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Gesundheit: Das Monster vom Anhalter Bahnhof

Serie Studentenjobs: Als Erschrecker im Berliner GruselkabinettVON JANA HENSCHELDie Woche über sitzt er brav in der Uni, besucht Vorlesungen und wälzt Bücher in der Bibliothek, um sein Bauingenieurstudium erfolgreich abzuschließen.Nur am Wochenende erkennt ihn kaum jemand wieder - dann wird er zum Tier.

Serie Studentenjobs: Als Erschrecker im Berliner GruselkabinettVON JANA HENSCHELDie Woche über sitzt er brav in der Uni, besucht Vorlesungen und wälzt Bücher in der Bibliothek, um sein Bauingenieurstudium erfolgreich abzuschließen.Nur am Wochenende erkennt ihn kaum jemand wieder - dann wird er zum Tier.Dann brüllt er wie ein Monster und fegt mit schiefgehaltener Schulter und schauderhaften Gummimasken durch die dunklen Gänge eines miefigen Bunkers.Und ist erst zufrieden, wenn dessen Besucher kreischen wie am Spieß. Richard Richter hat alles andere als den typischen Studentenjob.Der 23jährige Berliner arbeitet im Gruselkabinett - als Erschrecker.Immer am Wochenende, pro Tag acht Stunden lang, bringt er sämtliche Besucher des im Mai eröffneten Kabinetts im einstigen Luftschutzbunker am Anhalter Bahnhof zum Zittern.Bei Kindern hat er ein leichtes Spiel.Aber auch Erwachsene - und besonders die weiblichen - schleichen mitunter ziemlich ängstlich durch die Gänge des Gruselkabinetts, wenn Richard Richter darin sein Unwesen treibt. Die knarrende Stahltür am Eingang ist gerade erst lautstark ins Schloß gefallen, da bereut man schon, daß man hier her wollte.Modriger Geruch strömt einem in dem kalten, nebligen Gemäuer entgegen, und die Geräusche von heulenden Wölfen oder flatternden Fledermäusen jagen Schauer über den Rücken. Während sich die Augen noch an das Dunkel gewöhnen und man mit innerlichem Zuspruch ("Der Kinderkram ist doch lächerlich!") das mulmige Gefühl im Bauch zu bekämpfen sucht, schlägt Richard zum ersten Mal zu.Mit einer grauenvollen Maske, wild fuchtelnden Armen und tierischem Brüllen kommt er aus einer unsichtbaren Tür geschossen und rennt auf sein Opfer zu.Man flieht augenblicklich - und befindet sich noch tiefer im gruseligen Labyrinth.Das Herz schlägt fast mit doppelter Frequenz, der kalte Schweiß bricht aus, und man beschließt: "Keinen Schritt weiter." Doch irgendwie muß man den Ausgang finden, und wenn man sich immer an der Wand langtastet, kann vielleicht nichts passieren.Aber es hilft nichts.Richard versteht seinen Job.Es gibt immer ein neues finsteres Loch, aus dem er auftaucht - zwischen Totenhänden, die an Grabsteinen rütteln, sich aufrichtenden Skeletten und blutdürstenden Henkern.Besonderen Erfolg hat er, wenn die ohnehin spärliche, flackernde Beleuchtung plötzlich gänzlich erlischt. Mit weichen Knien geht es zwischen zwei Zäunen entlang, hinter denen unbewegte Lazarener stehen.Einer ist echt, und der faßt einem genau dann an die Wade, wenn man nicht damit rechnet.Auch sonst lauert Richard Richter einem immer in der Ecke auf, in der man sich gerade sicher fühlte.Während er durch geheime Verbindungstüren zwischen den Gruselabteilungen eilt, wechselt er beständig seine Masken, - so scheint es, als wimmele es in dem unheimlichen, kalten Gebäude nur so vor Ungeheuern.Dabei ist er, neben der kartenlegenden Hexendame, allein. Es gab auch mal Zeiten, da hatte Richard Richter normalere Jobs, zum Beispiel als Autoputzer oder Kraftfahrer.Sein jetziger jedoch, den er über eine studentische Arbeitsvermittlung bekam, macht ihm am meisten Spaß.Dabei war am Anfang nur eine maskierte Aufsicht für das Gruselkabinett gesucht.Daraus wurde ein Erschrecker -ein besonders guter, wenn man nach den Worten von Marlit Friedland, der Besitzerin des Kabinetts geht."Richi erwischt einfach jeden und hat Spaß am Gruseln", schwärmt sie."Und wenn die Leute so richtig kreischen, dann sind wir glücklich." Doch wer meint, das Erfolgsrezept des Studenten läge in seinem Wesen, und er wäre schon von Natur aus ein Grusel-Typ, der irrt.Unter der Maske steckt ein schöner und zurückhaltender Mann, der auf Anhieb sympathisch ist.Aber auch als "Monster" bekommt er gelegentlich ein weiches Herz: "Wenn ein Knirps zu weinen anfängt, dann nehme ich die Maske ab und tröste ihn." Schließlich weiß er selbst, wie es ist, wenn man sich zu sehr gruselt.Deswegen haßt der Erschrecker Gruselfilme. Das Gruselkabinett sucht noch Erschrecker für eine Festanstellung.Wer einen lockeren Stundenplan hat und sich für den gesuchten "jungen, sportlichen Gruselspaßvogel" hält, kann die Telefonnummer 26 5555 46 wählen.

JANA HENSCHEL

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