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Gesundheit: Der kleine Unterschied und seine frühesten Folgen Komplikationen bei der Geburt sind bei Jungen häufiger

„It must be a boy“, pflegen die Hebammen und Geburtshelfer in angelsächsischen Ländern zu sagen, wenn eine Geburt schwierig und langwierig zu werden droht. Eine Volksweisheit, die meist humorvoll und aufmunternd gemeint ist, von modernen Müttern aber eher als chauvinistisch empfunden werden mag.

„It must be a boy“, pflegen die Hebammen und Geburtshelfer in angelsächsischen Ländern zu sagen, wenn eine Geburt schwierig und langwierig zu werden droht. Eine Volksweisheit, die meist humorvoll und aufmunternd gemeint ist, von modernen Müttern aber eher als chauvinistisch empfunden werden mag. Eine großangelegte irische Studie verleiht ihr nun wissenschaftliche Weihen. Präziser, dafür aber auch deutlich sperriger liest sie sich in der Version, die die Geburtsmediziner vom National Maternity Hospital in Dublin jetzt im British Medical Journal (18. Januar 2003, Band 326) anbieten: „Frauen, die ihr erstes Kind erwarten und zum errechneten Geburtstermin normale Wehen haben, müssen mit größerer Wahrscheinlichkeit mit Komplikationen bei Wehentätigkeit und Entbindung rechnen, wenn das Kind ein Junge ist.“

Die Forscher aus dem geburtenfreudigen EU-Staat können dies mit den Daten von über 8000 Entbindungen untermauern, die zwischen 1997 und dem Jahr 2000 in ihrer Klinik stattfanden. 76,5 Prozent der 4005 Mädchen und 71,2 Prozent der 4070 Jungen kamen dabei ohne Komplikationen zur Welt. 6,1 Prozent der Jungen, aber nur 4,2 Prozent der Mädchen wurden per Kaiserschnitt geboren. Auch bei der Mehrheit, die das Licht der Welt ohne operativen Eingriff erblickte, zeigten sich Unterschiede: So musste vor der Geburt von Jungen deutlich häufiger einer Wehenschwäche mit dem Wehenmittel Oxytocin begegnet werden.

Wie sich die Unterschiede erklären, können die Forscher allerdings nicht sagen. Um hieb- und stichfeste Daten zu gewinnen, haben sie zuvor alle Fälle ausgeschlossen, in denen sich schon zuvor Komplikationen wie Zwillingsschwangerschaft, Neigung zur Frühgeburt oder Wehenschwäche abzeichneten. Außerdem haben sie den deutlichen Unterschied im Geburtsgewicht, den sie zwischen den Geschlechtern fanden, bei ihren Berechnungen über die Häufigkeit von Kaiserschnitten oder rückenmarksnahen Anästhesien und über den Einsatz des Wehentropfs schon berücksichtigt.

Bleibt ein Merkmal der schweren Jungs, das sie nicht mit ins Kalkül zogen: Männliche Neugeborene haben im Schnitt einen etwas größeren Kopfumfang als weibliche. Das könnte die Dauer der Wehentätigkeit und die Entscheidung für die Schnittentbindung auch unabhängig vom Geburtsgewicht beeinflussen. „Mich überrascht das Ergebnis. Ich vermute auf den ersten Blick eher, dass dabei Aspekte eine Rolle spielen, die mit der Geburtsmechanik zu tun haben“, sagte denn auch Joachim Dudenhausen, Leiter der Klinik für Geburtsmedizin der Charité.

Andererseits ist es für den erfahrenen Geburtsmediziner keine Neuigkeit, dass das Geschlecht des Kindes, rein statistisch gesehen, für die Gesundheit des Säuglings eine Bedeutung hat: „Komplikationen direkt nach der Geburt kommen bei männlichen Säuglingen deutlich häufiger vor als bei Mädchen mit dem gleichen Körpergewicht. Das hat zum Beispiel mit der Funktion der Lungen zu tun.“

Auch die irischen Ärzte mussten sich über den Zustand der männlichen Feten offensichtlich unter der Geburt häufiger Sorgen machen – erkennbar an der größeren Anzahl von Proben fetalen Bluts, die von ihnen entnommen wurden. Sind die Träger des Y-Chromosoms also schon größeren Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt, wenn sie sich gerade erst anschicken, den Mutterleib zu verlassen? Sogar schon vorher gibt es Unterschiede: Bei Fehlgeburten überwiegen, soweit dies ermittelt werden kann, die männlichen Embryos und Feten. Die Säuglingssterblichkeit ist bei Jungen deutlich höher, von der um etwa sieben Jahre geringeren Lebenserwartung ganz zu schweigen.

Männer – das schwache Geschlecht? So weit reichende Schlussfolgerungen lässt die irische Studie über Schwierigkeiten bei der Entbindung natürlich keineswegs zu. Vorsicht ist auch aus einem anderen Grund geboten: Heute wissen Eltern und Geburtshelfer häufig schon vor der Geburt aufgrund der Ultraschallbilder, welches Geschlecht das sehnlich erwartete Kind haben wird. Es ist nicht auszuschließen, dass dieses Wissen sich im Einzelfall auf die Erwartungen und sogar auf den Geburtsverlauf auswirken kann. Schloss der Volksglaube noch aus einem schweren Geburtsverlauf, das Kind werde sicher ein Junge sein, so könnte die neue Studie umgekehrt zu dem Gedankengang verführen: Wir wissen vom Ultraschall, dass es ein Junge wird. Deshalb rechnen wir mit einer schweren Geburt. Das aber geben die geringfügigen Abweichungen der Daten für beide Geschlechter nun sicher nicht her.

Adelheid Müller-Lissner

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