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Gesundheit: Der Mann, der den Mars zum Sprechen bringt

Der Physiker Rudi Rieder hat Jahre an einer Nase gebastelt. Sie kann den Aufbau von Steinen erschnüffeln. Jetzt fliegt sie zum roten Planeten

Als erstes muss ein Apparat her! Schon nach kurzer Begrüßung verschwindet der hagere Mann wieder. Er geht rüber in die Werkstatt gleich nebenan. In seinem Büro in der Abteilung für Kosmochemie der Max-PlanckGesellschaft in Mainz ist es still. Unerledigte Schreibarbeiten stapeln sich auf den Tischen. Außer ein paar Cartoons klebt nur der gelbe Rauch an den Wänden.

Rudi Rieder kommt mit einer kleinen Plastikbox zurück, legt sie auf den Tisch, öffnet sie, holt ein Aluminiumgehäuse heraus, das wie das Objektiv einer Kamera ausschaut. Und während er es in den Fingern dreht, erläutert er mit Wiener Akzent, auf welchen technischen Schnickschnack des Geräts man gut und gerne hätte verzichten können.

Rudi Rieder ist ein leidenschaftlicher Bastler. Und das einzigartige Maschinchen hat er selbst gebaut. Es ist die Frucht von 17 Jahren Arbeit. Am heutigen Dienstagabend soll sein Gerät zum Mars geschickt werden. Aber kein Anflug von Erfinderstolz. „Das ist kein Präzisionsinstrument“, sagt der 63jährige Physiker, presst seine schmalen Lippen zusammen und schaut über den Rand der Brille in das Metallgehäuse hinein. In seinen Augen gäbe es immer noch viel daran zu verbessern.

Erst vor wenigen Wochen hat Rieder mehrere Duplikate des Apparats in die USA gebracht und sie bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa in Florida abgegeben. Sie gehören zu den wichtigsten wissenschaftlichen Geräten, mit denen die Amerikaner ihre beiden neuesten Marsroboter ausgestattet haben. Denn sie können die Zusammensetzung jedes beliebigen Steins entschlüsseln. Anhand dieser Daten wollen Forscher die Klimageschichte unseres Nachbarplaneten rekonstruieren. Heute ist der Mars zwar kalt und trocken, aber vermutlich war er einmal warm und feucht. Vielleicht auch belebt.

Dialog mit einem Stein

Im Sommer 1997 war schon einmal ein amerikanischer Roboter auf dem Mars: Ein schuhkartongroßer, sechsrädiger Geländewagen fuhr 83 Tage lang durch die marsianische Wüste. Es war das erste Mal in der Geschichte der Raumfahrt, dass ein Automat einen fremden Planeten erkundete. Und die wertvollsten Messungen machte Rieders Apparat: das APX-Spektrometer.

Die Bezeichnung APX steht für drei verschiedene Methoden, mit denen das Gerät einen Stein vom Mars zum Sprechen bringen kann. Es sind recht drastische Mittel. Denn in dem Gehäuse sitzt eine radioaktive Quelle aus Curium. Die Strahlung, die diese Quelle aussendet, trifft auf den Stein und prallt je nach Beschaffenheit der Oberfläche auf unterschiedliche Weise zurück. Bei dem Beschuss senden einige Atomkerne in dem Gestein zudem charakteristische Röntgenstrahlen aus. Die winzigen Detektoren in Rieders Apparatur sammeln all diese Informationen. Das erlaubt es den Planetenforschern, eine ganze Palette von chemischen Elementen zu bestimmen, aus denen das Gestein besteht: von Kohlenstoff über Silizium bis zum Eisen.

Jeweils acht bis zehn Stunden lang schnüffelte der Marsroboter 1997 mit seiner Spürnase an den Felsen im Umkreis der Landekapsel. „Wir sind auf Steine gestoßen, die niemand erwartet hätte“, sagt Rieder. Der Mars ist keinesfalls ein geologisch so langweiliger Himmelskörper wie der Mond, auf dem sich schon seit drei Milliarden Jahren kein Vulkan mehr regt. Der rote Planet hat eine komplexe Entwicklung hinter sich. Er ist unserer Erde viel ähnlicher, als lange Zeit angenommen wurde. Plätscherten dort einst Flüsse und Meere? „Davon verstehen meine Kollegen mehr als ich“, sagt Rieder und winkt erst einmal ab. „Ich bin kein Raumfahrtenthusiast. Ich weiß, wie man Daten gewinnt und ob man ihnen vertrauen kann.“ Vor allem den wissenschaftlichen Dialog mit Steinen moderiert Rieder wie kein anderer. Schon in den 1960er Jahren hat er an dem Mainzer Forschungsinstitut Messinstrumente gebaut, um jene Brocken zu studieren, die die Apollo-Astronauten vom Mond zur Erde zurückbringen sollten. Ende der 80er Jahre war er wieder mit von der Partie. Diesmal wollten die Russen zum Mars. Rieder sollte die Gesteinsanalysen vorbereiten.

Es war der Anfang einer ganzen Reihe von Fehlschlägen. Keine der drei Raumsonden, die russische und europäische Forscher in den 80er und 90er Jahren in Richtung Mars schickten, erreichte das Ziel. 1996 versank Rieders APX-Spektrometer kurz nach dem Start der Mission „Mars 96“ in den Pazifik.

