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Gesundheit: Der Vertrauensmann

An vielen Kliniken gibt es Transplantationsbeauftragte. Ihre Aufgabe: Organspenden zu koordinieren Wir haben einen von ihnen bei der Arbeit am Unfallkrankenhaus in Marzahn begleitet.

Es geht ums Überleben: In Deutschland stehen 12 000 Menschen auf der Warteliste für eine Organtransplantation. Alle acht Stunden stirbt ein Mensch, weil ihm nicht rechtzeitig ein Spenderorgan vermittelt werden konnte. Diese Zahlen treiben auch Jörn Rust um – und sie treiben ihn an. Der 42-Jährige ist Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Unfallkrankenhaus Berlin (UKB). Seit 2009 ist er auch Transplantationsbeauftragter.

„Das Thema Organspende spielt schon seit der Eröffnung des Unfallkrankenhauses eine große Rolle“, erzählt er. Also seit 1997, dem Jahr, aus dem auch das Transplantationsgesetz stammt, das vor einigen Monaten reformiert wurde – um die Spendenbereitschaft zu fördern und die Zahl der Transplantationen zu erhöhen. Es schreibt nun strengere Kontrollen vor und regelt, dass alle deutschen Entnahme-Kliniken einen Transplantationsbeauftragten benennen müssen. An vielen Berliner Kliniken gibt es solche Beauftragten schon seit vielen Jahren. Sie sorgen dafür, dass das Thema Organspende im Klinikalltag nicht in Vergessenheit gerät. Auch wenn es allen Medizinern natürlich in erster Linie darum geht, das Leben ihrer Patienten zu retten.

Als Transplantationsbeauftragter ist Jörn Rust dafür verantwortlich, dass potenzielle Organspender erkannt und die Kollegen im Umgang mit diesem Thema geschult werden. Im UKB gibt es einen großen intensivmedizinischen Bereich, in dem die ärztlichen Kollegen viel Erfahrung mit dem Erkennen und der Diagnostik des Hirntodes haben. Rust kümmert sich darum, dass auch die jüngeren Mitarbeiter mit dem Thema vertraut gemacht werden, und er regelt die Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Die Stiftung koordiniert die Organspenden in Deutschland.

Viel Zeit verbringt Rust aber auch am Computer, wo er Informationen für die Statistik zusammenträgt. Er rollt mit dem Drehstuhl hinüber an den Monitor und zeigt: In den vergangenen Jahren gab es an keiner Berliner Klinik mehr Spender als am Unfallkrankenhaus. 2010 waren es 18 Spender, ein Jahr später 14. Im laufenden Jahr waren es bislang neun. Rust redet ruhig und bedacht, und noch etwas langsamer, als er auf die Gespräche mit den Angehörigen der verstorbenen Patienten kommt – die immer vom behandelnden Arzt geführt werden. Denn bei diesen Begegnungen spielt das Vertrauensverhältnis eine wichtige Rolle. „Wir führen das Gespräch nicht mit dem Ziel, jemanden zu überzeugen“, sagt Rust, und nach einer kurzen Pause: „Wir sind für die Organspende, aber eine Entscheidung dagegen wird natürlich auch akzeptiert.“ Wenn sich abzeichnet, dass der schwere Hirnschaden der Patienten zum Hirntod führt, kommen viele Angehörige auch von sich aus auf die Mediziner zu – und fragen, ob die Organe ihrer Angehörigen gespendet werden können. Die Ärzte selbst sprechen diese Möglichkeit erst einige Tage später an – wenn der Hirntod des Patienten zweifelsfrei diagnostiziert wurde. Das kann erst passieren, wenn der Körper des Patienten die Medikamente abgebaut hat, die eine Untersuchung beeinflussen könnten.

