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Kleiner Piks, große Wirkung. Die Impfung schützt vor 93 Prozent aller HP-Viren. Bei Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren übernehmen die Kassen die Kosten. Foto: p-a 

© picture-alliance / Ton Koene

Gesundheit: Der verschmähte Lebensretter

Immer weniger Mädchen lassen sich gegen humane Papillomaviren impfen, obwohl sie damit Gebärmutterhalskrebs verhindern könnten. In Berlin zum Beispiel sank die Quote der Behandelten von über 50 auf 37 Prozent. Ärzte der Charité betrachten diese Entwicklung mit Sorge

Krebs ist nicht immer Schicksal. Man kann vorbeugend etwas dagegen tun: etwa, indem man mit dem Rauchen aufhört oder sich nicht übermäßig der Sonne aussetzt. Bei einigen wenigen Krebsformen ist sogar eine Impfung möglich, dazu gehört Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom). Seit 2006 sind in Deutschland zwei Impfstoffe gegen die humanen Papillomaviren (HPV), die den Tumor hervorrufen können, zugelassen. Aber: „Immer weniger junge Mädchen lassen sich impfen. In Berlin ist die Quote von einst über 50 auf rund 37 Prozent gesunken“, sagt Achim Schneider, Chefarzt der Frauenklinik der Charité in Mitte und Steglitz. Mit den Konsequenzen dieser Entwicklung ist der Gynäkologe täglich konfrontiert: Gebärmutterhalskrebs oder Vorstufen davon, die ebenfalls riskante Eingriffe erforderlich machen. 2006 – jüngere Zahlen hat das Robert Koch Institut (RKI) noch nicht vorliegen – erkrankten in Deutschland rund 5500 Frauen an dem Tumor, 1500 starben daran. In Berlin erkrankten zwischen 2001 und 2005 jedes Jahr durchschnittlich 232 Frauen neu, 89 starben. „Es ist davon auszugehen, das dies einigermaßen repräsentative Zahlen auch für die Folgejahre sind“, so Susanne Glasmacher vom RKI.

Für das Forschungsergebnis, dass die beim Geschlechtsverkehr übertragenen humanen Papillomaviren Gebärmutterhalskrebs verursachen, erhielt der deutsche Mediziner Harald zur Hausen 2008 den Nobelpreis für Medizin. Seine Entdeckung hatte die Entwicklung von Gardasil und Cervarix ermöglicht, die als erste Impfstoffe gegen den Krebs gefeiert wurden. Seit 2007 empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) die Impfung für alle Mädchen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren. In dieser Altersgruppe übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten. Man hofft, dass auf diese Weise künftig weniger Eingriffe bei älteren Frauen nötig sein werden. Eine Million von ihnen muss sich in Deutschland jährlich einer Biopsie unterziehen, weil im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen Auffälligkeiten festgestellt wurden. Eine Biopsie bedeutet, dass verdächtiges Gewebe aus der Gebärmutter entnommen und untersucht wird. Bei rund 150 000 Frauen jährlich sind die Befunde unklar. Dann muss eine Konisation durchgeführt werden. Dabei entnimmt der Arzt kegelförmige, verdächtige Gewebestücke aus dem Gebärmutterhals. Dieser Eingriff kann weitere Komplikationen nach sich ziehen: Forschungsergebnisse des Charité-Gynäkologen Günter Cichon legen nahe, dass zwölf Prozent aller Frühgeburten in Deutschland Folge von Konisationen sind. Mit einer Impfung würden diese Eingriffe weitgehend wegfallen.

Vor dem ersten Geschlechtsverkehr, wenn mit Sicherheit noch keine Infektion vorliegt, ist die Effektivität der Impfung am größten. Dann schützt sie nicht nur vor 98 Prozent aller Krebsvorstufen, die durch die beiden aggressivsten HPV-Typen 16 und 18 verursacht werden. „Jüngste Untersuchungen haben belegt, dass sie auch gegen andere Typen wirkt und so 93 Prozent aller durch humane Papillomaviren verursachten Vorstufen verhindern kann“, sagt Andreas M. Kaufmann, Experte für Gynäkologische Tumorimmunologie an der Charité. „Das ist viel mehr, als jeder von uns erwartet hätte“, so sein Kollege Achim Schneider.

