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Gesundheit: Das zweite Leben der Isabelle Dinoire

Die erste Gesichtstransplantation: Für die einen ein Meilenstein, für andere ein Husarenstück

Gestern durfte die Weltöffentlichkeit ihr Gesicht sehen. Ein Gesicht, das zu einem Drittel von einer Toten stammt. Für Isabelle Dinoire mag das Medienspektakel bei einer Pressekonferenz im Universitätshospital von Amiens wie ein Initiationsritus gewesen sein. Die 38-jährige Französin wurde durch Beißattacken ihres Hundes am 27. Mai 2005 schwer entstellt und bekam weltweit zum ersten Mal am 27. November Gesichtsteile transplantiert. Mehr kann man in ihrem Fall wohl nicht von sich preisgeben beim Start in ein neues Leben, als sich dem Blitzlichtgewitter auszusetzen.

Mit dem Anflug eines Lächelns versicherte Dinoire, dass sie wieder „ein normales Leben aufnehmen“ will. Und sie bedankte sich bei der Familie der Organspenderin, von der sie das Unterteil des Gesichts erhielt, ein Dreieck aus Nase, Mund und Kinnpartie.

Das zweite Leben der Isabelle Dinoire beschäftigt auch die Fachöffentlichkeit. Die heftige Kontroverse unter plastischen Chirurgen, ob die Gesichtstransplantation notwendig gewesen sei, dürfte einer der Gründe sein, warum die behandelnden Ärzte jetzt in die Offensive gegangen sind: Sie wollen über „den wissenschaftlichen Fortschritt“ sprechen, der mit dieser Transplantation verbunden sei, so die Ankündigung. Immerhin: Dinoire demonstrierte bei der Pressekonferenz, dass sie sprechen konnte, wenn auch etwas undeutlich. Das war vor dem Eingriff nicht möglich gewesen. Sie kann essen und trinken, fast ohne zu kleckern.

An der Frage, ob das kosmetische Operationsziel auch mit herkömmlichen Methoden hätte erreicht werden können, scheiden sich die Geister. Marita Eisenmann-Klein aus Regensburg, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft der Plastischen Chirurgen, hätte für diese Patientin eine Gesichtsrekonstruktion mit Eigengewebe vorgezogen.

Walter Künzi, Leiter der Klinik für Wiederherstellungschirurgie am Universitätsspital Zürich, wird noch deutlicher. Er hält das Vorpreschen der französischen Kollegen zum jetzigen Zeitpunkt für ein „medienwirksames Husarenstück. Da die Frau ja offenbar bis auf das Gesicht unversehrt war, hätte man die Rekonstruktion des Gesichtes mit herkömmlichen Verfahren machen können, durch Verpflanzung freier Hautlappen von anderen Körperstellen.“

Ob die Gesichtstransplantation langfristig ein besseres Ergebnis bringe als die konventionellen Lappenplastiken, wie die behandelnden Ärzte von Isabelle Dinoire, Bernard Devauchelle aus Amiens und Jean-Michel Dubernard aus Lyon argumentieren, müsse sich noch zeigen. Außerdem gebe es noch zu wenig Erfahrung mit der Vorbeugung und Behandlung von Abstoßungsreaktionen, wie sie bei der Verpflanzung fremder Haut, nicht aber nach Transplantation von Eigengewebe notwendig ist.

Die Unterdrückung des Immunsystems müsse mindestens so intensiv sein wie nach einer Herz- oder Lungentransplantation. Diese Patienten aber haben wegen der Rundumschwäche des Immunsystems ein erhöhtes Risiko für Infektionen und Krebs: Bei 18 Prozent liegt das Krebsrisiko fünf Jahre nach solchen Organverpflanzungen. Auch Isabelle Dinoire hat eine erste Abstoßungsreaktion hinter sich, die aber erfolgreich behandelt wurde. Allerdings raucht sie wieder, was das Risiko für Abstoßungen erhöht.

Weniger kritisch sieht Karsten Gundlach von der Universität Rostock die Weltpremiere aus Amiens. Der Leiter der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie hält das Vorgehen der Kollegen unter medizinischen Gesichtspunkten für gerechtfertigt. „Im Gegensatz zu den meisten Verbrennungsopfern hatte diese Frau durch die Hundebisse einen großen Teil ihrer Gesichtsmuskulatur in der verletzten Region verloren“, sagt Gundlach. „Mit Eigengewebe hätte man die Muskelfunktion gerade im Bereich der Lippen, die ein wichtiges Ausdrucksmittel sind, nicht wiederherstellen können. Die Frau hätte nie mehr die Lippen spitzen können zu einem Kuss oder zum Flöte spielen. Sie hätte nie mehr den Mund breit ziehen können zu einem Lachen.“

Ob die Gesichtsteilverpflanzung tatsächlich eine Erfolgsstory ist, muss sich noch erweisen. Vom richtigen Einsatz der Arzneien gegen die Abstoßungsreaktion wird letztlich abhängen, ob die junge Patientin für den Rest ihres Lebens Freude am neuen Gesicht haben wird oder nicht. Denn als Langzeittransplantat ist Haut wegen der vielen Zellen, die die Erkennung von körperfremdem Gewebe vermitteln und damit Immunreaktionen ankurbeln, eine „Problemzone“ schlechthin. Auch die erste, verpflanzte Hand (1998 durch Dubernard) fiel der Abstoßung zum Opfer, nachdem der Patient seine Medikamente nicht mehr regelmäßig eingenommen hatte. Und wenn die Französin ihr zweites Gesicht durch Abstoßung verlöre, wäre das Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen durch Infektionen hoch.

Immerhin leben zur Zeit 16 Patienten weltweit mit ganzen Unterarmen, Händen oder Handteilen von Toten. Ob unkalkulierbares Wagnis oder konsequente Weiterentwicklung plastisch-chirurgischer Methoden – der Startschuss für Gesichtstransplantationen ist gefallen.

Patientenorganisationen wie die britische Stiftung „Lets Face it“ (zu Deutsch „Blicken wir den Tatsachen ins Auge“) echauffieren sich über die aus ihrer Sicht zum Teil abgehobene Diskussion mit den ethischen Bedenken. „Wenn Sie aussehen wie eine Horrorgestalt und ertragen müssen, wie andere Menschen Sie anstarren, ist es schon ein wunderschöner Gedanke, durch eine solche Operation wieder Lebensqualität zu bekommen“, sagt Stiftungsgründerin Christine Pfiff.

Nicola Siegm, -Schulze

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