In vielen Fällen stehen Jörn Rust und seine Kollegen vor einer schwierigen Aufgabe: Sie müssen herausfinden, ob es der Wille des Patienten gewesen ist, seine Organe zu spenden. „Es ist egal, ob der Patient seinen Willen schriftlich bekundet oder in Gesprächen erwähnt hat, dass er seine Organe spenden möchte“, sagt er. „Es ist für viele Angehörige eine unheimliche Erleichterung, wenn der Patient diese Entscheidung schon getroffen hat.“ Dass viele Menschen das Thema zu Lebzeiten ausblenden, zeigt eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der zufolge rund 75 Prozent der Deutschen zwar bereit sind, nach ihrem Tod Organe zu spenden. Doch nur jeder Vierte hat tatsächlich einen Organspendeausweis. 2011 ist die Zahl der Organspenden bundesweit um 7,4 Prozent gesunken. Die Zahl der gespendeten Organe ist von 4205 auf 3917 gefallen. Und die in diesem Jahr bekannt gewordenen Manipulationen bei der Vergabe von Spenderorganen an mehreren deutschen Kliniken haben viele Menschen zusätzlich irritiert und verärgert – und in ihrer Skepsis bestärkt. Jörn Rust ist allerdings von Patienten und deren Angehörigen bislang noch nicht auf dieses Thema angesprochen worden.

Zu den Reformen im Bereich der Transplantationsgesetzgebung gehört auch die seit November geltende Entscheidungsregelung: Sie soll in den nächsten Jahren mehr Menschen dazu bewegen, sich Gedanken über ihre Spendenbereitschaft zu machen. Künftig sollen Krankenkassen ihre Mitglieder ab dem 16. Lebensjahr regelmäßig dazu befragen, ob sie ihre Organe spenden möchten. Und diese Befragung dann regelmäßig wiederholen. „Ich finde es gut, dass das gemacht wird, aber auch, dass man nicht gezwungen wird, sich zu äußern“, meint Rust. Vor ein paar Monaten hat er mit dem Ehemann einer 40-Jährigen über die Möglichkeit der Organtransplantation gesprochen. „Der Mann fand es richtig, Organe zu spenden, doch er wusste, dass seine Frau das nicht wollte. Das haben wir selbstverständlich respektiert.“

Was die meisten nicht wissen: Für die Organspende gibt es kein Höchstalter – solange es keine Kontraindikationen gibt, also Gründe, die dagegen sprechen, etwa eine Blutvergiftung oder Krebserkrankung. Deshalb hat der Transplantationsbeauftragte etwa nach dem Gespräch mit der Angehörigen eines älteren Mannes die Schritte zu einer Organentnahme in die Wege geleitet. Der Familie war nicht klar, dass Menschen auch im höheren Alter als Spender infrage kommen. Nach längerem Überlegen war sich die Angehörige jedoch sicher, dass eine Spende im Sinne ihres Verwandten gewesen wäre. Es ist Jörn Rust wichtig, den Angehörigen für diese Überlegungen so viel Zeit zu geben, wie sie eben brauchen.

Wenn es dem Willen des Patienten entspricht, bereitet Jörn Rust die nächsten Schritte vor: Er informiert die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Er und seine Kollegen am Unfallkrankenhaus halten gemeinsam die Organfunktion des Spenders aufrecht und führen notwendige Untersuchungen durch, zum Beispiel einen Ultraschall oder Herzkatheteruntersuchungen.

Die Kollegen der DSO begleiten diese Schritte – und koordinieren über die Stiftung Eurotransplant, dass der mögliche Spender an einen geeigneten Empfänger vermittelt wird. Wenn es einen passenden Empfänger gibt, findet die Organentnahme im Unfallkrankenhaus statt. Die DSO lässt ein Team von Chirurgen anfahren oder einfliegen, das die Organe entnimmt. Das passiert anonym und völlig getrennt vom Team der Klinik. Anschließend wird das Organ – häufig per Charterflug – zum Empfänger gebracht. Für ihn hat das Warten dann endlich ein Ende. Einer von 12 000.

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