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Gesundheit: Deutsches Abitur in Ungarn: Schüler und Eltern blicken nach Europa

Das deutsche Abitur gibt es künftig auch in Ungarn. Für ungarische Gymnasiasten ist das ein sehr attraktives Angebot, denn für die meisten Schüler ist der Übergang vom Gymnasium zur Universität ein Spießrutenlauf.

Das deutsche Abitur gibt es künftig auch in Ungarn. Für ungarische Gymnasiasten ist das ein sehr attraktives Angebot, denn für die meisten Schüler ist der Übergang vom Gymnasium zur Universität ein Spießrutenlauf. Extrem selektive Aufnahmeprüfungen führen dazu, dass in manchen Fachbereichen nur zehn Prozent der Studienbewerber zugelassen werden. So müssen die Studierwilligen oft jahrelang auf ihre Studienplätze warten. Das neue Abkommen, das gestern von Albert Spiegel, dem Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes und von Professor Laszlo Imre Komlosi, dem stellvertretenden Staatssekretär des ungarischen Bildungsministeriums in der südungarischen Stadt Baja unterschrieben wurde, kann hier neue Wege weisen.

Ein deutsches Abitur öffnet die Tore für ein Auslandsstudium, sofern man sich dieses leisten kann. "Die Schüler, die das deutsche Abitur anstreben, erhalten dann gleich zwei Abiturzeugnisse - ein deutsches und ein ungarisches", erklärt Helmut Seiler vom Ungarndeutschen Bildungszentrum in Baja. Dieses Zentrum ist eigentlich eine Bildungseinrichtung der deutschen Minderheit. An dieser Schule kann nun im Jahre 2002 erstmals das deutsche Abitur abgelegt werden. Dort gehen 700 Kinder in den deutschprachigen Kindergarten, in die Grundschule und aufs Gymnasium.

Faktenwissen ist wichtig

Die Pädagogen dieser Modellschule arbeiten schon seit 1998 an ungarisch-deutschen Lehrplänen, die nun landesweit für Einrichtungen dieser Art gültig werden. "Dabei haben wir uns sowohl nach den deutschen, als auch nach den ungarischen Lehrplänen gerichtet", versichert Seiler. Dies war nicht einfach, denn es gibt bisher sowohl inhaltliche als auch methodische Unterschiede. Bestimmte Fächer sind in Ungarn wichtiger als in Deutschland. So etwa Geschichte, das selbst für die Wirtschaftswissenschaftler an den Universitäten ein wesentlicher Bestandteil der Aufnahmeprüfung ist. Und das ungarische Schulsystem legt im Unterschied zum deutschen mehr Wert auf Faktenwissen.

Unterrichtet wird in Baja auf Ungarisch und auf Deutsch. In deutscher Sprache werden die Hauptfächer angeboten: Mathematik, Deutsch, Geschichte und die Naturwissenschaften. Auf Ungarisch dann Geografie, Ungarisch, Musik und Sport.

Wie viele Schulen dieser Art es in den nächsten Jahren geben wird, hängt auch von der Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland ab. Denn diese entsendet die deutschen Lehrer und finanziert mit bis zu 30 000 Mark pro Jahr eine so genannte Schulbeihilfe, das heißt Schulbücher und Apparate. Neben der Modellschule in Baja gibt es landesweit schon 16 Schwerpunktschulen, an denen die Schüler das deutsche Sprachdiplom erwerben und an denen einige Fächer auf Deutsch unterrichtet werden. Auch diese Schulen profitieren von dem neuen Abkommen, denn die offzielle Anerkennung ihrer Zeugnisse macht sie zu besonders attraktiven Bildungseinrichtungen.

In Zukunft soll es ein spezifisches Abitur geben, das es ermöglicht, ohne Aufnahmeprüfung an den Universitäten zum Studium zugelassen zu werden. Bisher ist das ungarische Abitur nur eine Zulassung zur Aufnahmeprüfung und keine Zulassung zum Studium selbst. Ob sich diese Pläne umsetzen lassen, hängt auch von der Zustimmung der Universitäten ab. "Ausschlaggebend wird sein, wie wir die verschiedenen Autonomien mit einer Qualitätskontrolle verbinden können", erklärt der Bildungsminister Zoltan Pokorni in einem Interview.

In Ungarn bekamen die Schulen Ende der achtziger Jahre eine Autonomie zugesprochen, die nicht allen gut tat. Die Autonomie erlaubte jeder Schule, ihren Lehrplan selbst zu entwickeln, reduzierte aber nach der Wende 1990 die staatliche Förderung um fast 40 Prozent. "Unsere Schule wird heute zu 63 Prozent vom Staat finanziert" erklaert Laszlo Doba, der Direktor des traditionsreichen Eotvos Jozsef Gymnaisums in Budapest. Er hat daher wie viele andere Direktoren eine Stiftung gegründet, die von Eltern und Sponsoren getragen wird und die es seiner Schule ermöglichte, ihren Theatersaal aus der Jahrhundertwende zu restaurieren, ihre kulturellen Aktivitäten weiter zu pflegen und ihre aus 40 000 Bänden bestehende Bibliothek zu vergrößern. Budgetdefizite gibt es für ihn nicht, denn sein Gymnasium zählt zu den besten der Stadt.

Kampf ums Überleben

Anders ist es auf dem Lande und in den ärmeren Vororten von Budapest. Dort kämpfen viele Schulen ums Überleben. Es fehlt ihnen an genügend Lehrern, weil sie diese nicht bezahlen können, und die Klassenräume sind gerade mal mit dem Nötigsten ausgestattet. Computer bleiben ebenfalls das Privileg der großen Gymnasien in den Städten. Das, so erklärte der ungarische Bildungsminister Zoltan Pokorni schon bei seinem Amtsantritt 1998, müsse geändert werden. Die Finanzierung der staatlichen Schulen soll stufenweise auf maximal 80 Prozent erhöht werden. Voraussetzung dafür wäre aber eine Einschränkung der Autonomie und eine Reform des Abiturs und des Zugangs zu den Universitäten.

Die reale Erhöhung des Budgets für die Schulen ist von den Wünschen weit entfernt. Bisher lag sie bei etwa drei Prozent. Die immer noch mageren Gehälter der Lehrer wurden um acht Prozent aufgestockt. Diese Verspätung, so ein Sprecher des Bildungsministeriums, sei eine Konsequenz des Kosovo-Krieges, der Ungarn wirtschaftlich viel gekostet habe.

Im Zeichen der zukünftigen europäischen Integration legen ungarische Eltern viel Wert auf die Fremdsprachenkenntnisse ihrer Kinder. Die Theresienstädter Schule in Budapest ist eine der begehrten "zweisprachigen" Schulen: Die Kinder lernen hier von der ersten Klasse an eine Fremdsprache. Wie häufig in Ungarn ist auch die Theresienstädter Schule Grundschule und Gymnasium zugleich, ohne dass dies jedoch der deutschen "Gesamtschule" entspräche. Die Schüler der beiden Schultypen bleiben streng getrennt - selbst die Pausen werden unterschiedlich gehalten. Das alte ungarische Modell, das auf acht Grundschuljahren und vier Gymnasialjahren beruht, läuft jedoch langsam aus. Immer mehr Eltern fordern hier eine Angleichung an das deutsche Modell mit vier Jahren Grundschule und acht Jahren Gymnasium. Noch ist es den Schulen überlassen, welches Modell sie einführen, doch das Bildungsministerium möchte auch hier bald eingreifen.

Anat-Katharina Kalman

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