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Gesundheit: Bündnis gegen Dax und Dow

Der Seminarraum 109 wirkt wenig revolutionär. Der saure Schweiß der Jahrzehnte hat Flecken in Böden und Wände gefressen und eine Patina aus Kreidestaub hat sich darüber gelegt.

Der Seminarraum 109 wirkt wenig revolutionär. Der saure Schweiß der Jahrzehnte hat Flecken in Böden und Wände gefressen und eine Patina aus Kreidestaub hat sich darüber gelegt. Doch alle, die sich hier in der vergangenen Woche trafen, wollen die Welt verändern. Dörte Feger, ehemalige "Linksruck"-Aktivistin, sowie Leo und Theophil Wonneberger haben zum Gründungstreffen einer Attac-Hochschulgruppe an der Humboldt-Universität geladen. Die drei sind Studenten, jung, engagiert und bekennende Globalisierungsgegner. Schließlich beträfen sie Privatisierung und Deregulierung ganz direkt: "Was wird dann mit unserem Recht auf frei zugängliche Bildung?" fragt Dörte Feger. Was, wenn nur noch die Karriere zählt? Was, wenn man für Bildung bezahlen muss?

Darum wollen sie Attac in Deutschland etablieren und betonen, was ihrer Meinung nach so gerne von den Politikern verschwiegen wird: Globalisierung sei gerade nicht die viel gepriesene "Wohlstandsmaschine". Im Gegenteil. Ungerechte Handelsbedingungen und Deregulierungen unter dem Deckmantel der Globalisierung trügen dazu bei, die Entwicklungsländer auszubeuten, ließen Menschen verarmen, verelenden, vereinzeln. "Schafft den Kapitalismus ab" schwingt leise mit. Das ist nicht neu.

Doch warum Attac? Hinter dem kämpferisch klingenden Namen "Attac" verbirgt sich ein Netzwerk der Globalisierungskritiker, das, in Frankreich gegründet, mittlerweile weltweit operiert. Es will ein breites gesellschaftliches Bündnis sein im Kampf gegen das "Diktat von Dax und Dow". Die 50 000 Anhänger aus über 30 Nationen, darunter in Deutschland der Politiker Oskar Lafontaine und die Gewerkschaft ver.di protestieren gegen ungerechten Welthandel, Devisenspekulation und Steuerschwindel. Als Hauptfeinde gelten die Welthandels-Organisation WTO, die Weltbank und die Wirtschaftmacht ganz allgemein.

Bis zum Sommer des Jahres 2001 war Attac in Deutschland so gut wie unbekannt. "Genua" war die Zäsur. Seitdem gilt eine neue Zeitrechnung für das Bündnis. Es geht aufwärts, die Mitgliedszahlen in Deutschland haben sich bislang mehr als verdreifacht. Und es werden immer mehr: Über 2000 Mitglieder zählt Attac in Deutschland. Allein 200 davon in Berlin. Seit vergangener Woche sind es noch einige Mitglieder mehr. 60 Leute, die meisten unter 25 Jahren, hatten sich im Seminarraum 109 versammelt. Studenten, größtenteils. Ein buntes Gemisch aus Feministinnen und Umweltschützern, Menschenrechtlern und Marxisten.

Da ist Monika, die vorher bei "Linksruck" war, und für die das Thema Krieg im Moment "sehr, sehr wichtig ist". Auf ihrem Notizbuch prangt ein prägnanter "Fuck Kapitalisme"- Aufkleber. Eine grauhaarige Frau stellt sich als Hochschullehrerin vor. Sie sagt, ihr Sohn sei nach den Protesten in Genua zehn Wochen inhaftiert gewesen, seitdem interessiere sie sich für die Ziele von Attac. Dazu ein Betriebswirtschafts-Student, ein Aktentaschenträger und eine Bankreihe der Öko-Fraktion. Den "bewaffneten Einsatz" gegen Afghanistan nennen sie hier schlicht Krieg.

Globalisierung und Terrorismus

Attac müsse den Spagat zwischen Friedensbewegung und Globalisierungskritik schaffen, meinen die einen. Die anderen sehen Attac nicht als "das richtige Forum für eine Kriegsdiskussion". Mitinitiator Leo Wonneberger meint, man müsse "aus finanzpolitischer Perspektive auf den Krieg schauen". Thomas Fritz, Mitarbeiter bei Blue 21 und Attac-Mitglied: "Wir sind nicht die Friedensbewegung". Sie sind sich jedoch alle darüber im Klaren, dass ihr Kampf gegen die "fünfte Gewalt", das internationale Banken- und Finanzsystem, nach dem 11. September in einem ganz anderen Licht erscheint. "Globalisierung und Terrorismus sind die zwei Seiten einer Medaille", sagt einer. Die Themen von Attac seien daher so aktuell wie nie zuvor.

Jetzt wollen sie erstmal Flyer verteilen. Gegen den Krieg - und gegen die Globalisierung.

Juliane von Mittelstaedt

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