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© Kitty Kleist-Heinrich

Brandverletzungen: Körperzellen aus der Spritzpistole

Die Haut ist unser größtes Organ, Brandverletzungen können sie schwer schädigen. Die Hautbank des Unfallkrankenhauses Berlin hilft mit einer europaweit einzigartigen Methode.

Die junge Frau konnte sich gerade noch aus der brennenden Wohnung retten. Doch das Feuer hatte 20 Prozent ihrer Haut zerstört. An den Beinen und Armen: tiefrote Wunden.

„Das sind Verbrennungen zweiten und dritten Grades“, sagt Bernd Hartmann und deutet auf den Monitor. Was er meint: Die Patientin ist schwer verletzt, aber man wird ihr helfen können. Verbrennungen ersten Grades sind eher harmlos, Verbrennungen vierten Grades fatal; dazwischen hat die Hitze mal nur die obersten Hautschichten angegriffen, mal ist sie tief zu den Nervenenden vorgedrungen.

Hartmann, Chefarzt des Zentrums für Schwerbrandverletzte, sitzt im Erdgeschoss des Unfallkrankenhauses (UKB) Marzahn, neben sich den Computer; am andere Ende des Raums stehen ein langer, weißer Tisch und zwei Kühlschränke. Der Blick durch die großen Fenster geht in einen grünen Innenhof. Unscheinbar wirkt hier alles auf den ersten Blick. Dabei beherbergen die wenigen Quadratmeter etwas, auf das das Krankenhaus sehr stolz ist: eine Hautbank. Sie gehört zu den wichtigsten in Deutschland – und arbeitet mit einem neuen Verfahren, das es so kein zweites Mal in Europa gibt.

So wie richtige Banken Geld horten, lagert eine „Hautbank“ große Bestände Menschenhaut, mit der Brandverletzte versorgt werden können. „Zehn- bis fünfzehntausend Quadratzentimeter haben wir für Notfälle parat“, sagt Bernd Hartmann. Mit dieser Menge könnte man einen Menschen von oben bis unten völlig neu mit Haut „einkleiden“. Hartmann steht auf und geht zu den zwei brummenden Gefrierschränken, öffnet den linken und zeigt die Plastikdosen, die dort stehen. In ihnen werden unterschiedlich große, millimeterdünne Hautstücke aufbewahrt: „Sie stammen von toten Spendern, in Alkohol halten sie sich zwei Jahre.“ Hartmann weiß, dass Hauttransplantate für viele eine gruselige Vorstellung sind. Aber sie retten Leben.

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Der Chef: Dr. Bernd Hartmann. -

© Kitty Kleist-Heinrich

Jedes Jahr gibt es in Deutschland rund 2000 besonders schlimme Verbrennungsverletzungen. Oft ist es eine Sekunde der Unachtsamkeit, die das Leben für immer verändert – etwa ein Schuss Spiritus, der Grillfeuer plötzlich in die Höhe schießen lässt. Schon, wenn nur 15 Prozent der Haut verbrannt sind, besteht für Erwachsene Lebensgefahr.

Ein Mensch kann überleben, ohne laufen, sehen oder hören zu können – und wenn die Nieren versagen, übernimmt eine Dialysemaschine die Blutreinigung. Ohne Haut aber geht es nicht. Mit bis zu zwei Quadratmetern und zehn Kilogramm ist sie das größte und schwerste Organ. Schon ein Quadratzentimeter besteht aus Millionen Zellen. Tausende davon sind darauf spezialisiert, die Umwelt zu „erfühlen“. Die Haut kann vor Gefahren warnen und Angreifer zunichte zu machen. Und sie sorgt dafür, dass die Temperatur in unserem Inneren stabil bleibt. Ohne Schutzhülle ist der Körper dagegen der Witterung und einer wahren Flut von Bakterien und Keimen ausgesetzt.

