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Beratung. Leif Kniebel (r.) und Matthias Rosenthal mit Silvia Müther. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Gesundheit: Brücke über die Lücke

Jugendliche mit Diabetes fallen oft aus dem Raster ärztlicher Betreuung, wenn sie volljährig werden. In Westend gibt es für sie ein eigenes Programm.

Wahrscheinlich hätte er irgendwann vor dem Kühlschrank gestanden und gemerkt: „Mist, ich habe kein Insulin mehr.“ Und hätte sich beim Unfallarzt ein Rezept geholt. „Den eigentlichen Schritt, mir einen neuen Arzt zu suchen, hätte ich nicht unternommen“, erzählt Leif Kniebel, 18, aus Großbeeren. „Ich hätte das lange hinausgeschoben.“ Vor vier Jahren wurde bei ihm Diabetes Typ I diagnostiziert, seither ist er in Behandlung bei Walter Burger, Leiter des Diabeteszentrums für Kinder und Jugendliche am DRK-Klinikum Westend. Burger wies ihn schon ein halbes Jahr vor seinem 18. Geburtstag darauf hin, dass er zum 19. Lebensjahr in die Erwachsenenmedizin wechseln müsse. „Daran hätte ich sonst überhaupt nicht gedacht“, erzählt Leif Kniebel.

Ihm kam zugute, dass Walter Burger zu einem Team aus Ärzten gehört, die wegen des oft holprigen Übergangs chronisch erkrankter Jugendlicher in die Erwachsenenmedizin ein Transitionsprogramm entwickelt haben, es startete 2009. Zwei Jahre lang werden die Jugendlichen von einer Fallmanagerin begleitet und beraten – bei Diabetes, aber auch Epilepsie, rheumatischen Erkrankungen oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.

Das Problem ist bekannt: „Bei 30 bis 40 Prozent aller chronisch erkrankten Jugendlichen gestaltet sich der Übergang in die Erwachsenenmedizin problematisch“, sagt Silvia Müther. Die Kinder- und Jugendärztin leitet das Transitionsprogramm. Nicht allein die jungen Menschen seien dafür verantwortlich. Zeit für angemessene Aufklärung ist rar in den Praxen. Das Programm sorgt dafür, dass die Transitionsleistungen der behandelnden Ärzte in Absprache mit den Krankenkassen fest vergütet werden.

Auch Matthias Rosenthal ist im Diabeteszentrum in Westend in Behandlung. Der 17-Jährige aus Zehlendorf bekam vor etwa einem Jahr die Diagnose, da war er mitten in der Pubertät. „Ich stelle mir das noch härter vor als bei mir“, sagt Leif Kniebel zu ihm. Die beiden kennen sich, beide werden am Transitionsprogramm teilnehmen. Fallmanagerin Jana Findorff weiß, wie schwer es für Jugendliche sein kann, die Erkrankung in den Alltag einzubauen. „Das Alter um die 18 Jahre herum ist eine Zeit, in der so viel passiert“, sagt sie. Die Jugendlichen können sich jederzeit mit Fragen an sie wenden. Findorff ist nicht nur für Berlin, sondern auch für Nachbarregionen wie Brandenburg bis nach Hamburg zuständig. Noch ist ihre Stelle am Klinikum Westend angesiedelt. Künftig sollen das Transitionsprogramm in die Regelversorgung integriert und bundesweit vier bis sechs solcher Transitionsstellen etabliert werden.

Wie läuft das Programm konkret ab? Die Ärzte der kooperierenden Einrichtungen fragen ihre chronisch erkrankten Patienten sechs oder neun Monate vor dem 18. Geburtstag, ob sie teilnehmen wollen. Falls ja, erhalten die Jugendlichen einen Fragebogen, mit dem sie sich auf das erste Gespräch mit dem Kinder- und Jugendarzt vorbereiten: Wie funktioniert das Gesundheitssystem? Was muss ich bei Auslandsaufenthalten beachten? Muss ich beim Vorstellungsgespräch meine Krankheit erwähnen? Lohnt es sich, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen?

Der Arzt leitet offene Fragen an Jana Findorff weiter, die mit den Jugendlichen in Kontakt steht. Zur Zeit betreut sie 73 Fälle – die sie teilweise auch immer wieder an die Termine erinnern muss. „Manchmal dauert es ein bisschen, bis die Jugendlichen merken, dass ich keine brutale Kontrollinstanz bin, sondern ein Hilfsangebot“, erzählt sie. Dann folgt ein Termin bei einem niedergelassenen Diabetologen. An ihn geht eine sogenannte Epikrise, eine Übersicht über den bisherigen Krankheitsverlauf. „Die sieht oft sehr unterschiedlich aus“, erklärt Silvia Müther. „Manche Ärzte schreiben drei Sätze, andere hingegen liefern ganze Akten ab.“ Deshalb sieht das Transitionsprogramm eine standardisierte Epikrise vor, für die die Kinder- und Jugendärzte von den Krankenkassen eine feste Vergütung bekommen. Nach einer ersten Probesprechstunde klärt Jana Findorff mit den Jugendlichen telefonisch, ob sie sich gut aufgehoben fühlen. Nach einem halben Jahr folgt ein weiteres Transitionsgespräch mit dem neuen Arzt. Schließlich führt die Fallmanagerin nach etwa einem Jahr in der Erwachsenenmedizin ein Abschlussgespräch mit den Jugendlichen.

Leif Kniebel hatte vor einigen Wochen seinen ersten Termin beim Diabetologen – und bereits gemerkt, dass die Uhren in der Erwachsenenmedizin anders ticken. „Beim Jugendarzt hat man auch mal eine Viertelstunde über ganz andere Sachen als die Diabetes gequatscht.“ Diese psychosoziale Betreuung fällt in der Erwachsenenmedizin weg. Doch bei der Disziplin kann er sich keine Ausrutscher leisten, das hat er inzwischen verstanden. Er war bereits in der Intensivstation, weil er die Diabetes mal einige Tage „ausgeblendet“ hat, wie er das nennt. Läuft alles wie geplant, können sich junge Menschen wie er bald bundesweit auf dem Weg in die Erwachsenenmedizin und damit auch in die Eigenverantwortung begleiten lassen.

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