungstrakt anzutreten. Als Transportmittel der verpackten Mini-Kamera dienen dann die Bewegungen von Magen und Darm. Über ihre Reise durch den Verdauungstrakt führt sie mit zwei Aufnahmen in der Sekunde acht Stunden lang penibel Buch. Ein kleines Gerät, das der Patient am Gürtel trägt, nimmt die gesendeten Reisebilder in Empfang.

Wo die Kapsel im Gedärm gerade angekommen ist, erkennen Metalldetektoren, die dem Patienten an die Bauchhaut geklebt wurden. Später wird das Empfangsgerät an einen Computer angeschlossen. Wenn die Daten dort eingelesen sind, kann sich der Magen-Darm-Spezialist an die Auswertung der insgesamt rund 80 000 Bilder machen, die er sich im Zeitraffer anschaut.

In Berlin läuft derzeit an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie der Charité auf dem Campus Mitte die erste Studie, bei der die bildgebende Kapsel eingesetzt wird, um den Morbus Crohn genauer zu studieren. Diese chronisch-entzündliche Darmerkrankung befällt bei vielen Patienten nur den Dünndarm und ist deshalb bisher vor allem im Frühstadium schwer zu diagnostizieren. Die Patienten leiden unter Bauchschmerzen, Blutungen und Geschwüren der Schleimhaut. Oft müssen ihnen später Abschnitte des Dünndarms chirurgisch entfernt werden.

15 Crohn-Patienten haben bisher im Rahmen der wissenschaftlichen Untersuchung die Kapsel geschluckt. Bei der Hälfte von ihnen wurden auf dem Film Verletzungen der Schleimhaut sichtbar, die auf der Vergleichs-Aufnahme der Radiologen nicht erkennbar waren. Der an der Studie beteiligte Magen-Darm-Spezialist Winfried Voderholzer zeigte sich jetzt bei einer Veranstaltung der Berlin-Brandenburgischen Gesellschaft für Gastroenterologie überzeugt: „Die neue Methode wird in der Diagnostik des Dünndarms vorrangige Bedeutung erlangen.“

Bei einer wissenschaftlichen Tagung, die im März in Rom stattfand, gab es schon mehr als 50 internationale Berichte über ihren Einsatz bei Verdacht auf Polypen, Blutungen, Geschwüre oder Tumoren. Zur Beliebtheit der Kapsel trägt sicher bei, dass die Untersuchung die Patienten wenig belastet. Zwar muss der Darm wie vor einer Koloskopie gereinigt werden, doch das Schlucken des winzigen Untersuchungsgeräts gelingt meist problemlos. Die Patienten, die dafür morgens nüchtern in die Klinik kommen, dürfen vier Stunden später wieder etwas essen und nach Hause gehen.

Die Mini-Einwegkamera, die mit 500 Euro nicht ganz billig ist, ist aber keineswegs ein All-Round-Detektiv. Dass sie ihren Weg ohne Steuerung von außen findet, ist zwar angenehm, beschränkt ihren Nutzen aber auf den engen Dünndarm: Im sackförmigen Magen oder im ebenfalls wesentlich weiteren Dickdarm entstehen dagegen nur Momentaufnahmen von den Arealen, an denen sie zufällig gerade vorbeikommt.

Zudem kann die Kapsel nicht wie ein klassisches Endoskop auch gleichzeitig zur Behandlung von Blutungen und Schleimhaut-Veränderungen eingesetzt werden. Und sie eignet sich nicht für alle Patienten: „Wenn der Dünndarm starke Verengungen aufweist, sollte sie nicht zum Einsatz kommen“, warnt Voderholzer. Immerhin zwei der Charité-Patienten hatten Schmerzen, während die Kapsel bestimmte Darmabschnitte passierte.

Von der jetzt laufenden Crohn-Studie erhoffen sich die Magen-Darm-Spezialisten der Charité aber neue Erkenntnisse darüber, was sich im Dünndarm bei der entzündlichen Erkrankung tatsächlich abspielt. Die Mini-Kamera könnte sich zudem auch nützlich machen, wenn es darum geht, den Erfolg der Therapie zu beurteilen. „Die Feinstruktur der Schleimhaut kann auf diesen Bildern gut beurteilt werden", versichert Voderholzer.

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