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Gesundheit: Das Ende der Ewigkeit - Atome, Lebewesen, Sterne - alles altert

Vieles es in der Natur erschien uns einst ewig und unveränderlich. Doch weder einzelne Atome noch Fixsterne sind der modernen Forschung zufolge von Dauer.

Vieles es in der Natur erschien uns einst ewig und unveränderlich. Doch weder einzelne Atome noch Fixsterne sind der modernen Forschung zufolge von Dauer. Die Naturwissenschaft habe etwas "Erzählendes" bekommen. Sie schlage "eine mehr und mehr historische Richtung ein", sagte der Chemie-Nobelpreisträger, Ilya Prigogine, kürzlich in einem Interview in der Zeitschrift "Lettre international".

Allerdings trifft man nach wie vor nur selten auf Naturwissenschaftler, die sich in ihren Erklärungsmodellen tatsächlich auf die Vergangenheit berufen. Die meisten ihrer Theorien bauen auf allgemeinen Prinzipien auf, auf unveränderlichen, reversiblen und deterministischen Gesetzen, denen zufolge alles von Beginn an festgelegt war. Kein Platz für historische Zufälligkeiten oder alternative Entwicklungen.

Allein bei Evolutionsbiologen und in gewisser Weise bei den Geologen hat sich eine andere Sichtweise durchgesetzt. Die Biologen haben schon im 19. Jahrhundert erkannt, dass die Tier- und Pflanzenarten nicht seit jeher existierten. Im Laufe der Evolution waren Fische an Land gegangen, hatten sich Reptilien in die Luft erhoben, Dinosaurier, die das Reich der landlebenden Wirbeltiere lange beherrschten, waren plötzlich ausgestorben.

Das Zusammenspiel aus natürlicher Auslese und zufälliger Veränderung gilt heute als einzige Möglichkeit, die Artenvielfalt auf der Erde zu erklären. Jede Art ist demnach "das Endprodukt einer Zufallsreihe, die niemals zu so etwas wie uns geführt haben könnte, wenn sich auch nur ein einziger der abertausend vorangegangenen Schritte ein kleines bisschen anders abgespielt hätte", sagt der Biologe Stephen Jay Gould.

Das Wirken des Zufalls durchdringt seiner Meinung nach jedoch alle Ebenen der Naturgeschichte, von den Besonderheiten einzelner Spezies bis hin zu den großen Umwälzungen der Biosphäre. Der Evolutionstheoretiker Richard Dawkins geht in diesem Punkt noch weiter, wenn er schreibt: "Die Theorie einer Evolution aufgrund ständiger natürlicher Auslese ist die einzige Theorie, die wir kennen, die zumindest im Prinzip die Existenz von organisierter Komplexität vorhersagen kann."

Die "organisierte Komplexität", von der Dawkins schreibt, ist nämlich nicht nur der lebendigen, sondern auch der unbelebten Welt zueigen. Nicht Ödnis und Leere sind die vorherrschenden Charakteristika des Kosmos, sondern ein ständiges Werden und Vergehen hochgradig geordneter Strukturen. Sollte man die Geburt und Entwicklung der Sterne in den Spiralarmen der Galaxien, mehr noch: des ganzen Universums möglicherweise auch erst im Rahmen einer Art darwinistischer Evolution verstehen können?

Lee Smolin von der Pennsylvania State University in den USA hat eine solche Theorie entworfen. Smolin versteht die Kosmologie auch als historische Wissenschaft und betont die Zufallsabhängigkeit ihrer Geschichte. Nicht einmal mehr den Naturgesetzen billigt der Physiker eine ewige Gestalt zu - womit er freilich nicht alleine dasteht.

Auch Walter Thirring vom Institut für Theoretische Physik der Universität Wien zum Beispiel stützt sich auf die These, dass sich die Hierarchie der physikalischen Gesetze erst im Laufe der Geschichte des Universums entwickelt habe. Nicht alle Gesetze hätten bereits von Beginn an als wirkliche Gesetze existiert, sondern zunächst lediglich als Möglichkeiten. Selbst wenn es so etwas wie eine "Weltformel" oder "Urgleichung" gäbe, die alle uns bekannten Theorien einschließt, so wären letztere doch nicht von vorneherein bestimmt gewesen. Sie hätten sich - von der höheren Ebene aus gesehen - rein zufällig ergeben.

Die heute unter Physikern und Kosmologen anerkannte "Standardtheorie der Elementarteilchen" steht dazu jedenfalls nicht im Widerspruch. Moderne Versionen der Standardtheorie gehen davon aus, dass bei anfangs sehr hohen Temperaturen in einem extrem dichten Universum alle Teilchen gleichberechtigt und alle Kräfte gleich stark waren. Diese ursprünglich einheitliche Wechselwirkung der Partikel spaltete sich allerdings schon kurz nach der Entstehung des Universums in vier Komponenten auf: die Gravitationskraft, die Kernkraft, den Elektromagnetismus und die elektroschwache Wechselwirkung. Ein solcher Vorgang, für den es in der Physik noch weitere Beispiele gibt, wird als "spontane Symmetriebrechung" bezeichnet.

