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Gesundheit: Der Golfstrom verliert an Kraft

Das Verlangsamen der Strömung kann die Klima-Erwärmung bis zum Jahr 2100 abmildern

Die Klimakatastrophe, einmal andersherum: Es wird nicht wärmer, sondern kälter. Der jetzt ausgebliebene Winter kommt doch noch, allerdings mit ein paar Jahrzehnten Verspätung. Dann nämlich, wenn der Golfstrom versiegt.

Kaum ist „Kyrill“ über uns hinweggefegt, geistert ein altes Schreckensgespenst erneut durch die Medien – und ist auch Thema beim UN-Klimabericht, der am 2. Februar veröffentlicht wird.

Spielen wir also das Horrorszenario, wie in dem Kino-Film „The Day After Tomorrow“, einmal durch: Was, wenn die globale Erwärmung ausbleibt? Besser gesagt: Was, wenn die Wirklichkeit sich als launischer und komplizierter herausstellt als das Schlagwort von der „globalen Erwärmung“ suggeriert und es in einigen Regionen der Erde zu lokalen Erkältungen kommt?

Tatsächlich zerbrechen sich Klimaforscher über dieses Szenario bereits seit geraumer Zeit den Kopf – und es mehren sich die Hinweise, dass es sich dabei nicht nur um ein Filmszenario handelt.

Tag für Tag für Tag strömt aus der Karibik eine gigantische Masse warmes Wasser zu uns in den Norden, gibt seine Wärme ab und kehrt wieder in den Süden zurück, um sich erneut aufzuheizen – der Golfstrom.

Das Problem ist: Die derzeitige Erderwärmung lässt das Grönlandeis schmelzen. Das salzarme Schmelzwasser strömt ins Meer und dünnt den Salzgehalt des Nordatlantiks aus. Dabei ist gerade das Salz ein entscheidender Treibstoff des Golfstroms: Salz senkt den Gefrierpunkt von Wasser. Salzhaltiges Wasser kann richtig kalt werden ohne sich in Eis zu verwandeln. Und da kaltes Wasser schwerer ist als warmes, sinkt das Salzwasser im Norden in die Tiefe und reißt so den Strom hinter sich her. Fehlt das Salz, kann sich das Wasser nicht genügend abkühlen, bleibt an der Oberfläche und der Golfstrom versiegt. Die 1,3 Billiarden Watt Hitzeenergie, die der Golfstrom transportiert – so viel wie die Leistung von einer Million Kernkraftwerken – kämen zum Stillstand.

Mit verheerenden Folgen: In Norwegen würden die Häfen zufrieren. Das Wasser würde sich im Nordatlantik aufstauen, der Meeresspiegel an unseren Küsten steigen, es käme zu Überschwemmungen. So weit die groben Umrisse des Szenarios – sie sind einigermaßen klar.

Desto unklarer ist, ob es uns bevorsteht. Die letzte Prognose dazu stammt von Forschern des Hamburger Max- Planck-Instituts für Meteorologie. Ihr Fazit: Der Golfstrom könnte sich bis zum Jahr 2100 tatsächlich verlangsamen – und zwar um 30 bis gut 40 Prozent. Im 22. Jahrhundert jedoch würde er sich wieder erholen. „Von einem Versiegen des Golfstroms kann also keine Rede sein“, sagte der Erstautor der Studie, Johann Jungclaus, dem Tagesspiegel. „Außerdem würde es auch in Europa immer noch zu einer Erwärmung kommen.“

Denn zwei gegenteilige Effekte bestimmten bei uns das Klima. Erstens der Treibhauseffekt, der die Erde aufheizt – und zwar, wie man derzeit befürchtet, um fünf bis sechs Grad bis zum Jahr 2100. Zweitens ist da der Golfstrom. Käme es zu einer Abschwächung des Golfstroms, „würde das zu einem Abkühlungseffekt von zwei bis drei Grad führen“, sagt Jungclaus. Es würde somit nicht ganz so warm werden, wie erwartet, insgesamt aber immer noch zwei bis drei Grad wärmer. Zugleich sorgt die Klima–Erwärmung dafür, dass in den Subtropen mehr Meereswasser verdunstet, was den Salzgehalt des Wassers erhöht. Die Folge: Im nächsten Jahrhundert ist das Wasser wieder so salzig, um richtig abkühlen zu können – und der erschlaffte Golfstrom gewinnt an Kraft zurück.

Bislang sind das alles nur Modelle, das heißt: Spekulationen. Besser wäre es, man würde die Sache einfach mal messen, sagte sich kürzlich der Klimaforscher Harry Brydon von der Universität Southampton in Großbritannien. Und so verglich der Forscher die Daten, die man bei Atlantik-Überquerungen in den Jahren 1957, 1981, 1992, 1998 und 2004 vom Golfstrom gesammelt hatte und stellte fest: Bei den letzten Untersuchungen 1998 und 2004 war der Strom deutlich langsamer. Ende 2005 veröffentlichte der Wissenschaftler seine Ergebnisse im US-Fachblatt „Science“ und erregte großes Aufsehen – doch nur, um in späteren Studien festzustellen, dass die Geschwindigkeit des Golfstroms innerhalb eines Jahres genauso stark schwanken kann wie zwischen den Dekaden. Somit könnte das Ergebnis, zu dem der Forscher anfangs gekommen war, einfach nur auf natürliche Schwankungen zurückzuführen sein.

Womit man doch wieder auf Modelle angewiesen ist, also auf den Streit. Denn je nachdem, welchen Klimaforscher man fragt, steht dem Golfstrom ein anderes Schicksal bevor: Zwischen einer Verlangsamung von über 50 Prozent und einem Alles-wie-gehabt gibt es hier so gut wie jede Abstufung. Nur über eins scheint man sich einig zu sein: Er, der Golfstrom, wird vorläufig weiter strömen.

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