Warum lassen sich dennoch immer weniger Mädchen immunisieren? Ein Grund ist wohl, dass ein Jahr nach Beginn der Impfungen eine Diskussion über die Risiken einsetzte. Zuvor war intensiv für sie geworben worden. Jedes zweite Mädchen der angesprochenen Altersgruppe ließ sich damals impfen. Aber 2008 starben zwei junge Frauen kurz nach den Impfungen. Die Euphorie brach in sich zusammen. Ein Zusammenhang zwischen Impfungen und Todesfällen konnte allerdings nicht nachgewiesen werden. Heute bescheinigen Experten nach weltweit rund 50 Millionen Anwendungen, dass die Anti-HPV-Spritze keine größeren Nebenwirkungen hat als klassische Impfungen.

Ebenfalls 2008 hatten sich 13 Mediziner zu Wort gemeldet und im „Bielefelder Manifest“ die Wirksamkeit und Notwendigkeit der Impfung in Zweifel gezogen. 2009 bestätigte die Stiko zwar ihre Empfehlung, aber die kritischen Stimmen trugen zu einem Rückgang der Impfzahlen bei. Mütter und Töchter fragen seltener danach. Viele Frauen- und Kinderärzte schneiden das Thema wegen des hohen – unbezahlten – Beratungsaufwandes von sich aus nicht an, ist die Erfahrung von Andreas M. Kaufmann. Während sich in Australien und Großbritannien bis zu 90 Prozent aller jungen Frauen impfen lassen, ging die Quote in Deutschland auf 35 Prozent zurück. Berlin liegt mit 37 Prozent (2009) im Mittelfeld, Brandenburg bildet mit 20 Prozent das Schlusslicht.

Dort hat die Landesarbeitsgemeinschaft Onkologische Versorgung (Lago) bereits 2007 die Kampagne PIKS (Prävention – Impfen – Krebs – Sexualität) gestartet. „Ein kleiner Piks und du bist auf der sicheren Seite!“, so wirbt die Kanu-Weltmeisterin Fanny Fischer als Schirmherrin der Kampagne, die beim internationalen Forum „Frauen gegen Gebärmutterhalskrebs“ in Nizza ausgezeichnet wurde. „Wir halten die Impfung zum Schutz vor den Viren, die am häufigsten Krebs auslösen, für sehr bedeutend“, sagt Lago-Geschäftsführerin Gudrun Thielking-Wagner. Knapp 3900 Jugendliche haben in den ersten drei Jahren an den in Schulen organisierten Projekttagen teilgenommen. Auch im laufenden Schuljahr sind die Experten ausgebucht. 32 Prozent der beteiligten Mädchen erklärten, sich gegen HPV impfen lassen zu wollen. Weitere 42 Prozent beantworteten die Frage mit: „Ich denke schon.“ Elf Prozent waren bereits geimpft.

Trotz der neuen Erkenntnisse und dem Festhalten der Stiko an der Impfempfehlung sieht Ansgar Gerhardus, Sprecher der Unterzeichner des Bielefelder Manifestes, keinen Grund, die Stellungnahme zu revidieren. „Wir haben nie infrage gestellt, dass die Impfung bei bestimmten Personengruppen gegen bestimmte Virentypen hilft“, sagt er, „sondern nur eine ehrliche Aufklärung gefordert. Dazu gehört auch, zu sagen, dass man bis heute nicht weiß, in welchem Umfang das Risiko, an Krebs zu erkranken, wirklich verhindert werden kann.“ Denn noch ist nicht bewiesen, dass die Impfung tatsächlich gegen den voll entwickelten Krebs schützt, sondern nur, dass sie dessen Vorstufen verhindert.

Andreas M. Kaufmanns ist dagegen überzeugt: „Weniger Vorstufen bedeuten weniger Krebs.“ Da sich unter den Kritikern auch zahlreiche Gesundheitsökonomen befinden, vermutet er, dass bei vielen Gegnern die hohen Kosten der wahre Grund für die Ablehnung der Impfung sind. Mit 500 Euro sind die drei notwendigen Dosen in Deutschland erheblich teurer als in anderen Ländern, und noch ist nicht klar, ob zu einem späteren Zeitpunkt eine Nachimpfung erforderlich ist. „In unserem Gesundheitswesen existiert ein Verteilungskampf“, sagt Kaufmann im Hinblick auf die immer knapperen Budgets der Krankenkassen.

2010 sah es so aus, als hätten die Kritiker Erfolg: Die Impfkosten der Krankenkassen sanken in den ersten zehn Monaten um 16 Prozent oder 168 Millionen Euro. Das wird auch auf den drastischen Rückgang bei den HPV-Impfungen zurückgeführt. Inzwischen gibt es erste Signale für eine Trendwende. Seit November 2010 zeichnen sich bei HPV-Impfstoffen wieder leichte Zuwächse ab.

Rainer W. During

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