Das Wort "spontan" ist dabei Ausdruck für einen unvorhersehbaren Wandel. Niemand kann heute sagen, warum die Aufspaltung gerade so und nicht anders erfolgte, warum jede der Naturkräfte seither die heute überall messbare Stärke und Reichweite besitzt. Und das bereitet Forschern deshalb solches Kopfzerbrechen, weil die Geschichte des Universums einen völlig anderen Verlauf genommen hätten, wäre einer dieser Werte auch nur ein kleines bisschen anders. Und wäre zum Beispiel die Kernkraft nur halb so groß, würden fast alle Atomkerne sofort auseinanderbrechen. Im Universum gäbe es dann keine Biomoleküle und keine Himmelskörper.

Das Umgekehrte ist jedoch der Fall. Obwohl es im Standardmodell ganze zwanzig solcher "freien Parameter" gibt, sind die Ladung und die Masse der Elektronen, Protonen und Neutronen gerade so groß, dass Sterne und Planeten und auch Leben im All entstehen konnten.

Physiker sind davon beeindruckt, wie unvorstellbar genau all diese Parameter justiert sein müssen, damit im Kosmos etwa Sterne entstehen konnten. Der Astrophysiker Stephen Hawking spricht in diesem Zusammenhang gerne vom "anthropischen Prinzip". Eine der beiden Varianten dieses Prinzips besagt kurz gefasst, dass ein Gott die Parameter gerade so gewählt hat, dass sich Lebewesen bilden konnten. Eine Alternative dazu bestünde darin, dass es sehr viele Universen, zumindest jedoch viele verschiedene Bereiche eines Universums gibt, und wir leben eben gerade in einem, in dem die Existenz von Sternen und von Leben möglich ist.

Lee Smolin lassen solche nicht weiter überprüfbaren Erklärungen unbefriedigt. Er versucht, die Naturgesetze aus einem historischen Prozess heraus zu verstehen. Smolin stellt die These auf, unser Universum wäre erst im Verlaufe einer kosmischen Evolution entstanden. Es wäre nicht nur eines von vielen Universen, die ständig neue Welten hervorbringen, sondern ein geradezu typisches: eines, das besonders viele Nachkommen erzeugt.

Baby-Universen? Ein kosmischer Wettlauf um die größte Nachkommenschaft? Smolins Gedanke erscheint zunächst mehr als abwegig. Doch er hat zwar eine spekulative, offenbar aber konsistente Theorie entworfen, die er in seinem Buch "Warum gibt es die Welt?" (C.H. Beck Verlag 1999, 428 Seiten, 58 Mark) in eindrucksvoller Weise und für naturwissenschaftlich ein wenig vorgebildete Leser gut verständlich vorstellt.

Smolin lenkt den Blick des Publikums zunächst auf den Werdegang jener Sterne, die sehr viel schwerer als unsere Sonne sind. Sie stürzen am Ende ihres Lebens, wenn sie all ihren Kernbrennstoff verbraucht haben, unweigerlich in sich zusammen. Die Relativitätstheorie sagt voraus, dass das entstehende Gebilde, ein schwarzes Loch genannt, so dicht ist, dass ihm kein Lichtstrahl mehr entweichen kann.

Da das Innere eines schwarzen Loches auch Smolins Augen für immer verborgen bleibt, kann er über das, was darin geschieht, nur spekulieren. Ähnlich wie etwa der Physiker John Archibald Wheeler geht auch Smolin davon aus, dass ein solcher Kollaps nicht ad infinitum weitergehen kann, sondern dass er irgendwann zum Stillstand kommt. Es käme dann zum Rückprall, einem neuen Urknall: Die Materie dehnte sich explosionsartig aus, und es entstünde ein neues Universum - was wir als Außenstehende allerdings nie zu sehen bekämen.

In unserer und in anderen Galaxien gibt es möglicherweise Millionen von schwarzen Löchern, wie Forscher inzwischen vermuten. Hätte Smolin Recht und entstünde in jedem von ihnen ein neuer Kosmos, dann gäbe es unzählige uns verborgene Welten. Zwischen ihnen könnte es dann auch so etwas wie eine natürliche Auslese geben: Würden sich die physikalischen Bedingungen bei jedem Rückprall zufällig ein kleines bisschen ändern (Mutation), resultierte daraus ein neuer Kosmos mit mehr oder weniger schwarzen Löchern, also mit mehr oder weniger Nachkommen. Schließlich wären solche Universen am weitesten verbreitet, die die meisten schwarzen Löcher hervorbringen, andere wären schnell verpufft.

"Das ist eine Schwindel erregende Möglichkeit", schreibt Smolin. Sie sei allerdings mit Hilfe heutiger astrophysikalischer Kenntnisse überprüfbar und stehe im Widerspruch zu jenen Theorien, in denen die Parameter der Naturgesetze seit ewig festgelegt seien, "unabhängig von der Geschichte oder der Form des Universums".

Wer unter den Forschern das Uhrwerk des Kosmos ticken hört, wendet sich vehement gegen Smolins spekulative Thesen. Aus den Reaktionen auf das Buch lässt sich jedoch ersehen, dass es auch unter den bekannten Wissenschaftlern etliche gibt, die sich heute mit der Idee anfreunden können, dass die Wirklichkeit immer nur "ein Sonderfall des Möglichen" ist.

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