Rieders Enttäuschung war groß. Aus einem zu Apollo-Zeiten noch zehn Kilogramm schweren Apparat hatte er inzwischen ein 600 Gramm leichtes, automatisches System gemacht. Ein vergleichbares Messgerät gab es nicht noch einmal auf der Welt. Doch es war noch nie zum Einsatz gekommen.

Innerhalb kürzester Zeit wendete sich das Blatt. Nur drei Wochen nach dem Absturz der russischen Rakete begann Rieders Aufstieg: Die Nasa hatte den Max-Planck-Forscher zur Teilnahme an einem amerikanischen Marsflug eingeladen.

Allerdings schien dies eine noch riskantere Mission zu sein. Statt einer sanften Landung auf dem Mars plante die Nasa ein technologisches Experiment. „Die Amerikaner wollten ausprobieren, ob man eine Landekapsel einfach in die Marsatmosphäre reinschmeißen kann und ob sie dann mit Hilfe von Fallschirm, Bremsraketen und Airbags heil unten ankommt“, sagt Rieder. „Die Frage war: Überleben die Instrumente das?“

Sie hielten dem heftigen Aufprall stand. 16mal hüpfte das kleine Marsauto im Sommer 1997, in Luftkissen eingepackt, über die Oberfläche des Planeten. Dann rollte es munter von der Rampe, als wäre nichts gewesen, steuerte die nächstgelegenen Steine an. Rieder war am Ziel seiner Träume.

Seither hat er die Spürnase noch einmal völlig umgebaut – obwohl ihm die Kollegen davon abgeraten haben. Das wichtigste Bauteil, der Röntgendetektor, sitzt nun in der Mitte. Rieder hat ihn bei der Firma Ketek in Oberschleißheim bei München entdeckt und war begeistert von den Tests im hauseigenen Messlabor. „Statt in zehn Stunden, kann man einen Stein jetzt in einer halben Stunde analysieren.“

Der Detektor ist auch nicht mehr so wärmeempfindlich. „Er funktioniert schon bei minus 15 Grad Celsius sehr gut.“ Wärmer wird es an der Landestelle ohnehin nicht, wenn die beiden amerikanischen Roboter im Januar 2004 auf dem Mars ankommen. Der eine geht nun dorthin, der andere fliegt in zwei Wochen los.

Auf die Amerikaner ist Rieder derzeit allerdings überhaupt nicht gut zu sprechen. Das Klima habe sich seit dem 11. September völlig gewandelt. Was er in den letzten Monaten in den USA erlebt habe, das sei ihm als Forscher in den 80er Jahren nicht einmal in der Sowjetunion widerfahren. „Ständig mit einer grünen Plakette rumzulaufen, die einen als Ausländer kennzeichnet, auf Schritt und Tritt von einem jungen Wissenschaftler eskortiert zu werden und von jedem verdächtigt zu werden, das finde ich unwürdig.“ Einmal wurde er sogar am Flughafen zurückgehalten, weil er sich erlaubt hatte zu fragen, wozu die ganzen Befragungen gut seien. Die amerikanische Fluglinie startete ohne ihn.

Überreste von Marsianern

Bei den jetzigen Starts ist Rieder nicht dabei. Obwohl diesmal gleich zwei Roboterfahrzeuge sein APX-Spektrometer tragen. Und die beiden Rover haben noch weiteres Rüstzeug im Gepäck. Aus dem ehemals bescheidenen Marsauto sind richtige Feldgeologen geworden, ausstaffiert mit Mikroskop und Gesteinsschleifer. Sie können 500 Meter weit ins Gelände hinaus fahren, bei ihrer Entdeckungsreise mikroskopische Nahaufnahmen des Gesteins machen und Schicht für Schicht den Marsfelsen abtragen. Auf diese Weise lässt sich die Geschichte des Mars womöglich weit zurückverfolgen.

So erwarten die Forscher, bald zu erfahren, ob das Marsgestein einst von Flüssen weggeschwemmt wurde. Die beiden von den Amerikanern ausgewählten Landestellen erinnern stark an ausgetrocknete Flussbetten. Solche geologischen Messungen sind eine wichtige Voraussetzung, später einmal gezielt nach Lebensspuren auf dem Mars zu suchen. Denn wenn es einst Lebewesen auf dem Mars gab, dann allenfalls vor drei bis vier Milliarden Jahren. Überreste dieser Marsianer dürften nicht leicht zu finden sein.

Trotzdem hofft die europäische Weltraumagentur Esa auf einen Glückstreffer. Auch sie hat vor einer Woche ein Raumfahrzeug zum Mars geschickt und will dort eine Landekapsel absetzen. Ein Bohrer soll in den Marsboden eindringen und darin nach Zeugnissen einstigen Lebens suchen. Eine ambitionierte Mission mit bescheidenen Mitteln. Das europäische Landegerät ist unbeweglich. Es hat keine Räder, sondern nur einen Greifarm.

Wenn alles gut geht, dann werden also Anfang nächsten Jahres gleich drei Roboter auf dem Mars landen. „Das wäre für mich ein schöner Abschluss meiner Karriere“, sagt Rieder. „Dann kann ich getrost in Rente gehen.“ Sein APX-Spektrometer wird er vorher allerdings mindestens noch einmal umbauen: Er hat schon wieder eine Idee, wie er noch mehr Informationen aus den Steinen herauskitzeln kann.

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