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Gesundheit: Blut in den Genen

Manche Menschen sind von Natur aus gedopt: Sie produzieren zu viel Blutfarbstoff

Jetzt läuft sie wieder. Die deutsche Ski-Langläuferin Evi Sachenbacher war zu Beginn der Olympischen Winterspiele in Turin gesperrt worden, weil ihr Gehalt an rotem Blutfarbstoff (Hämoglobin) jenseits des erlaubten Grenzwertes von 16 Gramm auf 0,1 Liter Blut („Deziliter“) lag. Die „Schutzsperre“ hob man fünf Tage später auf, nachdem Evi Sachenbacher nach eigenem Bekunden fünf Liter Wasser getrunken hatte, um ihr Blut zu verdünnen.

In der heftig aufgeflammten Doping-Diskussion wies Ernst Jakob, Chefarzt des Deutschen Skiverbands, darauf hin, dass der erhöhte Hämoglobinwert Sachenbachers „genetisch bedingt“ sei.

„Genetische, also angeborene Störungen, die zu einer erhöhten Zahl von roten Blutkörperchen führen, sind extrem selten“, sagt Wolf-Dieter Ludwig, Spezialist für Blutkrankheiten an der Berliner Uniklinik Charité. Eine dieser sehr raren Störungen ist die Tschuwaschen-Polyzythämie, benannt nach einem kleinen Volk, das in Tschuwaschien lebt, einer Teilrepublik der Russischen Föderation. Unter den Tschuwaschen ist die Störung vergleichsweise häufig, auch auf Ischia in Italien wurde eine Gruppe von immerhin zwölf Menschen gefunden, die Träger der entsprechenden Erbanlage waren.

Menschen mit angeborener Polyzythämie produzieren mehr rote Blutkörperchen und mehr roten Blutfarbstoff (Hämoglobin). Deshalb ist ihr Hämatokrit (Anteil der roten Blutkörperchen am Gesamtblut) und ihr Hämoglobin erhöht, in vielen Fällen auch die Konzentration des blutbildenden Hormons Erythropoietin (Epo), nach dem die Dopingfahnder im Urin von Leistungssportlern suchen. Wer aber von Natur aus mehr Epo bildet, bei dem würde falscher Alarm ausgelöst.

Auf der Suche nach der Ursache der angeborenen Blutfülle unter den Tschuwaschen sind Wissenschaftler vor kurzem fündig geworden. Der Grund ist eine Veränderung im Von-Hippel-Lindau- (VHL)Gen. Diese Erbanlage enthält den Bauplan für ein Eiweiß, das mit der Sauerstoff-Messung im Organismus zu tun hat.

Sinkt der Sauerstoffgehalt im Gewebe, wird ein Eiweiß mit Namen Hif aktiv. Es ist ein Hauptschalter der Zelle. Wird er umgelegt, dann wird die Produktion von Epo angekurbelt. Das Knochenmark bildet mehr rote Blutkörperchen, Gefäße wachsen und die alternative Energiegewinung ohne Sauerstoff wird stimuliert.

Es ist also eine ganze Kaskade von Reaktionen, mit der der Körper auf einen drohenden Sauerstoffmangel reagiert. Aber er hat auch Bremsen eingebaut. Eine davon ist das VHL-Eiweiß. Es blockiert Hif, den Hauptschalter für die Sauerstoffversorgung. Sind jedoch beide VHL-Genkopien (von Mutter und Vater) krankhaft verändert, dann läuft die Produktion von Epo und von roten Blutkörperchen ungebremst auf Hochtouren. Mit negativen Folgen bis hin zum frühen Tod, von dem ein Mensch mit Tschuwaschen-Polyzythämie bedroht ist. Denn das Blut dieser Menschen ist dickflüssig-zäh und neigt zu Verklumpungen.

„Es wäre sehr gewagt, eine solche angeborene Störung als Erklärung für einen erhöhten Hämoglobin-Wert bei einem Leistungssportler heranzuziehen“, sagt der Mediziner Ludwig. Auch der Internationale Skiverband Fis hatte eine Ausnahmegenehmigung für Evi Sachenbacher abgelehnt, weil seiner Ansicht nach keine Anhaltspunkte für eine genetische Ursache des erhöhten Hämoglobin-Wertes bestanden.

Während Epo in der Öffentlichkeit als Dopingmittel diskutiert wird, findet dieser Aspekt in der Wissenschaft kaum Aufmerksamkeit. Ärzte interessiert viel mehr, welche Rolle Eiweißstoffe wie Epo und Hif bei der Bekämpfung des Sauerstoffmangels spielen. Denn es gibt Krankheiten, bei denen Leib und Leben durch akuten Sauerstoffmangel bedroht sind, etwa Herzinfarkt und Schlaganfall.

Manche Forscher spekulieren, bei Herz- und Hirnleiden Epo oder verwandte Substanzen einzusetzen. „Ich bin skeptisch, so lange keine handfesten Beweise für eine Wirksamkeit vorliegen“, sagt Ludwig. Dabei darf seiner Ansicht nach nicht vergessen werden, dass Epo und Co. auch eine höchst unliebsame Klientel mit Sauerstoff versorgt und ihr so zum Überleben verhilft – Krebszellen.

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