Deshalb ist es lebenswichtig, dass eine Brandwunde abgedeckt wird, nachdem das durch Hitze zerstörte Gewebe entfernt wurde. Zum Beispiel mit Schweinehaut oder Kunstoffmembranen. „Menschliche Spenderhaut eignet sich aber am besten, weil sie Kollagen – ein wichtiges Strukturprotein – abgibt, das die Heilung beschleunigt“, sagt Hartmann. Auch sie kann jedoch nur bis zu drei Wochen auf der Wunde bleiben, dann stößt das Immunsystem den Fremdkörper ab.

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Mit viel Fingerspitzengefühl! -

© Kitty Kleist-Heinrich

Ist der Patient außer Lebensgefahr, weil die Wunde heilt, entsteht ein anderes, kosmetisches Problem, das die Ärzte am UKB nun mit ihrem europaweit einzigartigen Verfahren in den Griff bekommen können. „Eine tiefe Wunde heilt immer von ihren Rändern her. Damit dies schneller geschieht, zieht sie sich zusammen. Das ist praktisch, sieht aber leider nicht schön aus“, sagt Hartmann. Was der Chefarzt und seine Kollegen deshalb entwickelt haben, klingt fast wie Science Fiction: Sie entnehmen dem Patienten Haut an einer unauffälligen Stelle, zerlegen sie in winzigste Teile, vermehren diese in manchen Fällen noch einmal und sprühen sie dann großflächig auf die Brandwunde. Die körpereigenen Zellen werden von der Immunabwehr nicht abgestoßen; die Verletzung heilt in ihrer Mitte wie an ihren Rändern. So sieht die verheilte Wunde am Ende glatter aus – und sie hat die gleiche Farbe und Struktur wie die umliegende Haut. Die Methode gibt es erst seit den neunziger Jahren, seit rund drei Jahren wird sie verstärkt angewandt – und zeigt Erfolge. Nicht nur am UKB, auch in Australien wird daran gearbeitet, sie weiter zu verbessern.

Ein Vormittag Ende 2008. Die junge Frau wird in ihrem Bett in den OP-Saal gefahren. Der Brand liegt Wochen zurück, die Wunden sind ein wenig verheilt. Die Ärzte spritzen ein Betäubungsmittel in den Oberschenkel der Frau und entnehmen dort ein briefmarkengroßes Stück Haut. In der Hautbank geben Labormitarbeiter dieses in eine Enzym lösung, die die Verbindungen zwischen den einzelnen Zellen kappt. Dadurch kann die Epidermis, die oberste Schicht, von den Teilen darunter gelöst werden. Denn nur in der Oberhaut finden sich Keratinozyten, also Zellen, die in der Lage sind, neue Haut zu bilden. Um diese Zellen zu gewinnen, wird die Epidermis nochmals separat in die Enzymlösung getan. Danach lässt man sie sogar in einer Zentrifuge rotieren.

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Das Labor der Hautbank vom UKB. -

© Kitty Kleist-Heinrich

Jetzt könnten die Ärzte neue Haut für die Patientin „züchten“. Dafür gibt es in der Hautbank eine Art weißen Tresor, oben links leuchtet in roter Farbe die Zahl „36,6“. „Das ist ein Brutschrank“, erklärt Hartmann. „Da drin ist es genau so warm wie im Körper.“ Stellt man eine Schale mit Keratinozyten (und einigen anderen Substanzen) in den Schrank, so vermehren sich die Zellen dutzendfach. In ein paar Wochen können die Ärzte auf diese Weise aus einem winzigen Stück Haut Zellen für eine sehr viel größere Wunde gewinnen.

„Für die junge Patientin war das aber gar nicht nötig, weil ihre Verletzungen recht klein sind“, sagt Hartmann. In ihrem Fall gaben die Ärzte einfach die isolierten Keratinozyten mit etwas Kochsalzlösung in eine spezielle Spritzpistole – und sprühten dann die Millionen von Zellen gleichmäßig auf die Wunde. Dort werden diese nun festwachsen und sich vermehren. Wenn alles gut geht, wird später nicht mehr viel an die Verletzungen erinnern.

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